7.) Ohne Worte

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Renesmees Sicht

Der Flug schien ewig zu dauern. Wieder saß ich neben Jake und obwohl die Erste-Klasse-Sitze sehr bequem waren, fühlte ich mich unwohl. Ich saß am Gang und konnte nicht einmal aus dem Fenster gucken. Also starrte ich einfach nur vor mich hin und überlegte fieberhaft, was ich noch tun könnte, um die Situation zu retten.

Mehr als einmal bemerkte ich Jakes Blick auf meinem Gesicht, aber ich hütete mich davor, ihn zu erwidern. Ich biss mir auf die Unterlippe und grübelte weiter.
Sagen konnte ich ihm nichts, so viel war schon mal klar. Erstens konnte ich kaum in Worte fassen, was ich im Moment fühlte, und zweitens würde ich wahrscheinlich nie die richtigen Worte finden. Nur für einen kurzen Augenblick sah ich zu ihm; er schien zu schlafen.

Völlig am Ende mit meinem Latein, stiegen mir wieder die Tränen in die Augen. Ich wusste, wenn ich jetzt nicht etwas tat, hatte ich es für immer vermasselt. Ich senkte den Blick und sah zufällig auf seine Hand, die auf der Armlehne zwischen uns lag. Wie ich so auf seine Finger blickte, hatte ich eine Idee.
So heiß, wie sich meine Wangen anfühlten, musste ich wohl mal wieder knallrot sein, also bemühte ich mich, mich wieder zu beruhigen und sah wieder auf den blauen Teppich auf dem Gang.
So leise wie möglich atmete ich einmal tief durch und zwang meine Hand dazu, sich zu bewegen. Ich spürte deutlich, dass ich zitterte, doch ich achtete nicht weiter darauf. Ich hatte genug damit zu tun, nicht zu Hyperventilieren.
Die Welt um mich herum schien still zu stehen, als ich meine Hand langsam auf seine legte. Er zuckte zusammen - vielleicht hatte ich ihn geweckt - aber ich griff seine Hand und hielt sie fest. Einen Moment dauerte es, dann schien Jake zu begreifen, was ich ihm sagen wollte und als er mich ansah, schickte ich die Worte, die ich einfach nicht aussprechen konnte, als Gefühle in seine Gedanken.

Ich erschrak, als er plötzlich unsere Hände hob und mit einem Finger meine Wange streichelte, dabei eine Träne wegwischte. Langsam hob ich den Blick und unterdrückte ein Schluchzen, als ich in seine dunklen, liebevollen Augen blickte.
Er küsste meine Stirn und ich legte den Kopf an seine Schulter. Er verstand, was ich ihm mitteilen wollte und, was noch schöner war, als ich mir jemals erhofft hatte, er erwiderte diese Gefühle. Mit seiner Wärme neben mir und all den belastenden Gedanken von meinem Herzen konnte ich ruhig einschlafen.

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Jakes Sicht

Seufzend ließ ich mich in den Sitz fallen und starrte aus dem Fenster.
Das hatte ich ja mal wieder wunderbar hingekriegt. Glückwunsch, Jake.
Ich hätte doch wissen müssen, dass sie so reagiert. Schließlich war ich jahrelang wie ein Bruder für sie gewesen, sie kannte mich schon ihr ganzes Leben lang. Wir hatten zusammen gespielt, als sie noch kleiner war, zusammen gelernt, als es für sie an der Zeit war, mit der Schule anzufangen und ich hatte ihr sogar die Gute-Nacht-Geschichten vorgelesen. Für wie krank musste sie mich jetzt wohl halten?
Hin und wieder wagte ich einen Blick auf sie, doch sie sah nur geistesabwesend auf den Hinterkopf des Typen vor ihr. Irgendwann gab ich auf und schaffte es, einzuschlafen.

Mit einem Schrecken wachte ich wieder auf, als Nessie ihre zitternde Hand auf meine legte und meine Finger mit ihrem umschloss. Einen Moment dauerte es, bis ich begriff, was das zu bedeuten hatte und ich glaubte, wenn alle Menschen meine Gedanken hören könnten, nicht nur Edward, dann wäre dem Piloten wohl das Trommelfell geplatzt. Sie schickte mir mit einem etwas ängstlichen Unterton ihre Gefühle, keine Worte, keine großen Bekundungen.
Sie liebte mich.
Ich sah sie an und eine Träne lief ihr über die Wange, die ich langsam von ihrer Haut streichelte. Und dann, endlich, sah sie mich an. Vorsichtig zog ich sie an mich und sie lehnte ihren Kopf an meine Schulter, ihr zarter Duft stieg in meine Nase.
Kurz darauf schlief sie ein. Ich lächelte, als sie sich schwerer gegen mich lehnte, denn ich hatte bemerkt, dass sie wohl wenig bis gar nicht geschlafen haben musste, so müde, wie ihre Augen ausgesehen hatten, als wir zusammen beim Frühstück gesessen hatten.

Ich konnte es nicht fassen, dass sie genauso für mich fühlte, wie ich für sie. Zwar hatte sie die „berühmten drei Worte" noch nicht ausgesprochen, aber ich verstand auch ohne sie. Den Rest des Fluges schlief sie und ich beobachtete sie dabei. Vorsichtig strich ich ihr eine letzte Träne aus dem Gesicht.
Sie war einfach wunderschön, wie sie schlief, wie ein Engel. Mein Engel.
Ich seufzte glücklich und lehnte meinen Kopf an ihren, der auf meiner Schulter lag. Dann hörte ich die Ansage des Flugpersonals, dass wir bald landen würden. Ausgerechnet in einem so schönen Moment mussten sie mich buchstäblich wieder auf den Boden der Tatsachen zurückholen, dachte ich grummelnd. So vorsichtig wie Möglich überprüfte ich, ob Nessie auch angeschnallt war, dann schnallte ich mich selbst wieder an.

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Wenig später trug ich Nessie auf meinem Rücken auf den Nordausgang des Flughafens zu. Zwar hatte ich versucht, sie zu wecken, als wir gelandet waren, aber sie hatte sich von mir nicht stören lassen und geschlafen, wie ein Stein. Nachdem Edward, Bella und ich über eine halbe Stunde lang versucht hatten, sie zu wecken, hatte ich beschlossen, sie aus dem Flugzeug zu tragen.
„Sie hat die letzte Nacht nicht geschlafen ...", murmelte Edward neben mir und hatte wohl meine Gedanken bemerkt.
„Gar nicht?", wollte ich wissen und er schüttelte den Kopf.
„Nein, sie hat nur gegrübelt. Und frage nicht, über was, denn dabei habe ich mich selbstverständlich zurück gehalten.", sagte er dann und ich lachte leise und streichelte ihren Arm, der über meiner Schulter hing.
„Ich kanns mir denken, ich habe auch lange gebraucht, um einzuschlafen. Ab jetzt wird es besser.", bemerkte ich zuversichtlich und Edward sah mich an, ein leichtes Lächeln auf seinen Lippen. Er legte seine Hand auf meine Schulter und deutete auf den Ausgang.
„Das weiß ich, aber ich hoffe, du bist dir der Verantwortung uns gegenüber bewusst..", erwiderte er und ich lachte auf.
„Na ja, ich hoffe doch."

Draußen wartete schon unsere Familie auf uns. Natürlich regnete es und natürlich fielen sie mal wieder am meisten auf. Die zwei schimmernden, großen, teuren Importwagen, vor denen sie standen, trugen ihren Teil zum Gesamtbild bei.
Von Alice und Emmett fing ich mir ein dickes Grinsen ein, als sie mich mit Nessie sahen.
„So so.", murmelte Jasper und zog eine Augenbraue hoch, als er unsere Gefühle mal wieder ungefragt inspizierte.
Ich sagte nichts, sondern stieg ein und versuchte, Renesmee irgendwie ins Auto zu bekommen und anzuschnallen, ohne sie wieder zu wecken.
Sie schlief auch die ganze Fahrt durch und ich musste sie wieder tragen, als wir Zuhause waren und die Treppe hinaufgingen. Edward trug unsere Koffer und als wir allein waren klopfte er mir auf die Schulter.
„Danke, danke ....", murmelte ich, dann sah ich kurz über meine Schulter. „Aber ... bist du nicht sauer oder so?"
„Wieso sollte ich", fragte er.
„Na ja .... Sie ist immerhin deine Tochter.", murmelte ich verlegen.
„Aber ich weiß, dass sie bei dir immer glücklich sein wird und dass du sie vor allem beschützen kannst, was noch auf uns zukommt.", sagte er und stellte die Koffer im oberen Flur ab.
Ich trug Nessie in ihr Zimmer und legte sie auf ihr Bett. Edward kam hinter mir her und Deckte sie mit einer leichten Decke zu. Dann gingen wir leise aus dem Zimmer.

„Weiß Bella schon davon?", fragte ich leise, als ich meinen Koffer nahm.
„Nicht wirklich .... Natürlich hat sie euch im Flugzeug gesehen, aber so viel wie ich weiß sie nicht.", antwortete er grinsend.
Ich seufzte. Das hieß wohl, ich müsste bald in die Höhle des Löwen.
„So schlimm wird es nicht werden.", sagte Edward als Antwort auf meine Gedanken.
„Sie wird mich sowieso zuerst ausfragen. Ich werde es ihr schon ohne größere Details beibringen, keine Sorge. Wir werden mit den anderen jagen gehen, also pass gut auf Nessie auf. Esme hat dir Abendessen gemacht, wenn du noch Hunger hast.", erklärte er dann und ich nickte lächelnd und dankte ihm noch einmal, denn schließlich half er mir bei der ganzen Angelegenheit sehr.
Dann klopfte er mir noch einmal auf die Schulter und ging.

Nachdem die anderen weg waren, zog ich erstmal mein T-Shirt aus. Irgendwie hatte ich mich während meiner Zeit in La Push so daran gewöhnt, dass es komisch war, wieder den ganzen Tag angezogen sein zu müssen. Und bei meiner Körpertemperatur war es auch so warm, dass es mir unwohl war. Im Haus lief ich sowieso meistens so herum.
Danach warf ich mich aufs Sofa und aß erstmal was, denn wie immer knurrte mein Magen schon. Esmes Kochkünste waren wirklich unglaublich, aber leider kam dazu nichts Gutes im Fernsehen. Bald schaltete ich das Gerät im Wohnzimmer aus und ging im Dunkeln zurück in die Küche. Ein ordentliches Essen forderte schließlich einen ordentlichen Nachtisch, fand ich zumindest.

Biss - die nächste GenerationWo Geschichten leben. Entdecke jetzt