32. Die Gabe der Völker

641 21 0
                                    


Als sich der Trauerzug schließlich formiert hatte, gab König Jalhod ein vereinbartes Zeichen und in den Reihen des Bataillons der Nachtfalken wurde mit großer Kraft eine Trommel geschlagen. Ein einziger, dumpfer, nachhallender laut breitete sich über die stille Hauptstadt aus.
Zeitgleich setzte sich die Formation in Bewegung und trat auf das Tor zu über das man auf die Straßen der Hauptstadt gelangte. Marlena schrack fast ein bisschen zusammen als, für sie unerwartet, der Trommelschlag eine Erwiderung fand.
Mit donnerndem brüllen antworteten die Drachen auf das Signal der Trommel. Saphira und ihre Artgenossen hatten sich auf der oberen Kante der Felsklippe niedergelassen, die Ilirea überragte und einst Galbatorix schwarze Zitadelle beherbergt hatte.
Ein beeindruckender Anblick bot sich staunenden Augen. Sieben Drachen von denen selbst der kleinste noch eine beachtliche Körpergröße aufwies thronten über der Stadt. Das Licht der Sonne Ließschuppen und Hörner erstrahlen und verfing sich auch in den leicht abgestrahlt Flügeln der mächtigen Wesen, die die übermächtige, zeitlose Wächter ihren Blick über Ilirea schweifen ließen. Saphira saß in der Mitte der Formation und wurde zur Rechten von Fírnen und zur Linken von Dorn flankiert. Tailon, Anarie, Alonvy und Beoram folgten und rundeten das majestätische Bild ab.
Jeder Trommelschlag wurde nun begleitet vom donnerndem Brüllen der sieben Drachen.
Während Marlena mit der Formation durch die Straßen von Ilirea Schritt fiel ihr auf, dass die Drachen ist auf beeindruckende Weise verstanden ihre Gefühle in ihre Ausrufe einfließen zu lassen. Einmal mehr musste es für jeden der ihre donnernden Stimmen hörte eindeutig bewiesen sein, dass die Sculblaka weit mehr waren, als einfache Tiere. Kein Tier, welche Laute es auch immer von sich gab, hätte soviel Gefühl und Respekt zum Ausdruck bringen können wie Saphira und ihre Artgenossen.
Der Trauerzug man sich durch die einzelnen Straßen von Ilirea und der Straßenrand war gesäumt von Bewohnern der Stadt und Besuchern aus dem ganzen Reich. Natürlich wählte die Prozession nicht den direkten Weg zu dem Ort, der als Nasuadas letzte Ruhestätte vorgesehen war. Schließlich wollte man möglichst vielen Bürgern des Reiches die Möglichkeit geben sich von der verstorbenen Monarchen zu verabschieden. Menschen taten dies auf unterschiedliche und vielfältige Weise. Marlena bemühte sich zwar eine dem Anlass angemessene Körperhaltung an den Tag zu legen aber dennoch bieten ihre Augen über die am Straßenrand versammelten Trauernden.
Einige schlossen die Augen und neigten demütig den Kopf als der Zug an ihnen vorbeischritt. Andere schienen leise Gebete zu murmeln oder vollführten segnenden Gesten mit den Händen. Auch Tränen waren in der Menge allgegenwärtig. Einige Bürger kämpften gegen sie an und bemühten sich stark und aufrecht zu wirken andere ließen ihren Schmerz freien Lauf und klagten lautstark über den Verlust bin das Volk der Menschen erlitten hatte. Jeder einzelne bewältigte den Schmerz auf seine eigene Weise.
Der Marsch durch die Stadt zog sich über mehrere Stunden bis die Formation schließlich dem kleinen Park erreichte, den Marlena zu Beginn ihres Besuches in Ilirea besucht hatte. Inzwischen hatte sich dort etwas verändert. Noch immer war der einem Quellstein nachempfundene Brunnen das Zentrum des Parks aber man hatte eine zusätzliche freie Fläche hinter dem Zierbrunnen geschaffen und dort eine würdevolle letzte Ruhestätte für Nasuada errichtet.
Die Grabstätte war aus weißem Marmor errichtet. Zwei Stufen führten auf eine ebene Fläche hinauf, in deren Zentrum ein Aushub sichtbar war in den der sagt der Königin abgelassen werden sollte. Über diesem Aushub spannte sich ein rechteckiger, ebenfalls aus Marmor gefertigter Pavillon auf der von vier Säulen an den Ecken gestürzt wurde.
Es verblüffte Marlena in welch kurzer Zeit dieser Bau entstanden war. Sie konnte nur spekulieren. Vielleicht hatten Magier der Menschen bei der Errichtung geholfen oder es waren bereits im Vorfeld Baumaterialien eingelagert worden.
Das war dabei eine umsichtige Frau gewesen und zweifellos hatte sie berücksichtigt, dass ihr Tod eine Stimmung schaffen würde, die es notwendig machte es dem Volke zu gestatten seiner Trauer Ausdruck zu verleihen. Aller Wahrscheinlichkeit nach hatte die Königin sehr gründlich darüber nachgedacht wie dies am besten zu geschehen sei.
Das Pferdegespann kam nun zum stehen und zwei bereitstehende Diener spannten die Zugpferde aus und führten sie aus dem Blickfeld der jungen Halbling. Der Marschformation lockerte sich jetzt etwas auf und die Trauergäste platzierten sich in einem Halbkreis um das weiße Mausoleum.
Aus den Reihen der Nachtfalken traten acht auserwählte Soldaten vor. Vier gingen sofort neben dem Aushub in Stellung und bereiteten Seile vor mit denen der Sarg der Königin abgelassen werden sollte. Die übrigen Vier traten an den Wagen heran und wuchtet den edlen Sarg auf ihre Schulter. Gefolgt von Herrscherpaar von Ilirea Schritten die Sargträger auf das Mausoleum zu und legten den Sack schließlich auf die bereit gelegten Seile.
König Jalhod und seine Gattin nahmen mit ernster aber kraftvoller Miene Aufstellung vor dem Mausoleum. König und Königin standen etwas erhöht durch die zwei Stufen der Grabstätte und den Rücken hatten sie den stützenden Säulen zugewandt. Auf diese Weise wollte man den Zuschauern gestatten weiterhin den Sarg im Blick zu behalten der sich nun unter erneuten Trommelschlägen der Nachtfalken langsam in den Aushub absenkte.
Als dies vollbracht war kümmerten sich die acht Soldaten des Bataillons darum, dass auch der nun leere Wagen vom Platz fort gebracht wurde.
Dadurch entstand eine leere Fläche, die den Geräten an der Trauerfeier als Podium dienen sollte. König Jalhod und Königin Sheva würden der Tradition gemäß keine Rede halten. In den Kreisen der Nomaden, aus deren Mitte Nasuadas stammte, war Stille der Würde vollster Ausdruck der Trauer und so ehrten König und Königin diese Tradition.
Der erste Redner der vortrat war der Großnar der Urgals. Der Kull Ulrugath. Nach Art seines Volkes ehrte er König und Königin indem er das Kinn nach vorne reckte. Zwei weitere Gehörnter waren mit ihrem Häuptling fort getreten und trugen eine Platte aus weißem Marmor. In die Oberfläche der Platte waren Worte in der Keilschrift der Gehörnten eingearbeitet. Marlena konnte nur einen kurzen Blick darauf werfen und auch wenn sie diese Art der geschriebenen Sprache nicht wirklich flüssig beherrschte er kannte sie doch zwischen den Schriftzeichen die offenbar Segenssprüche waren den Ehrentitel, den die Urgals Nasuada gegeben hatten. Nachtjägerin.
Mit dunkler und doch klarer Stimme begann der Kull schließlich zu sprechen:
"König und Königin der Menschen! Auf meine Bitte hin habt ihr es uns gestattet die Deckplatte für das Grab eurer Mutter zu gestalten. Unsere Schamanen haben in ihr nicht nur den Ehrentitel, die die Nachtjägerin mehr als verdient hatte, eingearbeitet sondern auch die traditionellen Segen unseres Volkes. Ich könnte sie euch übersetzen doch da ihr unseren Glauben nicht kennt hätten die Worte an sich wenig Bedeutung. Daher sage ich euch dies: Diese Worte sind eine Warnung an die verlorenen Seelen die vor den Toren des Totenreiches lauern weil sie sich durch Feigheit und Schwäche keinen Platz dort verdient haben. Diese Warnungen lassen diese Verdammten wissen, dass sich eine große Kriegerin den ewigen Pforten nähert und sie sich besser fernhalten sollten. Das Volk der Gehörnten lässt nur den Größten und Tapfersten diese Ehre zuteil werden. Diese Segen sind denen vorbehalten die unsterblich werden in Liedern und Geschichten. Noch nie haben wir jemanden aus einem anderen Volker so geehrt doch der Name der Nachtjägerin ist für meinesgleichen gleichbedeutend mit der Wiedergeburt unseres Volkes. Ihre Ehrlichkeit und Ehre wurde auch den Gehörnten ein neues Leben geschenkt als der Schattenkönig besiegt wurde. Daher sind alle Stämme der Meinung aber dass sie diesen Segen verdient und das es nur recht und billig ist, dass unsere Brut von den Heldentaten der Nachtjägerin hört noch bevor ihnen die ersten Hörner wachsen."
Nach diesen Worten traten die beiden Urgals vor und fügten die Deckplatte in Nasuadas Grabmal ein.
Als nächstes sprach Orik als König der Zwerge. Er berichtete davon, dass er Nasuada fast ihr ganzes Leben lang gekannt hatte und stellte sehr angemessen und würdevoll da sie beeindruckend sie sich von einem verloren wirkenden Kleinkind, das abgemagert in den Armen ihres Vaters lag als dieser sich den Varden anschloss, zu einer wahren Anführerin gewandelt hatte. Er überreichte eine Wurzel aus dem steinernen Wald. Einige Magier der Zwerge beschworen ihre Kraft und ließen das Geschenk mit dem weißen Marmor des Mausoleum des verschmelzen. Orik begründete die Wahl seines Geschenkes damit, dass jede Pflanze und jeder Baum aus einer Wurzel geboren wurde. Der Frieden und Wohlstand der heute in Alagaesia wuchs und reiche Früchte trug hätte als Wurzel die Herrschaft von Nasuada der ersten.
Die Beiträge des Hochadels und der Abgesandten aus Surda waren zweifellos kostbar und wohl durchdacht jedoch nicht so bedeutungsvoll wie das, was zuvor übergeben worden war. Auch den Reden dieser Abgesandten schenkte Marlena nicht dieselbe Aufmerksamkeit wie den beiden Rednern, die zuvor gesprochen hatten.
Schließlich trat Aylon als Abgesandter der Elfen vor:
"Hohes Herrscherpaar des Menschenvolkes. Es heißt, dass mein Volk keinen Glauben hat. Dem ist auch so. Wir glauben nicht, wir wissen. Über das Leben wissen wir folgendes: das Leben ist eine Energie, eine Flamme die niemals erlischt. Sie wandelten nur ihre Gestalt. Unter den Menschen gibt es ein Sprichwort: Erde zu Erde. Die Form des Lebens aus Fleisch und Blut zerfällt und wird zur Erde. Aus dieser Erde jedoch entsteht wieder neues Leben. Pflanzen die die Grundlage bilden für das Leben der Tiere und der Völker Alagaesias. Wenn wir also das Leben um uns betrachten, betrachten wir von nun an in jedem Baum und Grashalm einen Teil der verstorbenen Königin. Wir Elfen möchten dem Volk der Menschen etwas übergeben, das jeden an diese Tatsache erinnert."
Auf ein Handzeichen von Aryas Bruder hin trat nun eine weitere Elfe vor und hielt in ihren Händen einen edlen Blumentopf in dem eine einzelne wunderschöne Rose blühte. Die Blütenblätter waren von einem tiefen Samtfarbenden Rot und ein feiner goldgelber Rand schmückte die Blütenblätter. Marlena erinnerte sich daran, dass diese Farben in etwa den Farben eines Kleides entsprachen mit denen sich Nasuada meist bei öffentlichen Anlässen gezeigt hatte.
Inzwischen begann Aylon zu erklären:
"Diese Blume König Jalhod haben wir zu Ehren eurer verstorbenen Mutter erschaffen und sie nach ihr benannt. Dieses Exemplar wollen wir euch übergeben damit ihr es an einem Ort ein pflanzen könnt euch geeignet scheint. Wir haben allerdings noch vier weitere Setzlinge erschaffen. Reiter unseres Volkes werden bald aufbrechen. Einer in den Norden, einer in den Süden, einer in den Osten und der letzte gen Westen. Sie werden nach einem geeigneten Ort suchen an dem diese Pflanzen wachsen und blühen werden. Fruchtbar werden sie sich vermehren und so wird der Tag kommen an dem jeder, ganz gleich an welchem Ort im Reich einen Teil eurer Mutter erblicken wird."
Damit endete die Rede des Elfen und Marlena entgegen nicht, dass tiefe Dankbarkeit in den Augen von Nasuadas Sohn deutlich erkennbar war.
Schließlich richtete sich die Aufmerksamkeit der jungen Drachenreiterin aber auf ihren Vater, der inzwischen vor getreten war. Eragon stellte eine Schale aus Metall auf den Boden vor sich. Das edle Objekt schien praktisch aus reinem Silber gefertigt zu sein und vier Füße, die den Klauen von Drachen nachempfunden waren, verliehen dem Objekt Standfestigkeit.
"Edles Herrscherpaar, alle Völker haben eurer Mutter den Respekt bekundet und auch das Volk der Drachen möchte dies nun vertreten durch meine Seelengefährtin Saphira Schimmerschuppe tun."
Die anwesende Menge richtete den Blick nun nach oben zu der Abordnung der Drachen und der mächtigen blauen Drachendame in ihrer Mitte. Atemlose Spannung erfüllte alle Anwesenden. Die Anzahl der Drachen war zwar deutlich gestiegen aber dennoch waren sie wohl das geheimnisvollste Volk Alagaesias. Offen die am heutigen Tag zeigten sich diese mächtigen Wesen nur selten.
Saphira indes hatte den Kopf in den Nacken gelegt und damit begonnen einem tiefen Summton aus zustoßen. Trotz der großen Entfernung zu der Drachendame konnte jeder diesen Klang hören. Eigentlich war es sogar eine Empfindung die über das hören von Geräuschen hinausging. Es war, als hätte Saphira die Seelen aller Anwesenden zum klingen gebracht und als ihre Artgenossen noch mit einstimmen hatte keiner der Trauernden mehr das Gefühl allein zu sein. Marlena fühlte sich wie alle Anwesenden verbunden. Verbunden mit den anderen Trauergästen und allem Leben in der Welt um sie herum.
Gerade als sich die junge Halbling fragte ob dies bereits Saphiras Geschenk sei, riss diegewaltige Drachendame ihr Maul auf und entließ einen ihrer mächtigen Flammenstrahlen in den Himmel. Ihre Artgenossen taten es ihr gleich. Das Feuer er lauscht jedoch nicht sondern die Flammenzunge begann sich um einander zu winden und miteinander zu verschmelzen sie als ein überirdisch schöner, glänzender Stern am Himmel schwebt. Langsam senkte sich die gleißende Erscheinung herab und kam schließlich in der von Eragon bereitgestellten Schale zur Ruhe. Dort begannen die silbernen Flammen zu lodern doch der Tanz dieser Flammen war anders als bei gewöhnlichen Feuer. Das Zucken der niemals gleichen Formation schien eine Idee langsamer zu sein als bei gewöhnlichen Feuer. Dies und der Silberglanz der Flammen signalisieten jedem der sie beobachtete, dass dieses Feuer etwas besonderes war.
Als Marlena noch ehrfürchtig die Gabe der Drachen betrachtete erklangen Saphiras Stimme in den Gedanken aller Anwesenden. Machtvoll und sanft, respektvoll und doch unbeugsam hörte jeder die Worte der blauen Drachendame:
-"Dies ist unser Geschenk an Nasuada. Wir Drachen sind kein Volk der vielen Worte. Doch ich will erklären was es mit diesem Feuer auf sich hat. Diese Flamme wird niemals verlöschen! So wie wir niemals vergessen werden, dass der Kampf den Nasuada angeführt hat letztlich zur Wiedergeburt des Drachenvolkes führte. Unter der Herrschaft des Verräters und Mörders Galbatorix hätten die Drachen nur ein Leben als Sklaven fristen können. Doch wir sind Kinder des Himmels und des Feuers und niemand schätzt seine Freiheit und Unabhängigkeit mehr als ein Drache. Deshalb ist auch diese Flamme unbeugsam! Nicht der schneidenste Wind oder der gewaltigste Regen werden sie zum verlöschen bringen. Keine Dunkelheit wird sie überwältigen und jeden der sie sieht soll sie daran erinnern, dass hier eine Frau ihre letzte Ruhe gefunden hat, die sich zeit ihres Lebens für das wertvollste eingesetzt hat was es auf der Welt gibt: das freie, selbstbestimmte Leben in all seinen Formen!"-

Eragon Buch 7 - Im Wandel der ZeitenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt