Kapitel 47

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Draußen schien es dunkel zu sein. Es fiel kaum Licht in den Kerker. James war müde, aber er war zu aufgewühlt zum Schlafen. Zu viele Gedanken kreisten durch seinen Kopf. Da waren die unendliche Sorge um Joy und der ungebändigte Hass auf Henry. Und so sehr James sich geschworen hatte, sich nicht von seinen Schuldgefühlen überwältigen zu lassen, es war kaum möglich, sie auszublenden. Was Henry getan hatte, um James zu folgen, war mit Worten kaum zu fassen! Es war einfach nur grausam und bestialisch. Und James trug die Schuld daran. Doch so sehr ihn diese Schuld erdrückte, versuchte er gleichzeitig noch immer, an einem Fluchtplan zu arbeiten. Bisher hatte er jedoch keine Idee gehabt, die funktioniert hätte. Es war fast aussichtslos. Aber er musste es irgendwie schaffen! Er musste von hier fliehen! Und er musste einen Weg finden, wenigstens eine Schuld zu begleichen. Zu viel Blut klebte an seinen Händen. Er wollte wenigstens das wieder gut machen, was noch gut zu machen war. Annie. Er hatte sich geschworen, einen Weg zu finden, um sie wieder mit ihrer Familie zu vereinen – falls diese noch lebte. Er hatte viel darüber nachgedacht, was Annie erzählt hatte und sich gewundert, wieso er darüber nie etwas gelesen hatte. Der logischste Schluss war leider, dass Black Soul das Dorf trotz allem niedergebrannt hatte. Aber vielleicht gab es auch eine andere Erklärung und wenn dem so wäre, musste er Annie zurückbringen. Sie hatte solch ein großes Opfer gebracht, da war das wohl das Mindeste, was er ihr im Gegenzug anbieten konnte.

Plötzlich hörte er ein Quietschen. Erschrocken zuckte er zusammen und lauschte konzentriert in die Dunkelheit. Was war das? Das Quietschen wurde lauter, da erkannte James, was es war. Die Luke wurde geöffnet. Aber ganz langsam und vorsichtig. Heimlich etwa? Das bedeutete nichts Gutes. James' Herz schlug schneller und er blickte besorgt in das Licht der Fackel, das nun die Treppe erhellte. Dahinter erkannte er verschwommen ein Gesicht. Sein Herz blieb stehen, als er das Gesicht erkannte. Es war Mac! James' Muskeln spannten sich an. Wenn Mac sich heimlich zu ihm aufmachte, konnte das nur das Schlimmste bedeuten. Er war hier, um seine Drohung von letzter Nacht wahr zu machen.

James schluckte. Seine Atmung beschleunigte sich kaum wahrnehmbar. Er hatte keine Chance zu entkommen. Er war Mac ausgeliefert. Was auch immer Mac nun vorhatte, James würde es nicht verhindern können. In Ketten und schwerverletzt, wie er war, würde er alles über sich ergehen lassen müssen, was Mac für ihn geplant hatte. Und James kannte Macs Grausamkeit nur allzu gut.

Langsam schritt Mac nun die Treppe nach unten. Als er schließlich vor James' Gitter ankam, machte er kurz Halt und nahm sich die Zeit, verschwörerisch James' Namen zu flüstern. Dann steckte er den Schlüssel ins Schloss und schloss auf. Als rechte Hand des Käpt'ns hatte er natürlich einen Schlüssel. James fluchte innerlich und seine schmerzenden Muskeln spannten sich weiter an. Nur wenig später stand Mac bereits vor ihm und zog verächtlich grinsend sein Schwert. Bedrohlich spiegelte sich das flackernde Licht darin.

„Hallo, James", hauchte Mac mit seinem hässlichen Grinsen. „Hast du mich schon vermisst?"

James blieb stumm. Er hatte nicht vor, Mac irgendetwas zu entgegnen. Doch sein Herz war in Unruhe.

„Das war doch mal ne nette Versammlung da oben, nicht wahr? Dieser Junge", er gab einen belustigten Laut von sich, „dieser Junge ist echt Gold wert." Spielerisch ließ Mac sein Schwert durch die Luft gleiten. „Er schüttet Henry seine Seele aus. Er gibt ihm alles, was wir brauchen. Aber nun zu dir."

Mac hielt in seiner Bewegung inne und das Schwert kam vor James' Gesicht zum Stehen.

„Aye, ich habe dich nicht vergessen. Erinnerst du dich? Ich habe noch so viel mit dir vor!"

Grinsend ließ er das Schwert über James' Körper gleiten. James kannte inzwischen das Gefühl. Die kalte Klinge wirkte bedrohlich und jedes Mal, wenn sie über eine Wunde strich, zuckte James vor Schmerzen zusammen. Doch er versuchte, keine Angst zu zeigen und starrte Mac stattdessen hasserfüllt in die Augen.

Im Strudel der Zeit - Tödliche GeheimnisseWo Geschichten leben. Entdecke jetzt