Stärke und Schwäche

485 18 0
                                    


Interessiert beobachtete Murtagh das Abbild seines Bruders in dem kleinen Spiegel den er in der Hand hielt. Marlena und Keanai waren kurze Zeit nachdem das Licht des Nordens verlaufen war zum Lager zurückgekehrt und hatten einiges an Spott von ihrem Drachen über sich ergehen lassen müssen. Ajescha hatte bereits angekündigt mit der Liebsten ihres Sohnes bald ein Gespräch von Frau zu Frau führen zu wollen doch diesmal zunächst verschoben worden.
Schließlich hatte sich Stille über das Lager gesenkt und alle hatten sich zur Nachtruhe begeben.
Lenjara gewährte ihrer Reiterin Obdach unter einem ihrer Flüge genauso wie Alonvy es für Marlena Tat. Die weiße Drachendame hatte allerdings deutlich gemacht, dass sie Keanai dieses Privileg erst dann einräumen würde wenn sie überzeugt war dass er der Richtige für ihre Seelenschwester war. Der junge Drachenreiter hatte diese Einschränkung akzeptiert und sich in der Nähe des Lagerfeuers im Decken eingerollt. Irucan war sofort an seine Seite gehoppelt und schmiegte sich mit einem genießerischem Seufzen an seinen Reiter.
Murtagh hatte sich nach dem er sicher war, dass seine Begleiter festschliefen in einiger Entfernung zum Lager mit Eragon in Verbindung gesetzt.
"Also hatten Arya und ich doch recht." sagte der Anführer der Drachenreiter nach einigen Augenblicken des Schweigens. "Mein kleines Mädchen. Ich weiß das sie alt genug ist um sich für so etwas zu interessieren aber....."
"Trotzdem bist du ganz der besorgte Vater." schmunzelte Murtagh.
"Was gibt es da so frech zu grinsen Bruderherz." Erkundigte sich Eragon. "Erinnerst du dich noch wie du mit deinem Sohn ein Gespräch von Mann zu Mann führen musstest? wer wollte denn bitte damals von seinem kleinen Bruder einige Ratschläge?"
Murtagh räusperte sich und erinnerte sich, dass es auch ihm nicht leicht gefallen war zu akzeptieren das aus Kindern Erwachsene wurden.
"Ja, ja." lächelte nun Eragon. "Und das ist dir gesagt sein Murtagh: Es ist noch weit schwieriger Vater einer Tochter zu sein! Da muss man sich nämlich auch Sorgen wegen möglicher "Konsequenzen" machen."
Nun fand Murtagh sein Lachen wieder.
"Also so weit sind die beiden noch lange nicht. Soweit ich es sagen kann ist es bisher bei einem Kuss geblieben. Außerdem hat sich Alonvy bereits als Aufpasserin etabliert. Ich werde auch ein Auge auf die Sache haben und außerdem scheint mir Keanai nicht die Art von Mann zu sein wie eine Spur aus gebrochenen Herzen hinter sich zurücklässt."
Eragon stimmte in das Lachen seines älteren Bruders ein und sagte: "Diesen Eindruck hatte ich auch nicht von ihm. Trotzdem bin ich ganz froh, dass du ein Auge auf die beiden haben wirst. Ich nehme an dass Du mich über alles auf dem Laufenden halten wirst?"
"Soll ich etwa das Vertrauen dass meine bezaubernde Nichte in mich setzt betrügen?" erkundigte sich Murtagh mit gespielter Entrüstung.
"Bruder....!"warnte Eragon mit drohendem Unterton.
Der dunkelhaarige Drachenreiter hob abwehrend die Hände.
"Natürlich werde ich regelmäßig Bericht erstatten Arge Un."
Wieder mussten Selenas Söhne Lachen.
"Wo wir grade von Berichten sprechen," hob Eragon wieder an und wechselte damit das Thema. "Wann werdet ihr in Ajeschas Dorf eintreffen? Unser Freund, König Orik möchte so bald wie möglich die Versammlung der Clans über dieses Thema informieren. Die Gründe habe ich dir bei unserem letzten Gespräch genannt. Wir wollen aber nicht riskieren, dass sich die Angelegenheit gegen uns wendet. Bevor nicht endgültig bestätigt ist, dass es sich um die Art Pilzbefall handelt die wir vermuten und die Sache unter Kontrolle ist wollen wir es noch geheim halten."
"Ajescha rechnet damit, dass wir übermorgen am späten Nachmittag eintreffen werden. Nachdem wir die Dorfältesten begrüßt haben werden wir uns direkt die Felder ansehen. Ich habe von Tar klare Erkennungszeichen genannt bekommen. Ich denke das ich dir in den frühen Abendstunden eine endgültige Einschätzung der Lage geben kann."
"Sehr gut." Eragon schien zufrieden. "Dann wünsche ich dir noch eine gute Nacht und bitte......"
"Ich passt gut auf dein kleines Mädchen auf."
Mit einem letzten gemeinsamen Lachen verabschiedeten sich die beiden Brüder voneinander. Murtagh machte sich auf den Rückweg ins Lager. Während er einen Fuß vor den anderen setzte ging er seinen Gedanken nach. Er war dankbar dafür, dass er nun ein so gelöstes und familiäres Verhältnis zu Eragon hatte. Erst waren sie gute Freunde gewesen ohne zu wissen, dass sie mehr verwandt als eine gemeinsame Interessen. Dann hatte Galbatorix zwar enthüllt, dass sie Brüder waren aber sie auch gezwungen Feinde zu sein. Zorn hatte damals Murtaghs ganzes Verhalten dominiert. Er hatte es selbst nicht wahrhaben wollen in dieser Zeit der Verzweiflung doch im Grunde hatte er sich gefreut einen lebenden Verwandten zu haben. Zudem noch einen, der durch sein Verhalten bewies, dass niemand einen vorbestimmten Charakter hatte. Trotz der späteren Enthüllung, dass sie nur Halbbrüder waren, hatte Murtagh diese Erkenntnis Eragon zu verdanken. Sein jüngerer Bruder war ebenso wie Nasuada ein Teil dessen gewesen was letztlich seinen Wandel bewirkt hatte. Die Gespräche mit Nasuada während ihrer Zeit in Gefangenschaft hatten seinen hell lodernden Zorn in den Hintergrund gedrängt und andere Gefühle an die Oberfläche kommen lassen. Nicht zuletzt das was er für Nasuada empfand aber auch eine tiefe Abscheu dagegen, gegen seinen jüngeren Bruder kämpfen und den Verletzten zu müssen. Mehr und mehr war auch die Vorstellung, dass Eragon auch unter Galbatorix Kontrolle geraten könnte abstoßend für ihn geworden. Rückblickend war seine Veränderung nicht in einem Augenblick geschehen sondern die Spitze einer Entwicklung gewesen an der Eragon durchaus Anteil gehabt hatte.
Murtagh verscheuchte die düsteren Erinnerungen an Galbatorix und tat das, was er in den zurückliegenden Jahren als die beste Vorgehensweise kennen gelernt hatte. Er konzentrierte sich nicht auf die Vergangenheit sondern auf die Gegenwart und in dieser Gegenwart waren eher und Eragon nicht nur dem Blut nach Brüder.
Inzwischen hatte der dunkelhaarige Drachenreiter das Lager erreicht und ließ seinen Blick von einem seiner Reisegefährten zum andern wandern. Lenjara, Ajescha, Alonvy und Marlena schliefen tief und fest. Das gleiche galt für Keanai. Irucan hob noch einmal kurz müde den Kopf als Murtagh wieder zum Lagerfeuer trat, blinzelte ihm freundlich zu, gähnte ausgiebig und schmiegte sich dann mit einem zufriedenen Laut wieder an seinen Reiter um weiter zu schlafen.
Überrascht wurde Murtagh erst als er feststellte, dass Dorn hellwach war.
Die Aufmerksamkeit des Roten Drachen galt allerdings weniger seinem Reiter sondern mehr der schlafenden Silhouette von Lenjara.
Murtagh schüttelte wohlwollend den Kopf. Es schien wohl eine gute Nacht für die Liebe zu sein. Leise setzte er sich neben Dorns gewaltiges Haupt und wartete bis sich der Blick des rubinfarbenen Auges auf ihn richtete.
- "Lenjara gefällt dir oder?" -
Murtagh verbannte jeden Sport, jeden erheiterten Unterton aus seiner Stimme. Auf keinen Fall wollte er das ein langwieriger Begleiter sich nicht ernst genommen fühlte. Zu Murtaghs Missvergnügen konnte er dieses Thema nicht ansprechen oder mit seinen Gedanken wieder an die Zeit unter Galbatorix zurück zu denken. Dorn hatte in den zurückliegenden Jahrzehnten mehr und mehr zu sich selbst gefunden und die Schrecken seiner Kindheit hinter sich gelassen. Lediglich eine Tatsache unterschied ihn immer noch von seinen Artgenossen. Er hatte bisher kein Interesse daran gezeigt sich mit einer Drachendame zu paaren oder selbst Nachwuchs zu zeugen. Gelegenheiten sich eine Nistpartnerin zu suchen hätte der Rote zur Genüge gehabt. Aufgrund seines Status als eines der ältesten Männchen seiner wiederauferstandenen Art wären wohl auch einige wilde Drachendame durchaus an ihm interessiert gewesen. Dorn jedoch hatte nie Interesse gezeigt oder die Initiative ergriffen.
Oft hatte Murtagh versucht sich einzureden, dass sein Begleiter das Äquivalent eines einsamem Wolfs unter den Drachen war doch im Grunde wusste er es besser. Tiefe Unsicherheit was sich selbst betraf war das Erbe von Dorns erzwungenem, beschleunigtem Wachstum. Nie war ein junger Drache wohl unter schwierigeren Umständen aufgewachsen als Murtaghs Seelenbruder. Daher gefiel dem dunkelhaarigen Reiter die Vorstellung, dass Dorn sich möglicherweise anschickte, auch die letzte Wunde die seine Seele noch hatte zu schließen.
Der Rote Drache gab auf die Frage seines Reiter sind zunächst nur ein etwas unwirsches Brummen von sich. Schließlich jedoch erreichten Worte Murtaghs Geist die mit einer gewissen Unsicherheit behaftet waren.
- "Und wenn es so wäre?"-
- "Dann würde ich mich für dich freuen." -
- "Auch wenn wir Drachen uns normalerweise keinen Partner suchen mit dem wir unser ganzes Leben verbringen ist es uns doch wichtig, dass wir einander verstehen. Das ist wichtig, damit man die gemeinsame Brut aufziehen kann. Bisher hatte ich immer das Gefühl, dass keine Drachendame verstehen kann was ich, was du und ich durchmachen mussten.". -
"Ich verstehe was du meinst." murmelte Murtagh. - "Du glaubst, dass Lenjara dich verstehen kann weil auch sie ohne Kontakt zum Wissen und zum Erbe ihres Volkes aufgewachsen ist." -
- "Ich weiß, dass sie mich versteht. Wir haben viel geredet in den letzten Tagen." -
- "Weshalb zögerest du dann? Schüchternheit ist doch normalerweise nicht die hervorstechende Charaktereigenschaft von euch Königin des Himmels und des Feuers." -
Dorn reagierte auf Murtaghs Schmeicheleien mit einem verlegenen Hüsteln und ließ eine Rauchwolke aus seinen Nüstern paffen. Seine roten Augen funkelten belustigt. Schließlich jedoch wurde er wieder ernst.
- "Gerade das was uns verbindet ist aber auch das Problem. Weißt du Murtagh nicht jeder Drache ist wie der andere. Saphira und ich sind zum Beispiel recht sicher in unseren Instinkten. Du weißt ja wie ihr grüner Verehrer reagiert hat als ich ohne seine Erlaubnis das erste Mal ihre Höhle betreten wollte. Ich habe einfach gewusst wie ich zu reagieren habe. Bei Lenjara ist dieser Instinkt aber nicht so ausgeprägt. Du hast sie vor dem Rat erlebt. Sie ist noch sehr unsicher." -
Murtagh Begriff worauf Dorn hinaus wollte.
- "Du machst dir sorgen, dass du sie überfordern könntest wenn du jetzt einfach auf die Stimme deines Blutes hörst, oder?" -
Dorn gab einen Laut von sich, den man als Zustimmung ansehen konnte.
- "Weißt du Dorn, man kann sich nicht einem anderen Wesen öffnen ohne ein gewisses Risiko einzugehen. Ich verstehe aber dass du Geduld beweisen willst. In gewisser Weise folgst du damit auch deine Instinkt und bisher hat er dir ja stets gute Dienste geleistet. Was ich dir aber raten würde ist, dass du dir klar machst, dass es gerade wenn es um so tiefe Gefühle geht nicht einfach ein Vorbestimmtesmuster gibt dem man folgen muss und der Erfolg ist garantiert. Du glaubst das du Lenjara überfordern würdest wenn du sie auf die Art prüfen würdest wie ist dein Volk normalerweise tut. Ich würde sagen in diesem Punkt ist es egal was dein Volk tut. Wichtig ist was du tust. Du sagst, dass Lenjara anders ist als die anderen Drachendame/sehr begegnet sind. Dann solltest du vielleicht auch einfach anders vorgehen. Nicht auf die Weise deines Volkes sondern auf die Weise die dein Instinkt dir rät."
- "Ich will nur nicht, dass sie mich für schwach hält." -
Nun musste Murtagh doch leise lachen.
- "Was alle Völker wohl gemeinsam haben ist, dass die Liebe ihre Vorstellung von dem was Stärke und Schwäche darstellt wohl etwas verzerrt. Ist es Schwäche seinen verwundbarsten. Zu öffnen und zu riskieren, dass man verletzt wird? Im Grunde würdest Du doch Wertschätzung für sie ausdrücken wenn du auf deine ganz eigene Weise um sie wirbst und nicht glaubst einfach nur gewisse Rituale vollziehen zu müssen." -
Dorn schnaubte zustimmend und der Blick seiner rubinfarbenen Augen wanderte zu den Sternen.
Murtagh kam zu dem Schluss, dass er für seinen Seelenbruder alles getan hatte was im Augenblick möglich war. Letztlich musste Dorn entscheiden wann er den richtigen Zeitpunkt für gekommen hielt. Der dunkelhaarige Reiter lehnte sich an die Flanke seines Drachen und ließ zu, dass die Müdigkeit die er bisher unterdrückt hatte obsiegte und ihm die Augen zufielen.

Eragon Buch 7 - Im Wandel der ZeitenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt