Fassungslos starrte Bryan über das Meer. Inzwischen war der Detective angekommen. Er hatte nur wenige Sekunden nach Mills und seinen Männern den Hafen erreicht. Doch es war zu spät gewesen.
„Sie waren gerade noch hier!", rief Bryan verzweifelt aus. „Wo sind sie denn hin? Sie sind einfach verschwunden. Ich war doch direkt hinter ihnen!"
Stöhnend vergrub er seine Hände im Haar und streckte die Ellbogen zur Seite. Joys Blick, als er sie im Griff der zwei Männer entdeckt hatte, blitzte immer wieder vor seinem inneren Auge auf. Er würde ihn so schnell nicht vergessen können. Flehend hatte sie ihn angestarrt, mit einer Mischung aus Panik und Hoffnungslosigkeit in ihren Augen. Sie hatte sich nicht einmal gewehrt, als diese Männer sie fesselten. Sie war ihnen hilflos ausgeliefert gewesen.
Hastig schob Bryan das Bild wieder von sich. Er musste sich auf andere Dinge konzentrieren. Er musste herausfinden, wohin sie verschwunden waren.
~
„Wie ist denn das möglich, Bryan?", fragte Hansson verärgert.
Er hatte heute beim besten Willen genügend schlechte Neuigkeiten gehört. Und nun war Joy tatsächlich verschwunden! Zum Teufel nochmal! Sie hatte es ernsthaft geschafft. Sie hatte sich gestellt. Sie hatte sich freiwillig ausgeliefert! Seine Wut darüber kannte keine Grenzen. Er hatte sie beschützen wollen, hatte nach einem Weg gesucht, die ganze Sache anders zu lösen. Aber sie hatte ihm ja gar keine Chance gelassen, sie vor ihrem Unheil zu bewahren. Sie hatte ihm die Entscheidung einfach abgenommen. Nun hatten sie ernsthaft beide Lockwoods verloren. Hansson schnaubte. Kopfschüttelnd dachte er an den Gedanken von vorhin. Hoffentlich würde Joy ihre Flucht vor der Polizei dieses Mal nicht mit ihrem Leben bezahlen.
Frustriert sah er über das Meer, dessen sanfte Wellen das genaue Gegenteil von dem Sturm in seinem Inneren waren. Wenn er ehrlich war, musste er ja sogar zugeben, dass Joy ihm eine schwere Last von den Schultern genommen hatte, indem sie die Morddrohung aus der Welt geschafft hatte – hoffentlich zumindest. Denn Hansson hatte zwar nach einem anderen Weg gesucht. Aber es war ja bereits daran gescheitert, dass sie überhaupt keine Möglichkeit hatten, mit Henry oder Black Soul in Kontakt zu treten, um neue Bedingungen auszuhandeln. Sie hatten keine Adresse, keine Telefonnummer, kein Postfach, keine E-Mail-Adresse, einfach nichts, an das sie sich hätten wenden können. Trotzdem, Hansson hätte lieber Joy beschützt und gleichzeitig den Mörder gefasst. Es hätte doch irgendwie möglich sein müssen – auch wenn er insgeheim wusste, dass die Chancen sehr gering gestanden hatten. Aber er hätte es wenigstens versuchen wollen. Sie hätten doch noch den restlichen Tag Zeit gehabt, um nach einer Lösung zu suchen.
Um Hansson und den fassungslosen Bryan herum wuselten dutzende Polizisten. Der Tatort wurde abgeriegelt, der ganze Hafen durchsucht. Taucher waren bestellt und sollten jeden Moment hier eintreffen, um unter Wasser nach möglichen Fluchtwegen zu suchen. Es war schlichtweg nicht möglich, dass diese Männer mitsamt Joy einfach verschwunden waren, Sekunden nachdem Bryan sie gesehen hatte. Wie hatte Joy es überhaupt bis hierher geschafft? Wie war das nur alles möglich gewesen? Hansson musste dringend zum Bahnhof. Hier konnte er im Moment nichts ausrichten. Aber er musste erfahren, was geschehen war.
„Bryan, ich fahr zum Bahnhof. Kommen Sie mit?"
Abwesend starrte sein Kollege aufs Meer.
„Bryan!", sprach Hansson ihn noch einmal an. Irritiert drehte Bryan den Kopf.
„Nein, danke. Ich bleibe hier", murmelte er dann, wieder aufs Meer fixiert. „Ich muss herausfinden, was hier geschehen ist. Ich möchte hören, was die Taucher zu sagen haben."
Verständnisvoll nickte Hansson, dann verschwand er. Er konnte Bryan nur allzu gut verstehen. Der junge Kollege war dabei gewesen. Joy war vor seinen eigenen Augen verschwunden. Es war nur verständlich, dass er erfahren wollte, wie das vonstattengegangen war. Hansson wusste die Ermittlungen hier am Hafen in guten Händen. Für ihn zählte nun, zu erfahren, wie es überhaupt so weit hatte kommen können.
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Im Strudel der Zeit - Tödliche Geheimnisse
AdventureJoy liebt ihren Vater über alles. Als er eines Tages, kurz nachdem er der Polizei bei den Ermittlungen in einem Mordfall geholfen hat, spurlos verschwindet, geht für sie eine Welt unter. Noch schlimmer wird es, als die Polizei in seiner Vergangenhei...