Jenseits des Flusses

373 17 0
                                    

Kurz überprüften die Reiter ihre Schutzwälle und schwang sich dann auf die Rücken ihrer geflügelten Gefährten. Diese segelten schon bald lautlos über die Dächer der verlassenen Stadt. Ein Mensch hätte den Anblick der leer stehenden Gebäude vermutlich als Angst einflößen empfunden. So dachten die Menschen eben. Togra hatte gelernt, dass diese Zweibeiner den Frieden der Herausforderung des Kampfes vorzogen. Viele ältere Gehörnte hatten dies mit Schwäche verwechselt. Eine Meinung die erst Eragon Feuerschwert geändert hatte.
Nicht nur die eigenen Taten des Drachenreiters hatten zum Umdenken bei den Urgals geführt sondern auch die Schlachten die sie gemeinsam geschlagen hatten. Die Menschen mochten anders über den Kampf denken doch wenn sie sich entschlossen hatten zogen sie mit großer Tapferkeit ins Gefecht und ließen sich auch nicht von scheinbarer Überlegenheit abschrecken. Eines der ältesten Mitglieder von Togras Stamm erzählte heute noch davon wie sein Vater während des großen Krieges einen Zweikampf mit Roran Hammerfaust ausgetragen hatte. Der alte Gehörnte gestand offen ein, dass er es nie für möglich gehalten hätte, dass ein Mensch einen Urgalgra mit bloßen Händen besiegen konnte. Der Verwandte des berühmten Drachenreiters hatte das Gegenteil bewiesen.
So war es nun einmal! Die Urgals respektierten nur wer ihnen seine Stärke gezeigt hatte. Wie der Menschen war weit weniger offensichtlich als die der Elfen aber nicht zu unterschätzen.
Der Flug über das Lagerhaus-Gebiet verlief recht unspektakulär. Nichts deutete darauf hin, dass sich hier in den letzten Wochen irgend etwas verändert hatte und auch die Gebäude waren nicht unbedingt interessant.
Das lag vermutlich daran dass es sich hierbei um Lagerhallen und Verwaltungsgebäude handelte. Die Architektur war pragmatisch und zweckdienlich.
Anders sah es aus als die beiden Drachen über den Teil der alten Zwergen Stadt hinweg schwebten, der einst Wohnviertel und Niederlassung von Handels-und Handwerksbetrieben gewesen war. Auch hier hatte natürlich der Zahn der Zeit seine Spuren hinterlassen. Dennoch konnte man erkennen welche Häuser offenbar wohlhabenderen Bewohnern der Stadt gehört hatten und welche Zwergen mit eher bescheidenem Wohlstand. Die Häuser und Geschäftsgebäude, die reicheren Knurlan gehörten waren ausschließlich aus feinstem Stein gebaut. Togra verstand zwar nicht im selben Maße etwas von Gestein wie der Reiter der Zwerg, welcher mit seinem geflügelten Gefährten an ihrer Seite flog, aber sie verstand genug um zu erkennen, dass manche Gesteinssorten nicht aus dieser Region des Gebirges stammten. Manche Kaufleute hatten offenbar feinsten Marmor aus entlegenen Gebieten des Zwergenreiches anliefern lassen und Künstler hatten ihre Häuser mit Ornamenten, Statuen und Fresken verziert.
Die einfacheren Gebäude die vermutlich Zwergen aus dem Volk gehörten verwendeten auch Holz als Baumaterial. Dies hatte natürlich am meisten unter dem Zahn der Zeit gelitten und Togra vermutete, dass hier auch der Grund zu suchen war warum wohlhabende Zwerge Stein als Baumaterial vorzogen. Sie wollten ihren Wohlstand vor allem durch Beständigkeit ausdrücken!
Im Zentrum dieses Teils der Stadt zog sich eine breite Prachtstraße von der riesigen Statue der Göttin Kíff bis zu gegenüberliegenden Seite der Höhle. Ein gewaltiges Tor mit zwei riesigen Flügeln war in die Höhlenwand eingelassen und gewährte Zutritt zur Stadt oder verweigerte ihn.
Auch bei der Schöpfung dieses Stadttores aus massivem Granit hatten die Bildhauer der Zwerge große Kunstfertigkeit an den Tag gelegt. Togra kam allerdings nicht dazu den Anblick zu genießen denn sie entdeckte etwas, das für sie große Bedeutung hatte. Schnell schickte sie die Aufforderung an ihrer Drachendame zu landen und Aragna kam der Bitte ihrer Reiterin nach dass sie spürte wie tief diese getroffen war. Auf Nachfragen hin reagierte die Gehörnte überhaupt nicht sondern sprang, kaum dass ihre Seelenschwester gelandet war aus dem Sattel und eilte auf den Gegenstand zu, der im Schatten eines Wachhäuschens neben dem Stadttor am Boden lag. Hereingewehte oder herreingeschwämmte Erde hatten ihn zur Hälfte unter sich begraben. Vorsichtig klopfte die Urgal Staub und Dreck vom Gegenstand ihres Interesses.
"Hast du eine Gefahr bemerkt? Was hast du da?"
Togra Aufmerksamkeit war so sehr von dem Objekt in ihrer Hand gefangen gewesen, dass sie erst jetzt bemerkte das Burod neben ihr stand und auch Beoram und Aragna neugierig zu ihr herüber äugten.
"Keine Gefahr alter Kampfgefährte. Nur eine Erinnerung an vergangene Schmach."
Togra trat aus dem Schatten und legte das Objekt welches sie von Erde befreit hatte zwischen sich und ihre Begleiter auf den Boden.
"Ein Feldzeichen? Ein Banner?"
Verständnislos musterte Burod die Überreste der Standarte, die Togra auf den Boden gelegt hatte. Der Stil, an dem der zerschlissenen schwarze Stoff aufgehängt war, fühlte sich morsch und brüchig an. Moos wuchs auf dem Holz und ein Faulgeruch ging von dem Objekt aus. Togra jedoch erkannte auf dem schwarzen, annähernd viereckigen Stoffstück eindeutig das Wappen ihres Clans. Sie spürte die fragenden Blicke ihrer Begleiter doch Antworten mussten warten. Zunächst wollte sie die efallenen wie dieses Feldzeichen einst getragen hatten nach den Bräuchen ihres Volkes ehren.
Togra drückte ihre Handgelenke gegen die Spitzen ihrer nach vorne gebogenen Hörner, presste die Haut so fest wie möglich gegen die scharfen Waffen in die Natur ihr mitgegeben hatte und hob dann ruckartig den Kopf. Ein kurzer stechender Schmerz und die Gehörnte spürte wie warmes Blut über ihre Unterarme lief. Die Verletzungen, dass erkannte die Urgals sofort waren unbedeutend. Sie würde sie im Anschluss heilen doch nun ging sie zunächst in die Hocke und presste ihre verletzten Handgelenke auf dem schwarzen Stoff des Feldzeichens. Einige Sekunden verharrte sie so, dann erhob sie sich und versorgte ihre Wunden.
Als sich die Drachenreiterin nach dem vollzogenen Ritual zu ihrer Reisegefährten umdrehte erkannte sie, dass offenbar Aragna für sie in die Bresche gesprungen war und Beoram und sein Reiter bruhigt hatte. Der braune Drache hatte sich niedergelegt und Burod hatte auf einem flachen Steinen in der Nähe Platz genommen und drehte nachdenklich seine Pfeife zwischen den Fingern. Offenbar war er sich nicht sicher ob es sich geziemte sie anzuzünden.
"Was hast du da gerade gemacht?" erkundigte sich ihr Mitstreiter schließlich als sie ihrer Heilzauber abgeschlossen hatte. Auch Aragna schickte ihrer Reiterin einen fragenden Gedanken. Die Aussage der Welle von Gefühlen die Togra von ihrer schwarzen Begleiterin empfing war klar: Auch die Drachendame verlangte Antworten. Sie vertraute ihrer Reiterin genug um ruhig zuzusehen wenn diese sich verletzte aber Erklärungen waren vonnöten. Togra war gern bereit diese Antworten zu geben auch wenn sie ihr nicht leicht fiel:
"Ich habe schon im Lager deines Clans erwähnt Burod, dass sie die Gehörnten die im Dienst des rothaarigen Zauber was von Galbatorix gestorben sind ohne Ehre gefallen sind. Weil ihr Verstand von fremden Einflüssen getrübt war! Besonders mein Clan hat unter der Heimtücke von Galbatorix und Durza gelitten. Wir waren die besonders zahlenmäßig aber dennoch hatte unser Blut einige stolze Ramböcke hervorgebracht. Kull in denen das alte Blut heiß brannte und die uns Respekt unter allen Gehörnten einbrachten. Jeder wünschte sich eine Schlacht an der Seite dieser stolzen Krieger zu schlagen! Sie sind alle in Tronjheim gefallen! Stolze Krieger! Die Verkörperung der Stärke unseres Volkes! Es ist schlimm genug dass nun niemand mehr in meinem Clan das alte Blut besitzt aber das diese Krieger ohne Ehre gefallen sind ist einfach schrecklich. Weißt Du Burod, wenn die Anzahl der Mitglieder eines Clans eine bestimmte Grenze unterschreitet ändert sich der Status den wir haben. Es gibt die führenden Clans bei den Gehörnten und die folgenden! Man schließt sich einem großen Häuptling an und unterstützt seine Sache. Man ist ihm zu Gehorsam verpflichtet! Das verlangt unsere Ehre denn immerhin gestattet der Häuptling, dass unsere Männer sich Partnerinnen unter den Mitgliedern seiner Sippe suchen. Mein Clan war einmal ein führender Clan doch nach der Schlacht zu der Durza uns gezwungen hat waren wir gezwungen zu folgen wenn wir überleben wollten. Versteh das nicht falsch, darin liegt keine Schande! Wir haben uns einen ehrenwerten Nar angeschlossen und in einigen Generationen werden wir unsere Unabhängigkeit zurückfordern können aber noch heute erzählen die ältesten meines Clans von dem gewaltigen Ramböken deren Höhlen sie einst beschützten in der Hoffnung an ihrer Seite in die Schlacht ziehen zu können. Großer Schmerz liegt in ihrem Blick wenn sie davon sprechen. Der Lebenszweck der Urgalgra die zwar stark sind aber nicht das alte Blut besitzen ist es die Heimstätten der Kull zu beschützen bis der Ruf des Kriegers die mächtigen Rammböcke in die Schlacht ruf. Ein Teil der Ehre denn diese Gehörnten dann erringen fällt auch auf die zurück die hingebungsvoll ihre Schlafstädten beschützt haben. Die ältesten unseres Clans leiden darunter, dass die sie einst der Inbegriff von Stärke waren ohne Ehre gefallen sind. Ich habe hier zu ihrem Gedenken mein Blut vergossen in der Hoffnung, dass unsere Götter ihnen gnädig sind. Doch unsere Götter sind grausame wie das Leben selbst Burod. Sie werden wohl nicht in die Halle der Gebeine einziehen."
"Halle der Gebeine?" Burod konnte nicht jegliches Mitgefühl aus seiner Stimme verbannen doch der Zwerg war taktvoll genug Togra nicht sein Mitleid auszusprechen. Die Gehörnte wusste das zu schätzen. Ihr kleinwüchsige Freund wusste, dass das eher eine Beleidigung für sie gewesen wäre. Daher beantwortete sie dem Freund seine Frage:
"so stellen wir uns das Leben nach dem großen Vergessen vor. Der Fluss des Blutes der gespeist wird aus dem Lebenssaft aller die je auf einem Schlachtfeld gefallen sind bildet die Grenze zwischen dem Hier und Jetzt und dem was uns nach dem Tod erwartet. Sterben wir mit Ehre erreichen wir die Halle der Gebeine. Ein prächtiger Bau! Edler als Tronjheim und beeindruckender als eure Statue da drüben. Wenn wir unser Leben ehrenvoll geführt haben wir uns aus den Gebeinen der Feinde die unserer Stärke zum Opfer fielen eine Heimstatt in der Halle errichten. Dort sind wir dann mit den geehrten Toten vereint in einem großen Fest! Ist erfüllt von den Liedern unserer großen Taten und wir wissen, dass kein Feind unser Glück mehr stören wird. Deshalb errichten wir Urgalgra keine prächtigen Städte an diesem Ufer des Flusses des Blutes. Warum auch? Hier ist alles vergänglich! Die wahre Größe zeigt sich erst im nächsten Leben. Jeder Gehörnte träumt davon genug Ehre erworben zu haben um die Halle der Gebeine durch einen ganzen Palast zu erweitern."
"Deshalb sucht sein Volk so bereitwillig den Kampf und beweist auch heute noch seine Stärke in den Völkerspielen." vermutete Burod und Togra bemerkte bei ihren Waffengefährten ehrliches Verständnis. Ihr Blick wanderte wieder zu dem Feldzeichen welches am Boden lag.
"Aber für die, die ohne Ehre gefallen sind gibt es kein Wiedersehen mit denen die vor uns die Reise über den Fluss angetreten haben. Wusstest Du eigentlich, dass auch wir Gehörnten die Berge lieben?"
"Ich habe davon gehört." räumte Burod ein. "Ich habe auch gehört, dass euch Nasuada zunächst Länder in der fruchtbaren tiefen Ebene von Alagaesia geben wollte, ihr diese aber abgelehnt habt und eure Dörfer lieber im Buckel errichtet."
Togra nickte.
"Die Nachtjägerin wollte uns ehren indem sie uns diese fruchtbaren Landstreifen anbot aber Urgalgra hassen das flache Land. Das taugt nur für die Schlacht. In den Bergen erfordert jeder Schritt können und Mut. Das Leben selbst ist ein Kampf! Wo ist dieser Kampf wenn alles flach ist? Wenn alles gleich aussieht? Wenn jeder Schritt ist wie der andere und man Meilen überwinden kann ohne einmal auf seine Füße achten zu müssen? Wo die Aufregung der Jagd, wenn das größte Tier dass es zu erlegen gibt ein Hase ist? Wir haben deshalb unsere Heimat im Buckel genommen weil die Menschen ihn fürchten! Wir stellen uns nun einmal gern der Gefahr."
"Warum erzählst du mir das jetzt gerade?" murmelte Burod. "Hat das Schicksal derjenigen, die ohne Ehre gefallen sind etwas mit der Abneigung seines Volkes gegen das flache Land zu tun?"
"Diejenigen die ohne Ehre fallen erwartet nicht die Halle der Gebeine sondern die Ebene der Verlorenen." murmelte Togra bitter." Man stolperte über verfluchtes, flaches Land das so weich ist, dass sich nicht einmal ein Greis bei einem Sturz die Knochen brechen würde. Ein Nebel umgibt uns alles verschluckt! Kein Geräusch dringt an unser Ohr und wir sind ganz allein. Der Bruder könnte neben dir stehen, dass sich fast die Hörner berühren doch du würdest ihn nicht erkennen im Nebel des Vergessens. Alle Erinnerungen zerfließen und kein Lied erweckt sie zu neuem Leben. Man irrt umher! Taub, blind und allein, bis in alle Ewigkeit!"
Stille sich über die Gruppe gelegt und allein das raschelnde Geräusch, das Aragnas Schuppen verursachten als die dunkle Drachendame angewidert ihren Kopf schüttelte durchbrach das Schweigen. Offenbar gefiel Togra Seelenschwester diese Vorstellung vom Leben nach dem Tod auch nicht besonders.
Lehmann sagte etwas bis von der gewaltigen Götterstatue Stimmen zu ihnen herüber hallten. Offenbar hatte Dunkward mit seiner Gruppe von Jägern nun auch die verlassene Stadt erreicht.
Togra und Burod blickten sich an. Eine unausgesprochene Frage lag in den Augen des Zwerges. Die Gehörnte lächelte leicht so dass ihre Fangzähne aufblitzen.
"Kommt schon kleinwüchsiger Waffenbruder! Die Vergangenheit ist tot. So ist es und so muss es sein. Kümmern wir uns um die Gegenwart."

Eragon Buch 7 - Im Wandel der ZeitenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt