6.) Edwards Gedanken

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Als wir auf einen Tipp von Sam hin auf Jakes Haus zueilten machte ich mir nicht die Mühe, Bella von ihrer Wut abzubringen, denn einerseits Verstand ich ihre Reaktion nur zu gut und andererseits ließ sich ihr Temperament einfach kaum zügeln.
Aber trotz der Tatsache, dass ich ihre Gefühle verstand, konnte ich nicht von mir behaupten, genauso wütend zu sein. Das hing nicht zuletzt damit zusammen, dass ich genau wusste, was in Nessies Kopf vor sich ging.

In letzter Zeit wurden Renesmees Gedanken ruhiger und erwachsener, passend zu ihrer äußeren Erscheinung. Immer wieder dachte sie an Jake und die Gefühle, die sie neuerdings mit ihm verband. Sie Verstand es nicht, da er immer schon ein Teil ihres Lebens gewesen war, ihr bester Freund, ihr Bruder.
Ich hütete mich, sie darauf anzusprechen, denn eigentlich wollte ich nicht in ihren Kopf sehen, aber ich konnte nun mal nichts gegen diese Gabe tun.
Auch bemerkte ich Jakes Gedanken, die immer wieder um sie und ihre möglichen Reaktionen auf sein Geständnis kreisten. Er fragte sich, was sie wohl von ihm denken könnte, wenn er es ihr sagen würde und sie fragte sich, was er wohl von ihr denken würde, wenn sie einfach ihre Gedanken ausleben würde.
Sie dachten also das gleiche und, wie ich fand, gab es deshalb keinerlei Grund für mich, einzugreifen.

Es würde sich schon alles Regeln. Ich hatte durch die Zeit, die ich mit Sam und den anderen Wölfen aus den beiden Rudeln verbracht hatte, viel über das Prägen erfahren.
Es war noch viel mächtiger, viel stärker, als das Band, das uns Vampire miteinander Verband. Es ist, als würde von der Person, auf die man geprägt wurde, eine Art Gravitation, eine Anziehungskraft ausgehen, derer man sich nicht verwehren kann.

Als wir die beiden endlich gefunden hatten und ich Bella einigermaßen beruhigen konnte, machten wir uns gemeinsam wieder auf den Weg zurück zu den Zelten. Natürlich fragte ich mich, was die beiden allein und schlafend in seinem Haus taten, doch ich wusste, dass er niemals etwas tun würde, was sie nicht wollte und das beruhigte mich etwas. Außerdem konnte ich mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass er Nessie „verführt" hätte.

Renesmee wirkte verschlafen, hatte Ringe unter den Augen, die nicht nur vom Durst herrührten. Ihr Kopf war buchstäblich leer, sie dachte an nichts, als sie versuchte, der Schlaftrunkenheit zu entkommen.
Und auch Jake schien die Nacht etwas mitgenommen zu haben, soweit ich das beurteilen konnte. Doch auch seinen Gedanken konnte ich keine Informationen über die vergangene Nacht entnehmen, denn er versuchte mit aller Macht nicht daran zu denken, was immer es auch war.

Dann blieb Renesmee jedoch wie vom Blitz getroffen stehen und ich sah, was sie so fürchterlich erschrecken ließ.
Ich sah die Bilder klar und deutlich vor meinen Augen, als wäre ich selbst dabei gewesen.

Sie waren also ins Haus gegangen, um etwas zu trinken und dann war es einfach passiert. Das passte natürlich auch zu den Glassplittern und den Wasserflecken, die mir vorhin in der Küche aufgefallen waren.
Ich wollte wirklich nicht mehr sehen, doch wieder einmal konnte ich nichts gegen die Informationen tun, die sich ungefragt in meinem Kopf ausbreiteten. Wenigstens hatte er aufgehört, das war ihm hoch anzurechnen.

Was mich allerdings stutzig machte - und damit stimmten meine Gedanken zu einhundert Prozent mit denen von Jake überein, auch, wenn ich nicht betrübt daran dachte sondern das ganze eher objektiv beurteilte - war, dass sie gar nichts auf sein Geständnis erwidert hatte, sondern nur in wortloses schluchzen ausgebrochen war.

Es wird wohl die Müdigkeit und die Gefühlsträchtigkeit der Situation gewesen sein, die sie verstummen ließ.
Dann bemerkte ich Bellas besorgten Blick auf Renesmee, welche immer noch in Gedanken versunken war.

Biss - die nächste GenerationWo Geschichten leben. Entdecke jetzt