Zittrig setzte Joy sich auf den Stuhl, der für sie vorgesehen war, und betrachtete überwältigt den Tisch. All die Dokumente, die davor quer darüber verstreut gewesen waren, waren zusammengesammelt und in einem Stapel auf die Bank unter dem Fenster geräumt. Die Essensreste, die sonst auf dem Tisch zu finden waren, waren verschwunden, stattdessen zierte ein Festessen den Tisch. Sogar drei Kerzen standen zwischen all den Schlemmereien.
„Na, beeindruckt?", fragte Black Soul zufrieden, als er ihren Blick bemerkte.
Sie sagte nichts. Konnte sie gar nicht, sie hatte noch den Knebel im Mund.
„Das Ding kannst du dir aus dem Mund nehmen", meinte Black Soul schmunzelnd mit Blick auf ihr Gesicht. „Wie willst du denn sonst etwas essen?", lachte er dann.
Beschämt nahm sie sich unter seiner Beobachtung das Tuch aus dem Mund, obwohl es ihr ausnahmsweise sogar fast lieber gewesen wäre, den Knebel zu behalten. Sie hatte wirklich keine Lust, auch nur ein einziges Wort mit Black Soul zu wechseln und sie würde versuchen, ihm so gut wie möglich mit Schweigen zu trotzen. Er hatte Gefallen an ihren Kommentaren gefunden, deshalb würde sie ihm ebendiese vorenthalten. Ihr Mund war ausgetrocknet und taub wie immer. Rasch versuchte sie, mit der Zunge jeden Winkel ihres Mundes zu befeuchten. Das gelang ihr jedoch nicht, da ihr schlichtweg die Spucke dazu fehlte. Nachdem sie die letzten zwei Tage kaum etwas getrunken hatte und zu allem Überfluss auch noch den ganzen Tag der Sonne ausgesetzt gewesen war, hatte sie das Gefühl, dass sie keinen Tropfen Flüssigkeit mehr in sich trug. Sie würde wohl mit ihrem staubtrockenen Mund klarkommen müssen, auch wenn das bedeutete, dass ihre aufgeplatzten Lippen noch mehr schmerzten, da sie auch noch rissig und spröde waren. Die ganze Zeit über versuchte Joy, Black Souls Blicken auszuweichen, der sie eingehend musterte. Sie wollte ihm einfach nicht in die Augen sehen. Das hatte er nicht verdient. Außerdem zeugten seine schwarzen Abgründe nur von seinem grausamen Vorhaben, sie zu töten. Sie konnte gerne darauf verzichten, sich wieder mit seiner abgrundtiefen Boshaftigkeit konfrontiert zu sehen.
„Also, hast du dich ein bisschen mit deinem Schicksal abgefunden?", fragte Black Soul, als er begann, sich seinen Teller vollzuhäufen. „Bitte, bedien dich!", meinte er dann beiläufig.
Mit ihrem Schicksal abgefunden? Genau das hatte sie gemeint! Was war das denn für eine unverschämte Frage? Wie sollte man sich jemals damit abfinden können, ermordet werden zu sollen? Doch sie sagte nichts. Sie verkniff sich den Kommentar, der ihr auf der Zunge lag. Stattdessen versuchte sie, Black Soul weiterhin einfach zu ignorieren und sich stattdessen auf den Tisch vor ihr zu konzentrieren. Noch immer war sie überfordert von dem Angebot. Sie hatte einen bohrenden Hunger, ihr Magen knurrte schon seit Stunden und hatte sich bereits schmerzhaft zusammengezogen. Doch sie hatte beim besten Willen keinen Appetit. Nicht in Gesellschaft dieses Monsters und nicht in der Situation, in der sie sich befand.
„Ich habe gesagt, bedien dich!", wiederholte Black Soul weniger freundlich seine Worte.
Verunsichert sah sie sich auf dem Tisch um. Sie zögerte, dann nahm sie ein Stück Fleisch, ein paar Kartoffeln und ein wenig Gemüse. Überfordert betrachtete sie ihren Teller, unfähig, etwas davon zu essen. Sie bemerkte Black Souls misstrauischen Blick, während er genüsslich an einem Hähnchenschenkel herumkaute.
„Kein Hunger?", fragte er verwundert. „Das glaub ich dir nicht. Iss was!", befahl er.
Ganz langsam nahm sie die Gabel zur Hand und erschrak, als sie ihr rechtes Handgelenk sah. Es war blutiger, als sie gedacht hatte. Das raue Seil hatte über die letzten zwei Tage viel Schaden angerichtet. Black Soul bemerkte ihren Blick und beäugte seinerseits ihr Handgelenk. Er nahm es zur Kenntnis, doch er sagte nichts.
„Weißt du, ich werde es schnell machen. Weil du es bist", sagte er dann unvermittelt in die unangenehme Stille. „Du weißt schon, dein Tod."
Erschrocken blickte sie von ihrem Teller auf.
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Im Strudel der Zeit - Tödliche Geheimnisse
AdventureJoy liebt ihren Vater über alles. Als er eines Tages, kurz nachdem er der Polizei bei den Ermittlungen in einem Mordfall geholfen hat, spurlos verschwindet, geht für sie eine Welt unter. Noch schlimmer wird es, als die Polizei in seiner Vergangenhei...