Kapitel 8

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„Besuch? Wo?"

James' Herz pochte so heftig, als wolle es gleich die Universitätsmauern zum Einsturz bringen. Ein ganz furchtbares Gefühl schlich durch seine Eingeweide.

„Ich habe sie in dein Büro geschickt. Sie sind kreuz und quer durch die Uni gelaufen und haben nach dir gefragt", antwortete Christopher ein wenig verwundert über James' Reaktion.

„Sie? Wie viele sind es?", hakte James entsetzt nach. Er war verloren! Wen hatte Henry wohl mitgebracht?

„Es waren drei Männer. Sie meinten, sie wären alte Bekannte von dir und ihr würdet euch schon ewig kennen. Der größte war sich sicher, dass du dich sehr freuen würdest, ihn wiederzusehen. Ich weiß nicht, ob sie noch da sind. Ist schon ne Weile her."

Professor Brown war sichtlich verwirrt von den Reaktionen seines Kollegen. Natürlich verstand er nicht, was so schlimm daran war, in den Nachrichten genannt zu werden oder warum jede Farbe aus James' Gesicht verschwand, wenn er von alten Bekannten hörte, die ihn besuchten. Doch James hatte allen Grund, sich hier und jetzt in Luft auflösen zu wollen, wenn so etwas denn so einfach möglich wäre. Er wusste bis heute nicht so genau, wie es ihm vor sechzehn Jahren gelungen war, vor Henry zu fliehen. Aber er wusste ziemlich genau, dass es ihm heute nicht gelingen würde. Sein Schicksal war besiegelt.

„Geht es dir gut, James?", fragte Christopher besorgt nach.

James nickte betreten. Er konnte nicht mehr klar denken. Die Gedanken überschlugen sich in seinem Kopf, der wie sein Herz zu explodieren drohte. Sein ganzer Körper pochte und stand wie unter Strom. Er bekam kaum noch Luft und keuchte nur ein kurzes „Ja, alles gut. Danke.", bevor er sich erschüttert von seinem Kollegen entfernte. Dieser sah ihm vermutlich völlig verwirrt hinterher. James konnte die Blicke in seinem Rücken spüren und er hasste sich dafür, dass er sich in diesem Moment so wenig unter Kontrolle hatte. Aber so schlimm es in seiner Vorstellung bereits gewesen war, sich Henry zu ergeben, noch viel schlimmer war die Annahme, dass dies jetzt tatsächlich geschehen würde! Das ging viel zu schnell. Viel zu schnell. Er hatte sich morgen erst ergeben wollen. Er hatte Joy erst alles erklären wollen. Er hatte sich zuerst von ihr verabschieden wollen. Schließlich würde er die Sache mit Sicherheit nicht überleben.

Alte Bekannte. Sie kannten sich schon ewig.

Es konnte nur er sein. Das war kein Zufall. Nicht, nachdem James in den Nachrichten genannt worden war.

Torkelnd lief James durch die Gänge und schund Zeit. Immer wieder stieß er mit der Wand zusammen und sank irgendwann verzweifelt an ihr nieder. Was sollte er nur tun? Warum floh er nicht einfach? Das konnte er doch. Wieso sollte er sich freiwillig ausliefern und in das Büro gehen, wenn er doch wusste, dass es seinen Untergang bedeuten würde? Aber er kannte Henry zu gut. Henry würde nicht stoppen, ehe er James gefunden hatte.

Stöhnend stand James auf und versuchte, die Fassung zurückzuerlangen. Es führte kein Weg daran vorbei. Er würde sich Henry und seiner Vergangenheit stellen müssen. Mit pochendem Herzen ging er den ersten Schritt, doch dann fiel ihm plötzlich Joy wieder ein und die damit verbundene schreckliche Tatsache, dass er sie zurücklassen würde. Dass er sie verlassen würde, ohne dass sie wusste, wieso. Sie würde ihren Dad verlieren und nie erfahren, was passiert war!

Erneut sank er in sich zusammen. Er konnte sie nicht zurücklassen. Das konnte er einfach nicht. Nicht, solange sie keine Ahnung hatte, was los war. Er musste die Polizei rufen! Egal, wie verrückt das vielleicht war und egal, wie schwierig es werden würde, seine Geschichte zu erzählen, er konnte Joy jetzt nicht im Stich lassen. Nicht so! Hektisch griff er nach seinem Handy, da hörte er plötzlich eine Stimme, die ihm durch Mark und Bein ging. Er zuckte zusammen. Diese Stimme würde er nie vergessen. Auch in 300 Jahren nicht. Es war die rauchige, tiefe Stimme, die ihm so sehr verhasst war.

Im Strudel der Zeit - Tödliche GeheimnisseWo Geschichten leben. Entdecke jetzt