Kapitel 7

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James hatte das Seminar kaum überlebt. Es war keine gute Idee gewesen, es zu halten. Er war mit seinen Gedanken ganz woanders gewesen. Alles war in ihm hochgekocht. Alle Gefühle, all der Hass, all die Furcht und all die Verzweiflung dieses einen Tages vor 16 Jahren. Und neben all dem brauchte er einen Plan, wie er dem Piraten das Handwerk legen konnte. Und bisher war er nur zu der furchtbaren Erkenntnis gelangt, dass er keine Ahnung hatte. Er wusste es nicht. Wie sollte er in dem modernen Sydney gegen einen Piraten und seine ganze Mannschaft, von der er vermutete, dass sie auch hier sein könnte, antreten? Es war ihm ein Rätsel. Zumal er nicht wusste, wo sich Henry aufhielt. Er wunderte sich, dass ein Mann im Piratenkostüm nicht mehr Aufsehen erregte. Wie konnte er sich so lange versteckt halten?

In all seinen Überlegungen war allein ein Gedanke immer klarer geworden: Der wahrscheinlich einzige Weg, seine Tochter und viele andere Bürger zu retten, war, sich Henry zu stellen. James war auf den Gedanken gekommen, als er über das Messer nachgedacht hatte. Warum sollte Black Soul das Messer bei dem Toten zurücklassen? Gut, Black Soul hatte keine Ahnung von den heutigen technischen Möglichkeiten zur Bestimmung einer Tatwaffe, einer DNA-Analyse und all dem. Dennoch, das Messer war ihm heilig. Das war es zumindest immer gewesen. Weshalb also sollte er es zurücklassen, sodass die Polizei es fand? Das machte keinen Sinn – es sei denn, es wäre Absicht gewesen.

Black Soul war schon immer berechnend gewesen. Das hatte er in seinen Jahren als Kommandant gelernt. Er überließ nichts dem Zufall. Und wenn er das Messer zurückließ, war das kein Fehler, sondern es war eine Botschaft. Eine Botschaft an ihn, James. Denn er war wohl der einzige in Sydney und ganz Australien, der diese Botschaft verstehen würde. Henry offenbarte James damit, dass er in der Stadt war und es war sein Angebot an James, sich zu ergeben, bevor Henry auf der Suche nach ihm weitere Menschen töten würde. Denn das würde er vermutlich tun. Er würde sich durchfragen, so wie er das früher schon getan hatte. Und kein Mensch wusste je, wie eine Befragung endete. Meist ging sie tödlich aus. Wenn James also weiteres Blutvergießen verhindern wollte, war es wohl der einzige Weg, sich Black Soul zu ergeben. Alles weitere Blut würde sonst an James' Händen kleben und das könnte er sich niemals verzeihen.

Aber sollte er wirklich so einfach aufgeben? Er hatte noch nie kampflos aufgegeben, hatte immer gekämpft bis zum bitteren Ende. Er konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, sich einem anderen einfach auszuliefern. Erst recht nicht Henry!

Wie oft war in James in den letzten Stunden der Gedanke aufgeblitzt, alles der Polizei zu erzählen. Wäre das nicht der einfachste Weg? In der Polizei hätte er einen Verbündeten. Er hätte Unterstützung. Er würde nicht alleine antreten müssen. Die Polizei hatte heutzutage Mittel und Wege, von denen James früher nur hätte träumen können. War es heute nicht ganz einfach, Black Soul zu stürzen?

Aber wie viele Polizisten würden auf dem Weg dahin ihr Leben lassen? Black Soul würde ebenso wenig wie James kampflos aufgeben. Wenn er sterben müsste, würde Henry so viele wie möglich mit in den Tod reißen. Er würde sterben im Kampf, als Held für seine Mannschaft. Die Polizei einzubinden stellte daher keine echte Möglichkeit dar, höchstens einen Ausweg, wenn alle anderen Wege gescheitert waren. Vermutlich würden sie James sowieso als verrückt abstempeln, wenn er ihnen erzählen würde, dass der wahre Black Soul aus dem 18. Jahrhundert soeben in Sydney sein Unwesen trieb, nachdem er es irgendwie geschafft hatte, James durch die Zeit hierher zu folgen. Nein, das war keine Option.

James war sich der furchtbaren Wahrheit bewusst, die ihm die Luft zum Atmen abschnürte: Es lag alles an ihm. Er würde sich ergeben müssen. Das war der einzige Weg.

~

„Na endlich, da bist du ja. Ich hab mir schon Sorgen gemacht."

Amy sprang auf Joy zu und umarmte sie überschwänglich.

Im Strudel der Zeit - Tödliche GeheimnisseWo Geschichten leben. Entdecke jetzt