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"Du hast also keine Ahnung, wer du bist, wer ich bin?", fragte sie, nachdem ich ihr alles erklärt hatte. Ich schüttelte entschuldigend den Kopf. "Die Ärzte sagten, dass so etwas passieren könnte.", murmelte sie, mehr zu sich selbst. "Könnten Sie mir erklären, was geschehen ist?", fragte ich vorsichtig. Ein verletzter Gesichtsausdruck trat auf ihr Gesicht. Ich wusste nicht, mit was ich sie gekränkt hatte. "Schätzchen, bitte. Ich bin deine Mom, du brauchst mich nicht Siezen.", erklärte sie dann. Mein Mund klappte auf. Diese Frau, die neben mir saß, war meine Mutter? Irgendwie ergab das Sinn, schließlich lebte ich offensichtlich mit ihr in einem Haus.

Sie konnte mir die Verwirrung wohl ansehen, denn sie begann zu erklären. "Dein Dad, deine Schwester Jess, du und ich waren gerade auf dem Weg in unseren Urlaub. Wir wollten deine Großeltern auf dem Land besuchen. Doch es hatte geschneit. Die Straßen waren rutschig. Du hattest dich für zwei Sekunden abgeschnallt, um dein Sweatshirt von der Ablage zu holen, weil dir kalt war. Ich sagte noch, dass du angeschnallt bleiben sollst, aber du meintest, dass schon nichts passieren würde. Plötzlich war dieses Auto vor uns. Es raste auf uns zu und dein Dad hatte keine andere Möglichkeit, als nach rechts auszuweichen. Wir kamen von der Fahrbahn ab und knallten gegen einen Baum. Niemandem war etwas Ernsthaftes passiert, nur du warst bewusstlos, weil du mit deinem Kopf gegen die Lehne des Vordersitzes geprallt bist. Wir brachten dich ins Krankenhaus. Die Ärzte sagten, dass du ein Schädeltrauma hättest. Du lagst wochenlang im Koma. Deine Verletzungen sind geheilt, die Ärzte konnten sich nicht erklären, warum du nicht aufwachtest. Sie sagten, dass sie nichts mehr für dich tun könnten und wir dich mit nach Hause nehmen können. Sie erklärten uns auch, dass wir uns keine großen Hoffnungen machen sollen, da es sein kann, dass du nie wieder aufwachst. Aber da bist du und redest mit mir...", sagte sie.

Während ihrer Erzählungen waren Tränen in ihre Augen getreten und trotz der Tatsache, dass mir diese Frau fremd war, wollte ich sie in den Arm nehmen. "Aber warum kann ich mich an nichts erinnern?", fragte ich verwirrt. "Die Ärzte sagten, dass eine Amnesie nicht auszuschließen ist. Ein so lang andauerndes Koma hat schwerwiegende Folgen. Aber ich bin einfach nur froh, dass du wach bist. Den Rest bekommen wir schon wieder hin.", machte sie mir Hoffnung und legte eine Hand auf Meine. Ich lächelte. Es war schön zu wissen, dass man nicht allein war. "Ich muss deinen Dad und Jess wecken. Sie werden ausflippen.", rief sie erfreut und hüpfte beinahe aus dem Zimmer. Ich atmete tief durch. Das war alles etwas viel auf einmal. Meine Mutter kam mit zwei weiteren Gestalten zurück. Der Mann hatte dunkelbraune Haare und Augen, seine Statur war groß und sportlich. Als er mich sah, blinzelte er, als könnte er seinen Augen nicht trauen. Er stürmte auf mich zu und schloss mich in seine Arme. "Meine Kleine", flüsterte er erleichtert in mein Ohr. Ich legte langsam die Arme um seinen Rücken und erwiderte die Umarmung.

"Jim, lass sie erstmal Luft holen. Ich habe dir doch gesagt, dass sie sich an nichts erinnert.", versuchte mein Mom ihn zu bremsen. "Ich weiß. Tut mir leid, Kate.", entschuldigte er sich, doch es klang nicht aufrichtig. Jetzt begutachtete ich das Mädchen näher. Sie sah jünger aus als ich, vielleicht 16. Sie trat langsam näher und sah mich fragend an. "Du weißt also nicht, wer wir sind?", fragte sie tonlos. Ich schüttelte erneut den Kopf. Sie nickte und sah zu Boden. Dann plötzlich sah sie mir fest in die Augen und begann zu reden. "Ich bin Jessica Miller. Alle nennen mich Jess, nur du sagst Jay. Ich bin deine kleine 16-Jährige Schwester. Wir streiten uns oft, aber trotzdem halten wir immer zusammen, vor allem gegen Mom und Dad. Wenn du dich aus dem Haus schleichst, um auf eine Party zu gehen, die sie dir verboten haben, decke ich dich immer. Ich leihe mir oft ungefragt deine Sachen aus, was fast jedes Mal zu einem Streit führt. Trotzdem verzeihst du mir jedes Mal.", erzählte sie. Ich lächelte. Dieses Mädchen wusste offenbar viel über mich. "Würdest du mir noch mehr über mich erzählen?", fragte ich sie bittend. Sie nickte begeistert.

Unsere Eltern, es war immer noch komisch das zu sagen, verließen lächelnd das Zimmer. Jess setzte sich neben mich und begann. "Du bist Joy Miller, meine große Schwester. Du bist vor kurzem 18 geworden, um genau zu sein am 13. Oktober. Du hast eine riesige Party geschmissen, auf der alle deine Freunde waren. Auch dein großer Schwarm Brad Thompson ist gekommen. Allerdings warst du so betrunken, dass du in die Büsche erbrochen hast und den Rest der Party verschlafen hast. Deine beste Freundin ist Kayla Simmone, du kennst sie schon seit der 1. Klasse. Dein bester Freund ist Ben Clancy, ich vermute ja, dass er heimlich in dich verliebt bist, aber du hast das immer abgestritten. Du bist Cheerleader-Captain und eins der beliebtesten Mädchen der Schule. Es gibt niemanden, der dich nicht mag. Obwohl, fast niemanden. Ashley Proude hasst dich. Es geht das Gerücht um, dass ihr Ex-Freund, Brad, nur wegen dir mit ihr Schluss gemacht hat. Deine Noten sind super und jeder Lehrer kann dich gut leiden. Nach der Schule möchtest du ein Stipendium an der Brown-University bekommen. Du bist gerade in deinem letzten Schuljahr. Die zwei peinlichen Menschen, die du vorhin gesehen hast, sind unsere Eltern. Kate Miller, 48 und Lehrerin und Bill Miller, 50 und Immobilienhändler. Die beiden sind seit 23 Jahren verheiratet und manchmal noch so verliebt, wie am ersten Tag.", als sie das sagte, verdrehte sie die Augen. Ich musste kichern. "Wir leben hier in unserem Haus in Huntington. Dein Traum ist es die Welt zu bereisen und so viele Abenteuer wie möglich zu erleben. Langsam fällt mir nichts mehr ein.", gab sie lachend zu. Ich lächelte. Sie hatte mir einen tollen Einblick in mein Leben geschenkt. Ich wusste zwar immer noch nicht, ob das alles stimmte, da ich mich an absolut nichts erinnern konnte, aber zumindest hatte ich in etwa eine Vorstellung, wer ich war.

Plötzlich hörten wir einen Ton hinter uns. Ich drehte mich um. "Das geht schon seit dem Unfall so. Alle möglichen Leute wollen wissen, wie es dir geht. Wir haben nur Kayla und Ben zu dir gelassen. Wir wollten nicht, dass alle Leute von deinem Koma mitbekamen.", erklärte Jess. Jetzt erkannte ich die Quelle der Musik. Ein Handy bzw. wohl mein Handy. Ich nahm es an mich und entsperrte es. Zig Nachrichten wurden angezeigt. Hunderte von Namen, die ich noch nie gehört hatte, standen dort. Alle wollten wissen, wie es mir geht. Drei Namen fielen mir auf. Kayla, Ben und Brad. Jess hatte von ihnen gesprochen. Sie hatten die meisten Nachrichten verschickt. Brad fragte jeden Tag, wie es mir ging, offenbar wusste er nicht besonders gut Bescheid. Kayla und Ben schrieben mir diverse Nachrichten, in denen sie von ihrem Tag erzählten. Sie wollten mich wohl auf dem Laufenden halten. In einer Nachricht von Kayla hieß es: B. hat heute zum ungefähr millionsten Mal nach dir gefragt. Ich glaube, er steht richtig auf dich. A. scheint erfreut über dein Fernbleiben zu sein. Ich könnte ihr den Hals umdrehen. Ben geht es immer schlechter. Ich versuche ihn so gut wie möglich zu trösten, aber er vermisst dich sehr. Ich dich übrigens auch. Komm bitte bald zu uns zurück, ich hab dich lieb!" Ich lächelte.

Auch wenn ich sie nicht kannte, sie klang so, als würde ihr etwas an mir liegen. Nachdem ich alle Nachrichten gelesen hatte, Ben hatte mir in etwa dieselben Nachrichten geschrieben wie Kayla, drehte ich mich wieder zu Jess. Sie hatte die ganze Zeit gewartet. Lächelnd sah sie mich an. "Ich kann mich zwar an nichts erinnern, aber trotzdem fühle ich mich hier wohl. Ich glaube, ich werde nicht so große Schwierigkeiten haben, mich einzugliedern.", meinte ich zuversichtlich. Jess sah erfreut über meine Aussage aus. Es schien, als läge ein schönes Leben vor mir.



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