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Taehyung PoV

Ich wartete ungeduldig an der Treppe vor meinem Haus.

Seit Minuten stand ich in der Kälte, lief hin und her, um mich ein wenig aufzuwärmen oder checkte jede Sekunde mein Handy.

Es wäre logischer gewesen, wenn ich einfach drinnen geblieben werde, ehe es langsam dunkel wurde und ich mit Jungkook rechnen konnte. Doch ich musste einfach raus aus diesem Haus, dass sich zwar mein Zuhause nannte, aber keinesfalls eines war.

Seit Längerem beherrschte nur noch ein Thema unser Familienleben, wenn man es überhaupt so nennen konnte, und auch heute, als meine Eltern ausnahmsweise da waren, konnten sie nur über das reden. Über meine Zukunft.

Sie sprechen von Universitäten, welche, die scheinbar die besten des Landes waren, wägten ab, wie lange der Weg dahin wäre und welche wohl am ehesten zu mir passte.

Das Lustige dabei war jedoch; ich durfte nicht mitreden.

Es wird an unserem Esstisch gestritten  und diskutiert, was ich nach der Schule machen sollte und ich sass nur daneben und musste zuhören, ohne auch nur ein Sterbenswörtchen zu sagen.

Meine Interessen wurden nicht beachtet, geschweige denn verstanden. Das Einzige was zählte, war wie viel der Job mir einbringen würde und wie hochstehend er war.

Meine Mutter war lange Zeit dafür, dass ich doch Arzt werden sollte, was ich gar nicht so abwegig fand. Doch als sie hörte, dass ein Sohn ihrer Freundin ebenfalls Arzt war und nicht sonderlich gut verdiente, schmiss sie das Ganze über den Haufen.

Mein Vater jedoch war immer der Meinung, ich würde bestimmt einen guten Anwalt abgeben. Auf ein Jura Studium würde ich allerdings sehr gerne verzichten. Recht und Ordnung, Paragrafen, Verteidigung, Klienten, all das interessierte mich kein Bisschen, aber wer kümmerte sich denn schon um meine Meinung?

Somit diskutierte meine Familie also weiter und auch heute kamen sie auf keinen Entschluss, obwohl Jura scheinbar im Moment an der Spitze stand.

Ich selbst hatte mich auch mit dem Thema auseinander gesetzt, doch ich würde viel lieber nach der Schule die Welt entdecken.

Alles hinter mir lassen und einfach für ein Jahr oder zwei um den Erdball reisen, mir die Pyramiden in Ägypten ansehen, die Freiheitsstatue in New York oder das kristallblaue Meer in der Karibik.

Ich wollte Sonnenuntergänge am Strand verbringen, Spaziergänge durch Nadelwälder unternehmen oder einfach die Aussicht von einer Klippe aus geniessen.

Aber sowas würden meine Eltern ganz sicher niemals erlauben...

"Tae!", riss mich eine Stimme plötzlich aus meinen Gedanken und ich hob den Kopf an, nur um einem strahlenden Jungkook entgegen zu sehen.

"Hey", gab ich zurück und musste automatisch auch lächeln.

"Hast du sehr lange auf mich gewartet?", fragte er ein wenig besorgt und setzte sich auf die Treppe.

"Nein, nein. Schon gut", antwortete ich und nahm neben ihm Platz.

Einige Momente lang war es still, wir hingen unseren Gedanken nach und starrten hinaus auf die dunkle Strasse, die vor uns lag.

Ein leichter Wind streifte durch meine Haare und ich schloss kurz genüsslich meine Augen. Ich wünschte nur, es könnte immer alles so unbeschwert und einfach sein.

Wie sehr hoffte ich darauf, einmal so frei zu sein, wie dieser Wind. Zu jeder Zeit und ohne Schwierigkeiten überall hin zu gehen, über das Meer zu streifen oder durch die Blätter zu rauschen.

Ich fühlte mich eingeengt. Eingeengt in diesem Alltag, dieser nicht aufhörender Spirale aus Abläufen, dieser verdammten Eintönigkeit.

"An was denkst du?", fragte mich Jungkook leise.

Ich drehte mich zu ihm um, schenkte ihm ein kurzes Lächeln und wandte mich wieder dem Asphalt zu.

"An die Freiheit."

Der Jüngere seufzte und zog die Beine an seinen Körper, nur um kurz darauf seinen Kopf auf die Knie zu legen. Er trug schon wieder einen schwarzen Kapuzenpulli, dessen Ärmel viel zu lang waren und ihm bis zu den Fingerspitzen reichten, was das ganze Szenario nur noch süsser machte.

"Etwas was jeder will, aber niemand so wirklich hat", murmelte Jungkook und drehte den Kopf wieder zu mir. Ein undefinierbarer Ausdruck lag in seinen braunen Augen.

"Manchmal frage ich mich ob wir uns wirklich nach Freiheit sehnen oder eher einfach nur nach Ablenkung. Nach einem Entkommen aus dieser schrecklichen Trägheit der Welt."

Normalerweise war ich nicht eine Person, die die ganze Zeit daran dachte, wie grausam die Welt war oder wie grässlich es mir ging. Ich versank nicht gerne in Selbstmitleid, aber dieser Umzug, diese neue Schule und die nicht aufhörender Streitereien über meine Zukunft, wurden mir einfach zu viel.

"Ist etwas passiert, Tae?"

Ich schien wohl kein guter Geheimniswärter zu sein.

"Nur meine Eltern", murrte ich. Erneut werde ich ihm meine Probleme nicht aufdrücken. Er hatte mehr und wichtigere Bedenken als ich.

"Was haben sie denn getan?", fragte er weiter und ich hörte wieder dieses Interesse aus seiner Stimme.

"Ich will dich nicht nerven, Jungkook. Das ist doch alles belanglos", gab ich zu und fuhr mir seufzend durch die Haare.

"Mich nerven?" Der Jüngere sah mich verwundert an. "Wenn ich dich als nervend empfinden würde, würde ich wohl kaum jeden Abend hier stehen oder?"

Ja, er hatte Recht. Es würde nicht viel Sinn ergeben, wenn er hier auftauchen würde nur um sich genervt meine Lebensgeschichte anhören zu müssen. Aber die Schuldgefühle liessen mich trotzdem nicht los.

"Ich höre dir gern zu, Tae", meinte er mit sanfter Stimme und lächelte verlegen. "Es lenkt mich von meinen eigenen Problemen ab."

"Aber das ist doch der Punkt", entgegnete ich. "Du hast selbst Probleme, einiges schlimmere als meine und doch kümmerst du dich um mich? Wieso?"

Er lächelte immer noch, fuhr sich kurz durch die braunen Haare und zupfte dann an dem Ärmel seines Pullovers. Ein Rotschimmer war auf seinen Wangen zu sehen.

"Weil ich dich nett finde. Weil ich dich mag."

porcellan | vkookWo Geschichten leben. Entdecke jetzt