Kapitel 64

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Unsicher folgte Joy Black Soul über Deck. Immer wieder wurde sie von hinten gestoßen. Joy war überwältigt von dem, was sie sah. Sie war auf einem echten Segelschiff! Aber kein modernes. Nein. Das Schiff schien aus dem 17., 18. Jahrhundert zu sein. Sie hatte viel von ihrem Vater gelernt. Und hierbei war sie sich sicher.

Fasziniert und zugleich fassungslos sah sie sich um. Von überall wurde sie angestarrt – mal wieder. Sie schluckte. Unauffällig blickte sie zu den Segeln. Sie waren eingeholt. Wahrscheinlich war der Anker geworfen. Verzweifelt suchte sie den Horizont in alle Richtungen ab. Verdammt, wo war Sydney? Wieso konnte sie nirgends Land sehen? Sie waren doch nur vierundfünfzig Paddelzüge davon entfernt!

Wieder wurde sie geschubst. Sie war immer langsamer geworden, beinahe stehen geblieben, bei dem Versuch, am Horizont irgendetwas zu entdecken. Panik machte sich in ihr breit. Wo um alles in der Welt waren sie? Wieder begann ihr Kinn zu zittern. Was hatte sie sich da nur eingebrockt! Vor ihr stampfte der gewaltige Black Soul, verfolgt wurde sie von einem Riesen und einem weiteren Mann, der trotz geringerer Größe nicht viel weniger angsteinflößend war. Joys Augen rasten von rechts nach links und überflogen das ganze Schiff. Sie konnte einfach nicht fassen, was hier gerade passierte. Alle Männer, die sie sah, waren in Piratenkostümen gekleidet. Jeder einzelne von ihnen erinnerte sie an jene verhängnisvolle Nacht in ihrer Wohnung. Sie schaffte einfach nicht, all das zu verarbeiten und in einen sinnvollen Zusammenhang zu bringen. Was war das hier? Was waren das für Männer? Was war das für ein Schiff? Und was hatte es alles mit ihrem Dad und ihr zu tun?

Plötzlich blieb Black Soul vor ihr stehen. Erschrocken wurde Joy von hinten gestoppt. Sie waren im vorderen Drittel des Schiffes angekommen. Black Soul duckte sich und öffnete eine Luke. Joy schluckte. War das der Weg zum Kerker? Ihre Brust zog sich zusammen und sie sah ängstlich in das dunkle Loch, das vor ihr lag. Ihr Herz raste und sie wäre am liebsten wieder umgedreht. Ihr Verstand wusste es ganz genau, doch ihr Herz versuchte mit aller Kraft zu verdrängen, dass ihr Vater da unten war. Unten in diesem dunklen Loch. Sie schluchzte.

„Nach Euch, Fräulein", wies Black Soul ihr grinsend den Weg.

Mit zittrigen Knien ging sie auf das Loch zu, nachdem die Hand von hinten sie losgelassen hatte. Black Soul funkelte sie zufrieden an, als sie unsicher und voller Grauen an ihm vorbei ging. Ungeschickt stolperte Joy über die erste Stufe, konnte sich aber zum Glück wieder fangen. Mit voller Wucht landete sie auf ihrem schmerzenden Fuß und sie zuckte erschrocken zusammen. Ihre Knie waren so weich, dass sie jeden Moment nachzugeben drohten. Joy hatte Schwierigkeiten, die wenigen Stufen nach unten zu steigen. Ungeduldig wurde sie von hinten geschnappt.

„Das kann sich ja kein Mensch mit ansehen!", lachte Black Soul und nahm sie sich unter den Arm, als wäre sie kein Mensch, sondern irgendein Paket, das man die Treppen runter in den Keller brachte. Mit einem Satz war er bereits unten und stellte sie auf dem Boden ab. Schockiert blickte sie sich um. Sie war umgeben von Gitterstäben!

„Joy!", hörte sie da plötzlich eine Stimme von links und das Klirren von Ketten.

„Dad?"

Sie war sich ganz sicher, es war die Stimme ihres Dads, auch wenn der Stimme die gewohnte Kraft fehlte. Ohne auch nur eine weitere Sekunde zu verlieren, stürmte sie auf das Gitter zu.

„Dad!", rief sie verzweifelt und Tränen stiegen ihr in die Augen. „Oh Dad, ich hab dich so vermisst! So schrecklich vermisst. Ich hatte solche Angst! Ich versteh einfach nicht, was – Dad!" Erschrocken hielt sie inne, als sie ihren Dad im Dämmerlicht besser erkannte. Er sah grauenhaft aus! Sein ganzer Körper war geschändet, überall waren Blut, Wunden, Blutergüsse! Joy konnte ihren Blick kaum abwenden, obwohl er sie beinahe dazu brachte, sich an Ort und Stelle auf den Boden zu übergeben. Verdammt, was hatte man ihrem Dad nur angetan? Sie drohte unter dem entsetzlichen Anblick zusammenzubrechen. Ihr ganzer Körper zitterte.

Im Strudel der Zeit - Tödliche GeheimnisseWo Geschichten leben. Entdecke jetzt