28. Mutter und Tochter

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Marlena genoss es aus vollem Herzen ihren Vater und ihre Mutter fest an sich zu drücken. Die Wärme die ihr von den Körpern ihrer Eltern zufloss schien die Kälte der allgegenwärtigen Trauer zu vertreiben.
Die drei Drachenreiter war ein Stück außerhalb von Ilirea gelandet um sich Zeit zu nehmen einander in Ruhe zu begrüßen.
"Man könnte ja fast meinen du freust dich uns zusehen." Legte ihr Vater als ich Marlena wieder von ihren Eltern löste.
Normalerweise wäre die junge Halbling auf diese spielerische Provokation ihres Vaters eingegangen und hätte sich mit ihm ein Wortgefecht geliefert. Heute jedoch stand ihr nicht der Sinn danach.
"Natürlich freue ich mich euch beide zu sehen. Ganz besonders in Anbetracht der Situation....."
Ein wenig von Marlenas Trübsinn strömten zurück in ihr Bewusstsein und schlug sich wohl auch in ihren Gesichtszügen nieder. Sowohl der Vater Eragon als auch ihre Mutter Arya lächelten verstehend.
"Wie geht es denn deinem Onkel?" erkundigte sich Eragon nach einer Weile.
Marlena zuckte unschlüssig die Schultern und begann von den Ereignisse der letzten Tage zu berichten.
"Ich denke ich werde einmal mit Murtagh reden." sagte Saphiras Reiter nachdenklich nachdem er den Bericht seiner Tochter gehört hatte.
Marlenas Mutter nickte zustimmend und Eragon entfernte sich von den beiden Frauen. Einige Augenblicke später stieg er auf Saphiras Rücken wieder in den Himmel und flog Richtung Ilirea.
Mutter und Tochter blickten ihm eine Weile nach dann spürte Marlena wie der Blick ihrer Mutter zu ihr wanderte.
Eine stumme Aufforderung lag in Aryas Blick aber ihre Tochter war nicht sicher was ihrer Mutter nun von ihr erwartete.
"Du hast keine einfache Zeit hinter dir oder?"
Mit diesen Worten baute Arya ihrer Tochter eine Brücke und diese nahm die Gelegenheit wahr Arm in Arm gingen die beiden Drachenreiterrinnen gefolgt von ihren Seelenpartner in Richtung Stadt.
Trotz der Worte ihrer Mutter wusste Marlena noch nicht recht wo sie beginnen sollte. Es fiel ihr schwer das was sie fühlte wirklich in Worten auszudrücken.
Arya erkannte offenbar die Notlage ihrer Tochter und fügte der "Brücke" noch einen weiteren Stein hinzu.
"Dein Vater und ich sind übrigens sehr froh dass du es geschafft hast dein Onkel zu überzeugen. Du hast eine schwierige Situation sehr erwachsen gemeistert. Ich bin stolz auf dich. Vielleicht möchtest du lieber mit deinem Vater darüber reden. Zwischen uns war es ja nicht immer einfach."
Nun konnte Marlena nicht länger schweigen.
"Es war vielleicht nicht immer einfach Mutter aber ich habe nie daran gezweifelt dass du mich liebst du das Beste für mich willst."
Unvermittelt blieb die Elfischereiterin stehen und blickte ihrer Tochter direkt in die Augen.
"Du ahnst nicht wie froh ich bin, dass ich dir dieses Gefühl immer vermitteln konnte. Deiner Großmutter Islanzadi ist das nicht immer gelungen und das Schicksal hat uns die Möglichkeit genommen so manches Missverständnis aus der Welt zu räumen."
Kurz lächelten Mutter und Tochter, dann setzte Marlena das Gespräch fort:
"Es ist nicht, dass ich nicht mit dir darüber reden will. Ich weiß nur selbst nicht recht was ich fühle. Irgendwie ist alles ein großes Durcheinander. Auf der einen Seite bin auch ich froh Onkel Murtagh überzeugt zu haben und vielleicht sogar ein bisschen stolz aber......."
"Da ist ein anderer Teil in dir. Wie eine Stimme, die wir ständig zu flüsterte dasselbe mehr tun müssen oder?"
Fast verblüfft blickte die jüngere Reiterin nun ihre Mutter an.
"Ganz genau!"
"Du scheinst überrascht, dass sich das nachvollziehen kann? Ich kenne dieses Gefühl sehr gut Kleines. Ich habe es mehr als einmal verspürt. Nach jeder Schlacht die ich in meinem Leben geschlagen habe. Natürlich haben wir Sieg errungen während des großen Krieges aber um welchen Preis? Wie viele Leben sind verloren gegangen? Während der Schlacht um Tronjheim oder auf den brennenden Steppen? Auch als sie ins Imperium vorgedrungen sind hat es weitere unschuldige Opfer gegeben. Sowohl auf unserer Seite als auch auf der des Gegners. Jedes Mal, wenn es schließlich still wurde, der die Verwundeten versorgt waren und es nichts mehr zu tun gab begann ich mich zu fragen ob ich nicht hätte anders handeln können. Hätte ich vielleicht einen Gegner nur verwunden können und so sein Leben retten? Dein Vater hat den Krieg schließlich für uns beendet und die Jahre haben aus ihm einen Partner gemacht, den ich als in jeder Hinsicht ebenbürtig ansehe deshalb versteh das was ich jetzt sage bitte nicht falsch. Ich habe den Krieg noch wesentlich länger geführt als dein Vater und habe auch schon gegen das Imperium gekämpft als es nur darum ging unsere Rebellion am Leben zu erhalten. Bevor Saphira schlüpfte gab es für uns keine Hoffnung auf ein Ende der Gewalt das nicht auch gleichzeitig die Niederlage der Freiheit bedeutet hätte. Mich hat der große Krieg begonnen als ich in deinem Alter war Marlena. Eine Zeit lang habe ich geglaubt, dass etwas mit mir nicht stimmen würde. Oft feierten die Krieger der Varden um mich ihren Sieg und ich fühlte dasselbe, was Du jetzt verspürest. Die Gewissheit zwar das einzig mögliche und Richtige getan zu haben aber dennoch überzeugt zu sein, nicht genug getan zu haben."
"Hast du das jemals überwunden Mutter?"
Berliner beobachtete wie ein seltsames Lächeln über das Gesicht ihrer Mutter lief. Ganz konnte die junge Halbling nicht benennen, was es war, dass in ihrer Mutter gerade vorging. Am ehesten ließ sich der Gesichtsausdruck der elfischen Drachenreiterin als bittersüßes oder melancholisch beschreiben.
"Nein. Ich habe nur erkannt, dass meine Kampfgefährten, ganz gleich zu welchem Volke gehören, im Grunde genauso empfinden. Jeder Gegner auf seine Art und Weise damit um. Der eine lacht und trinkt mit seinen Freunden und verdrängt so die Zweifel, der andere sucht die Stille und die Einsamkeit. Frage mich nicht welche Methode die beste ist. Beide haben sie ihre Vor- und ihre Nachteile. Letztlich muss jeder seinen eigenen Weg finden um damit umzugehen."
"Ich habe irgendwie das Gefühl, dass früher alles einfacher war." murmelte Marlena. "Das Leben und meine Ausbildung haben Anforderungen an mich gestellt und ich habe sie gemeistert. Anschließend war ich stolz und glücklich."
"Mit dem Alter erkennt man allerdings, dass die Anforderungen die das Leben an einen stellt oft komplexer sind als sie sich zunächst darstellen. Unser Blick, unsere Fähigkeit die einzelnen Facetten und Konsequenzen der Entscheidungen die wir treffen zu erfassen bildet sich erst mit der Zeit heraus. Erinnerst du dich noch an die Wettkämpfe die du und Schüler deines Alters während eurer Ausbildung ausgetragen habt? Wenn du dem Schwertkampf triumphiert hast bedeutet das aber auch das ein anderer besiegt wurde. Sicher war nur eine Übung aber dein Mitschüler hat unter Umständen genauso hart an sich gearbeitet und trainiert wie du auch. Verdiente eher den Sieg weniger?"
Marlena stutzte. Im Grunde hatte ihre Mutter damit recht. Während ihrer Ausbildung hatte sie besonders den Kampf gegen eine junge Gehörnte immer wieder gesucht. Sie war sehr stolz gewesen als sie schließlich die weibliche Urgal hatte besiegen können. Nun musste sich fragen was ihre damalige Gegnerin wohl empfunden hatte. Hatte sie ihre Freude teilen können oder war die Urgal gekränkt gewesen oder vielleicht sogar wütend auf sie?
"Willst du damit sagen, dass ich naiv war bisher Mutter?"
Leise lachte die Elfe und legte den Arm um Marlena.
"Nein. Natürlich nicht und bei allen Sternen des Himmels fang jetzt nicht an jeden Erfolg, den Du als solchen an siehst, infrage zu stellen. In einem sportlichen Wettkampf kann es nun mal nur einen Gewinner geben und es liegt ja nicht nur einen dir zu entscheiden welche Konsequenzen sich aus Handlungen ergeben. Ein Gegner den Du besiegt hast steht vor einer Entscheidung: entweder er lässt sich durch die Niederlage entmutigen und gibt auf oder er sieht in seiner Niederlage eine Möglichkeit zu wachsen und eine Herausforderung die eigenen Fähigkeiten noch weiter zu verfeinern. Alles was ich sagen will ist, dass es durchaus schon vorher Situationen in deinem Leben gab, die man auf zwei Seiten hätte betrachten können. Noch nie zuvor aber hast du so viel Verantwortung bei einer Entscheidung getragen. Nie zuvor wären die Konsequenzen so unumkehrbar gewesen wie bei der Herausforderung, die du in den zurückliegenden Tagen gemeistert hast. Was du jetzt empfindest ist ganz natürlich Kleines. Es beweist, wie am wachsen du inzwischen geworden bist. Gibt er einfach etwas Zeit. Im Augenblick empfindest du selbst Trauer ob des Verlustes den Alagaesia erlitten hat und die positiven Konsequenzen deiner Handlungen stehen noch sehr im Hintergrund. Doch sie werden zu Tage treten. Dein Onkel Murtagh wird erkennen, dass du ihm geholfen hast ein entscheidendes und wichtiges Kapitel in seinem Leben zu einem Abschluss zu bringen mit dem er letztlich Frieden schließen wird. Er wird auch erkennen, dass durch die Handlungen zu denen Du ihn überredet hast keinen Keil zwischen sich und seinen Sohn getrieben hat. Denkst du König Jalhod hätte es seinem Vater so ohne weiteres verziehen wenn er am Totenbett seiner Mutter gefehlt hätte?"
Marlena schüttelte den Kopf. Aus dieser Perspektive hatte sie es noch gar nicht betrachtet. Es war ihr fast peinlich gewesen als Jalhod und seine Gattin sich bei ihr bedankt hatten. Was hatte sie den schon getan? Jetzt kamen sie in den Sinn, dass die Situation des Königs noch um einiges schwieriger wäre wenn er nicht nur seine Mutter verloren hätte sondern auch noch ein gewisser Zorn zwischen ihm und seinem Vater stünde.
"Trotzdem fühlte sich nicht wirklich an wie ein Sieg Mutter." murmelte die junge Halbling schließlich.
"Dieser Umstand ist einer einfachen Tatsache geschuldet." erklärte Arya. "Trotz deines Erfolges markieren die Ereignisse der letzten Tage das Ende eines Kapitels in der großen Erzählung des Lebens. Eine Stimme des Chors der die Summe jedes Lebewesens darstellt ist verstummt und wird nie wieder zu hören sein. Im Augenblick sehen wir alle nur, dass sich eine Tür geschlossen hat und wie nie wieder an einen Ort zurückkehren können wir uns lieb und vertraut war. Doch mit der Zeit werden wir erkennen, dass sich neue Stimmen erheben werden neue Orte werden sich uns erschießen und neue Kapitel werden sich auftun. Sie werden nicht so sein wie der Ort den wir verlassen mussten oder wie das Kapitel der sich nun geschlossen hat aber das bedeutet nicht, dass sie es nicht wert sind erforscht und studiert zu werden."
Marlena sagte jetzt nicht mehr. Es gab im Grunde auch nichts mehr zu sagen. Sie legte einfach ihren Kopf auf die Schulter ihrer Mutter und die Elfe zog ihre Tochter noch etwas enger an sich. Gemeinsam gingen die beiden Drachenreiterin weiter in Richtung Ilirea.

Eragon Buch 7 - Im Wandel der ZeitenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt