Roy sah mich ungläubig an und musterte mich abfällig. „Das ist der neue Archer?!" spottete er. „Das kleine Ding läuft doch vor einem Grashüpfer davon" Lachte er. Ich fühlte mich unwohl. So verspottet zu werden hatte ich eigentlich nicht erwartet. Ich war wohl schon zu lange weg von zu Hause, denn normalerweise machten mir solche Sprüche nichts aus -sie waren schließlich nichts im Vergleich zu Abrin. Dennoch trafen mich die Dinge härter als erwartet. Elija schien das zu bemerken und stoppte das Lachen der anderen. „Hey! Hört auf. Wir haben alle mal so angefangen, schon vergessen?" warf er in die Runde. Ren sah betroffen zu Boden und auch Tory verzog das Gesicht. Roy verdrehte hingegen nur die Augen und schmiss mir ein paar Boxhandschuhe zu. „Na dann zeig mal was du drauf hast, Archer."
Nervös schluckte ich. Damit hatte ich nicht gerechnet! Ich konnte doch überhaupt nicht mehr Boxen! Wie sollte ich da nur wieder rauskommen?! Ich atmete zitternd ein -ganz ruhig Cassia! Probier es einfach aus. Das ist zwar schon lange her aber bei Ares sah das auch nicht so schwer aus- versuchte ich mich selbst zu überzeugen. Tory warf Roy einen warnenden Blick zu, dieser jedoch schaute unbeeindruckt zu ihr rüber. „Roy ich finde das hat noch etwas Zeit..Es ist ihr erster Tag als Mitglied. Wir wollen sie doch nicht sofort verschrecken" Versuchte Elija die Situation zu entspannen, doch ich zog mir schon die Boxhandschuhe an. Ich würde es auf jeden Fall einmal versuchen. Ich war kleiner und schneller als er, das war mein Vorteil. Nun musste ich das Ausweichen nur noch genauso gut hinbekommen, wie Ares es eben schaffte. Dann könnte ich mich wenigstens im Ring halten und das war momentan mein einziges Ziel fürs Erste.
Ich krempelte die Ärmel meiner Bluse hoch und stieg langsam in den Ring. Mein Herz klopfte und meine Hände zitterten, durch die Aufregung. Mein Blick schweifte flüchtig zu Soma, der mich aufmerksam musterte. -Okay, jetzt darfst du nicht versagen!- sagte ich zu mir und versuchte mich daran zu erinnern, wie Ares sich vorher angestellt hatte, versuchte mich an seine Bewegungen zu erinnern. Roy baute sich vor mir auf und hielt mir seine Faust hin. Erschrocken zuckte ich ein kleines Stück zurück was Roy nur mit einem spöttischen Grinsen quittierte. Wütend auf mich selbst schlug ich letztlich doch ein und wir gingen ein paar Schritte auseinander. Ich blendete alles um mich herum aus und konzentrierte mich nur noch auf den muskelbepackten Schrank vor mir. Ich achtete auf seine Bewegungen, immer bereit auszuweichen falls es nötig wäre. Ich erinnerte mich nur wage daran, wie Dad und ich früher immer im Garten trainierten, um mich im Ernstfall gegen Abrin wehren zu können. Er zeigte mir ein paar Kniffe, doch das war schon so lange her..ich hoffte darauf das mein Körper sich an die Bewegungen erinnern würde.
„Du musst den Gegner im Auge behalten, seine Schritte beobachten, was tut er bevor er zuschlägt..du wirst dadurch anfangs etwas einstecken müssen aber dafür bist du für die nächsten Schläge umso besser vorbereitet und kannst sie vorhersehen." Pflegte Dad zu sagen. Damals hielt ich dieses Training für sinnlos, da ich mich sowieso nie getraut hätte mich gegen Abrin zu wehren. Ich verfluchte mich gerade dafür dem Ganzen nicht mehr Beachtung geschenkt zu haben, denn momentan würde es mir wirklich viel nutzen. Aber nun war es eben so und ich musste das irgendwie hinbekommen -ich durfte nicht verlieren!
Roy täuschte die ersten Schläge an, und ich versuchte mir zu merken, wie es aussah wenn er zum Angriff überging. Ich selbst hatte nicht vor anzugreifen, sondern legte meinen Fokus aufs Ausweichen und abwehren, doch das wusste Roy ja nicht. Schließlich sah ich, wie er seinen rechten Fuß nach vorn schob. Das verriet mir, das er mit seiner rechten Hand zuschlagen würde, selbst wenn er mit seiner Linken ausholte -so ganz umsonst schienen die Trainingsstunden mit meinem Dad doch nicht gewesen zu sein. Ich wich also nach Links aus und brachte Roy damit durcheinander weshalb er etwas taumelte. Ich sah meine Chance und traf ihn mit meiner rechten Faust auf Höhe der Milz. Mit schmerzverzehrtem Gesicht sprang er schnell einige Schritte nach hinten. Ich wusste ich wollte eigentlich nicht angreifen, doch so eine Chance bot sich mir vermutlich nur einmal. Ich sah Belustigung in Roys Augen und ein freches Grinsen bildete sich auf seinem Gesicht. „Ich muss zugeben du hast mich überrascht, doch wenn du denkst ein solcher Schlag würde bei mir reichen dann liegst du falsch." Forderte er mich heraus, doch darauf würde ich nicht anspringen. Ich wusste er wollte mich provozieren. Also blieb ich ruhig und konzentrierte mich weiterhin darauf seinen Schlägen auszuweichen. Diesmal täuschte er vor seinem Schlag leider nicht an, weshalb ich seine Schrittfolge nicht vorhersehen konnte und meine Deckung nicht rechtzeitig koordinierte. Er traf mich mit einem harten Schlag auf dem Brustbein und ich musste anfangen zu husten. Keuchend taumelte ich ein paar Schritte zurück und verzog mich in meine Ecke des Rings um wieder zu Atem zu kommen, doch Roy ließ mir dafür keine Zeit. Ich versuchte schnell herauszufinden was er plante und erinnerte mich daran mit welcher Faust er eben zuschlug. Es war eindeutig seine Linke. Seine linke Hand war seine Schlaghand. Zuvor hatte er mich nur in die Irre führen wollen, als er mit rechts zuschlug. Also sprang ich mit letzter Kraft nach rechts um seiner Faust zu entgehen. Ich stützte mich noch immer hustend auf den Seilen ab während Roy sich bereits umdrehte. Ich machte mich bereits für den nächsten Schlag bereit und hob meine Deckung, als ich sah das Roy sich die Handschuhe auszog und auf mich zukam. Verwundert hielt ich inne und wartete auf seinen nächsten Zug. Er streckte mir die Hand hin und ich ließ meine Deckung sinken.
„Du musst noch viel lernen, aber Potential ist auf jeden Fall da. Ich hab dich wohl unterschätzt, Archer." Sagte er mit einem frechen Grinsen im Gesicht. Verwundert und erleichtert zugleich zog auch ich nun meine Boxhandschuhe aus und reichte ihm die Hand. Ich nickte ihm nur lächelnd zu und verließ den Ring. Als ich die anderen vier ansah musste ich anfangen zu lachen. Ihnen schienen die Gesichtszüge entglitten zu sein, denn sie alle starrten mich entgeistert an.
„Hört auf mich so anzustarren!" murmelte ich peinlich berührt.
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-Cassia-
Teen Fiction„Manche Sätze brennen sich in dein Gedächtnis und du bekommst sie dort nicht mehr raus, egal was du tust." -Unkonwn Cassia - Ein 15 jähriges Mädchen, dass auf den ersten Blick völlig normal erscheint. Doch sieht man genauer hin, kann man tiefe Traue...