-Kapitel 27-

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Die nächsten zwei Wochen sprachen Tory und ich kein einziges Wort mehr. Alles ging seinen geregelten Gang -völlig ohne Worte. Ich war froh darüber so musste ich mir wenigstens keine dummen Anschuldigungen mehr anhören. Auch die Beobachtungen hörten auf, oder zumindest sind sie besser geworden falls sie es noch immer taten.  Doch es kümmerte mich nicht. Ich genoss die Freiheit dieses Internats. Ich konnte endlich normal zur Schule ohne mich verstecken zu müssen, ohne von jemandem gepisackt zu werden und ohne Angst zu haben, um die nächste Ecke abzubiegen. Es war ein herrliches Gefühl und ich genoss es in vollen Zügen.

Hin und wieder telefonierte ich mit meinen Eltern und sie erzählten mir, dass Abrin verurteilt wurde und nun eine saftige Geldstrafe zu zahlen hatte sowie sozialstunden leisten musste. Ich musste grinsen, als sie mir das erzählten. Es half mir zwar nicht, denn das Zeug war noch immer aufrufbar, doch ich bekam mit, dass es sich zum Glück nicht ausbreitete. Jeder, der es auf seinem Handy hatte oder irgendwo geteilt hatte wurde aufgefordert es zu löschen und aus dem Netz zu nehmen. Immerhin konnte man den Schaden etwas in Grenzen halten durch dieses Urteil. Hoffentlich würde das Delta niemals verlassen.

Ich ließ mich erschöpft auf die Bank fallen. Mittagspause war angesagt und ich war wirklich fast vorm Verhungern. Ich las nebenher noch etwas in unserer Pflichtlektüre bis unsere Spalte dran war. Nathan der Weise war wirklich ein unerträglich langweiliges Buch. Ich mochte es nicht, doch bald standen die Zwischenprüfungen an und ich musste einfach gut abschneiden. Hier an der Bolt Manor schrieb man keine Klassenarbeiten im konventionellen Sinne sondern man schrieb alle drei Monate eine Zwischenprüfung, deren Noten in die Endbewertung einflossen. Also musste ich mich mit diesem literarischen Mist befassen. Als unsere Spalte endlich dran war stand ich auf ohne vom Buch aufzusehen. Ich kannte den Weg nun schon auswendig und konnte meinen Platz selbst blind finden. Ich verfluchte mich dafür keinen Textmarker mitgenommen zu haben, da ich eine wichtige Passage fand und griff mir beiläufig einen Teller. Ich sah nur kurz zu den Speisen, die angerichtet waren und entschied mich für überbackene Penne in Kräuter- sahne- soße. Ich balancierte mein Tablett in der linken Hand und hielt mein Buch in der Rechten. Ich war so vertieft in mein Buch, dass ich nicht merkte, wie ich direkt auf einen Jungen aus dem Gebäudeteil -11- zusteuerte. Er hingegen sah mich schon kommen, doch ging mir nicht aus dem Weg. Ich streifte ihn leicht mit meinem Buch und bemerkte endlich, dass es eng geworden war.

Der Kerl vor mir baute sich auf und schaute wütend auf mich herab. „Was fällt dir eigentlich ein?! Hast du keine Augen im Kopf?" brüllte er mich an. Ich verstand sein Problem nicht, es war ja nicht so als hätte ich ihn mit dem Tablett gestreift. Mein Blick verdunkelte sich „Was ist dein Problem? Ich hab dich nur leicht mit dem Buch erwischt, keine große Sache." Sagte ich und wollte schon weitergehen als er mich festhielt. „Oh nein du bleibst schön hier und entschuldigst dich gefälligst! So ein Verhalten lasse ich nicht durchgehen." Ich seufzte genervt und verdrehte die Augen „Lass mich los" raunte ich ihm zu.

Seit ich Abrin endlich losgeworden war hatte ich an meiner Selbstsicherheit gearbeitet. Vor allem der Vorfall mit Principal Welsh hatte mich dazu veranlagt. Und Tory, sowie Soma waren perfekte Übungspartner. Ich war noch nie auf den Mund gefallen nur hatte ich eben Probleme in ernsthaften Situationen meinen Mund aufzubekommen, doch das änderte sich allmählich. „Willst du wirklich einen Streit anfangen? Hier einfach so? Vor den Augen aller anderen?" fragte ich ihn noch immer leise. Er zog verwirrt die Augenbrauen zusammen.

„Spiel dich nicht so auf Jason! Jeder hat gesehen, dass du ihr nicht aus dem Weg gegangen bist, obwohl du genau gewusst hast, dass sie gegen dich prallt." Ertönte plötzlich eine mir bekannte Stimme. Ich drehte meinen Kopf zur Seite und erkannte Tory, wie sie mit verschränkten Armen vor der Brust neben mir stand. Verwundert hob ich eine Augenbraue. „Willst du dich wirklich mit mir anlegen Ferris?!" flüsterte Jason nun, doch Tory schien das kalt zu lassen. Sie machte einen Schritt auf ihn zu und zeigte ihm ihren rechten Arm. „Klar, wenn du das Echo vertragen kannst.." sie grinste teuflisch und ich konnte sehen, wie Jason vor Angst zurückwich. Überrascht hob ich die Augenbrauen und starrte Tory an. Sie hingegen krempelte ihren Ärmel wieder runter und grinste nur siegessicher. „Nein. Schon gut Ferris." Gab Jason kleinlaut als Antwort von sich und ging. Erstaunt sah ich ihm hinterher -was hatte sie ihm da genau gezeigt?- fragte ich mich und wandte meinen Blick wieder Tory zu. „Was schaust du denn so? Das hätte böse ausgehen können. Komm schon." Murmelte sie und zog mich mit sich. Verwundert über ihre Geste folgte ich ihr skeptisch. Sie setzte sich zurück an ihren Platz und deutete mir mich ihr gegenüber zu setzen. Einen Moment zögerte ich, doch ich entschied mich dazu mich hinzusetzen -sie hatte mir immerhin gerade geholfen. Ich nahm Platz und begann zu essen. Mein Buch steckte ich in meine Tasche. Ich sah, wie sie mich beobachtete, doch es kümmerte mich nicht. In den letzten Wochen hatte sie mich so oft beobachtet, dass es mir schon völlig gleichgültig geworden ist.

„Ich bin beeindruckt." Sagte sie und sah mich an. Ich hob meinen Blick und sah sie fragend an. „Achja, weswegen denn?" fragte ich sie und aß nebenher weiter. „Ich hätte nicht gedacht, dass du den Mumm hast dich mit Jason anzulegen." Antwortete sie mir knapp und begann nun ebenfalls zu essen. „Mit ihm legt man sich nämlich nicht einfach so an. Er ist zwei Klassen über uns und hält sich für einen Gott." Spottete sie. Ich sah sie weiterhin nicht an sondern aß ruhig weiter. „Aha. Wieso hast du dich dann eingemischt wenn es so eine dumme Idee ist?" fragte ich sie provokant. Ich sah, wie sie die Augenbrauen in die Höhe zog. „Verdammt Peers, seit wann bist du so schnippisch?" fragte sie lachend. Ich neigte meinen Kopf etwas zur Seite und sah sie mit einer hochgezogenen Augenbraue an. „Lange Geschichte." Gab ich knapp zurück. „Du hast dich ja ganz schön verändert, hmm? Kein Vergleich mehr zu dem kleinen unsicheren Mädchen, das ich am ersten Abend traf." Schmunzelte sie während ich sie weiterhin nur ausdruckslos anstarrte.

Es stimmte zwar, ich hatte mich verändert seit ich hier war. Ich war nicht mehr so unsicher, wie zuvor doch als -kalt- oder -abgestumpft- würde ich mich noch nicht bezeichnen. Wenn Tory mir eben mit Jason nicht geholfen hätte, wäre ich ganz schön am Arsch gewesen.

-Cassia-Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt