Ich lächelte und dachte nicht mehr groß darüber nach. Er war schließlich auch ehrlich zu mir gewesen, wieso sollte ich ihm also die Wahrheit vorenthalten?„Weil ich weiß, wie es ist keine Hilfe zu bekommen." Sagte ich leise und mein Lächeln verschwand. Ich erinnerte mich wieder daran, wie es war, als ich in meinem Zimmer saß und stundenlang weinte. Wie es sich anfühlte, mit meinem eigenen Essen und Trinken übergossen zu werden vor den Augen aller anderen. Wie sich kein einziger meiner Mitschüler dazu verpflichtet fühlte mir zu helfen. Ohja ich wusste genau, wie sich das anfühlte wenn man mit seinen Problemen komplett auf sich allein gestellt war. Vielleicht war das der Grund, weshalb ich ihm trotz seines dummen Verhaltens mir gegenüber geholfen hatte. Ich wusste es selbst nicht, doch das war die einzig mögliche Antwort, die mir momentan einfiel.
Ein seltsames und bedrückendes Schweigen breitete sich aus und ich konnte sehen, wie Ares sich überrascht und nachdenklich nach hinten lehnte. Ich hingegen nahm meinen Blick nicht von dem See vor mir. Er gab mir irgendwie Sicherheit und Ruhe. Einige Minuten lang verharrten wir in dieser Position bis Ares' Stimme die Stille durchbrach.
„Es sind die Narben nicht wahr?" fragte er leise und nahm einen Schluck aus seiner Flasche. Ich zog scharf die Luft ein, da ich nicht damit rechnete, das er sich das merken würde, geschweige denn das ihn dass insofern interessierte. Nervös schluckte ich und sah ihm in die Augen. Ich konnte nicht genau deuten, was in ihm vorging. Sein Blick verriet mir nichts konkretes, doch glücklich sahen seine Augen nicht aus. -Woher ich das beurteilen konnte? Naja ein Blick in den Spiegel reichte.-
Ich atmete tief ein und wieder aus und schloss die Augen. Ich spürte ein dumpfes Klopfen an meinem Arm und sah schnell hinunter. Es war Ares' Vodka Flasche, welche er mir hinhielt. Anscheinend wusste er, das hinter den Narben keine schönen Kindheitsabenteuer steckten. Dankend nahm ich die Flasche an und trank gleich mehrere Schlücke daraus. Ich setzte sie ab und überlegte fieberhaft, ob ich es ihm anvertrauen sollte. Ich meine, nicht einmal Soma oder Tory wussten darüber Bescheid, obwohl ich ihnen mehr vertraute als Ares. Irgendwas in mir sagte mir allerdings, das ich ihm vertrauen konnte. Ob es nun seine Augen waren, die mich mit derselben Leere ansahen, wie die meinen wenn ich in den Spiegel sah oder ob es seine Ehrlichkeit von vorhin war konnte ich nicht genau sagen.
Ich setzte mehrfach zu dem Versuch an ihm alles zu sagen, doch immer wieder kam nichts außer erstickten lauten heraus. Ares sah mich wissend an und stellte die Flaschen, die zwischen uns standen beiseite. Er rückte näher und nahm mir die Flasche, welche ich noch hielt aus der Hand und stellte sie zu den anderen, danach sah er mir tief in die Augen. Mehrere Sekunden lang starrten wir uns gegenseitig an bis er seinen Blick hob und mich zu sich zog. Überrascht von seiner Geste, konnte ich mich nicht bewegen und lies es einfach zu. Er schlang seine Arme sanft aber bestimmt um meinen Rücken und hielt mich fest. Als ich realisierte, das er mich in eine Umarmung schloss fühlte ich mich seltsam, so als würde ein Teil meiner Last von mir genommen werden, so als müsste ich das nicht mehr länger allein mit mir herumtragen, so als wäre ich nicht länger..allein. Ich merkte, wie sich meine Augen mit Tränen füllten, doch ich verbot es mir selbst zu weinen. Ares sollte nicht noch mehr meiner Schwäche sehen und so unterdrückte ich es stillschweigend weiter, wie all die Jahre zuvor auch.
Doch eines unterschied sich von der Vergangenheit. Dieses Mal stützte mich jemand. Ich genoss seine Umarmung sehr und erwiderte sie nach ein paar Minuten. Zaghaft fuhr ich mit meinen Händen an seiner Taille vorbei und klammerte mich regelrecht an seine Schulterblätter. Ich merkte, wie er sich unter meiner Berührung verkrampfte, doch er ließ es zu. Ich merkte, das es ihm unangenehm war also löste ich meine Hände langsam, doch er reagierte schnell darauf indem er mich noch enger an sich zog. Verwirrt legte ich meine Hände wieder enger an und hinterfragte es nicht weiter. Vielleicht war das seine Art sich zu bedanken, vielleicht wollte er mir dadurch helfen auch wenn es ihm unangenehm war. Wenn dies der Fall war, dann musste ich Tory wohl oder übel Recht geben, dann war ich wirklich etwas Besonderes.
Nach einiger Zeit lösten wir uns voneinander und Ares sah mich prüfend an. Ich hielt seinem Blick stand und stützte mich auf seiner Brust ab um ihm in die Augen sehen zu können.
„Alles okay?" fragte er mich leise mit rauer Stimme. Etwas durch den Wind nickte ich nur stumm und löste mich langsam komplett von ihm. Eine Zeit lang herrschte wieder Stille zwischen uns, obwohl wir uns noch immer so nahe waren. Irgendwann fand ich meine Stimme endlich wieder.
„Danke." Sagte ich leise und sah zu ihm auf. Ein ehrliches Lächeln bildete sich auf seinen Lippen und er sah mich mit einem funkeln in den Augen an. „Schon in Ordnung." Winkte er ab. Wir packten unsere Sachen zusammen und liefen nebeneinander her. Es war mittlerweile schon dunkel geworden und wir beide schienen denselben Gedanken gehabt zu haben. Es reichte für heute und ich war ihm sehr dankbar dafür, denn das Alles schien mich doch mehr mitzunehmen als ich es erwartet hatte. Sicher, ich müsste es eigentlich gewohnt sein, doch seit meiner Zeit hier in Acadia, hier an der Bolt Manor waren diese Dinge nur noch Erinnerungen für mich. Ich musste mich diesen Dingen nicht mehr Tag für Tag stellen, im Gegenteil, ich hatte sogar so etwas, wie eine Freundschaft. Möglicherweise trafen mich diese Erinnerungen deshalb so hart, weil ich nun wusste, wie es hätte sein können. Ohne Abrin.
Ares setzte mich vor dem großen schwarzen Schultor ab und stieg entgegen meiner Erwartungen mit aus. Ich sah ihn nur fragend an woraufhin er seine Augen verdrehte. „Jetzt schau nicht so. Du hast deine Jacke auf dem Rücksitz vergessen." Sagte er während er die hintere Tür des Wagens öffnete und meine Jacke herausholte. Eine leichte Enttäuschung machte sich breit, da ich für einen kurzen Moment vergessen hatte, wie Ares eigentlich war. -Worauf hoffte ich denn? Auf eine Umarmung zum Abschied?-
Kopfschüttelnd kam ich ihm einen Schritt entgegen und nahm ihm die Jacke aus der Hand. „Also Dankeschön für Alles und bis dann." Sagte ich als ich mich gerade Umdrehte und zum Gehen ansetzte. „Das ist deine Verabschiedung?" fragte er mich trocken und ich drehte mich erneut um. Ich verstand seine Frage nicht und runzelte die Stirn. Er kam ein paar Schritte auf mich zu und sah mich ernst von oben herab an. -Was zum Teufel wollte er denn von mir?- schoss es mir durch den Kopf und ich sah ihn weiterhin verwirrt an. „Ich..ich weiß nicht, wie sollte ich mich denn von dir verabschieden?" fragte ich und grinste dabei etwas, um die Situation zu entschärfen. Er sah nachdenklich zur Seite und nahm seine Hände aus den Hosentaschen. „Gute Frage, soll ich's dir etwa vorführen?" fragte er lachend und wirkte dabei etwas verunsichert. So kannte ich Ares überhaupt nicht und wunderte mich. „Das wäre eine Idee" erwiderte ich lachend und sah dabei zu Boden. Diese Situation war seltsam, für uns beide.
„Du bist doch so schlau wieso muss ein Mittelklasse Schüler dir das erklären?" fragte er provokant und ich hob herausfordernd eine Augenbraue. „Noten sagen nichts über die Intelligenz eines Menschen aus." Konterte ich siegessicher und zog mir nebenher meine Jacke an, da es langsam kalt wurde. Ares raues Lachen erfüllte die Luft und ich musste grinsen. Es war schön ihn so ehrlich und aufrichtig Lachen zu sehen, da es ein seltener Anblick war. „Na los komm her bevor ich meine Meinung ändere und dich einfach so hier stehen lasse." Murmelte er genervt und ich verringerte den Abstand zwischen uns. Er schloss mich in eine kurze aber feste Umarmung. Ich erwiderte diese, wie zuvor schon und genoss es erneut. Es tat gut von jemand anderem als den Eltern in den Arm genommen zu werden. „Bis nächste Woche dann du Pfeife, und sei pünktlich." Raunte er mir zu und ich musste kichern. „Natürlich, wie könnte ich dich auch warten lassen nachdem ich dich ja schließlich dazu zwinge was mit mir zu unternehmen." Murmelte ich in seinen Pulli und löste mich von ihm. Er schnaubte nur verächtlich, was mir erneut ein kichern entlockte. „Na los hau ab." Sagte er während er die Fahrertür öffnete. „Da ist jemand aber ein wirklich schlechter Verlierer." Lachte ich und ging ein paar Schritte rückwärts. Ich sah, wie er mir den Mittelfinger zeigte und sich ins Auto setzte. Ich lachte noch lauter und drehte mich schließlich komplett um und lief nun gezielt auf das Tor zu. Ich drückte den Knopf zum Öffnen und verschwand auf den Innenhof. Man hörte nur noch den Motor aufheulen, was mich grinsen lies. Mit einem guten Gefühl öffnete ich die schwere Eingangstür und trat ins warme. Auf halben Wege blieb ich stehen. -Er hatte mich doch noch umarmt.-
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-Cassia-
Teen Fiction„Manche Sätze brennen sich in dein Gedächtnis und du bekommst sie dort nicht mehr raus, egal was du tust." -Unkonwn Cassia - Ein 15 jähriges Mädchen, dass auf den ersten Blick völlig normal erscheint. Doch sieht man genauer hin, kann man tiefe Traue...