Kapitel 87

247 41 55
                                    

„Detective?"

Stevens steckte seinen Kopf durch die Tür, nachdem er geklopft und vergeblich auf eine Antwort gewartet hatte. Hansson war zu sehr in Gedanken vertieft gewesen. Er war verzweifelt auf der Suche nach Antworten. Joy und ihr Vater waren schon viel zu lange in den Händen dieses schrecklichen Piraten. Hansson wollte sich gar nicht ausmalen, was sie womöglich gerade durchmachen mussten. Sie mussten endlich dieses verfluchte Schiff finden.

„Detective", begann Stevens nun noch einmal, „es ist ein Video aufgetaucht von Joy gestern Morgen im Zug. Jemand scheint es heimlich gefilmt zu haben und jetzt hat er es auf Youtube veröffentlicht. Die Nachrichten reißen sich darum."

Schockiert blickte Hansson aus seinen Gedanken auf.

„Wie bitte?" Er schoss von seinem Stuhl hoch. Er konnte es nicht fassen!

„Wir haben es im Konferenzraum auf dem Bildschirm, falls Sie es sehen möchten. Mills und Krauss sind auch dort."

Ohne zu zögern stach Hansson los. Er kochte vor Wut. Hastig rannte Stevens hinterher.

„Spiel es ab!", befahl Hansson Bryan, während er den Konferenzraum betrat.

Noch überrumpelt von dem plötzlichen Auftritt des Detectives befolgte Bryan den Befehl. Nur eine Sekunde später waren alle Augen auf den Bildschirm gerichtet, auf dem Joy zu sehen war, wie sie mit gezogener Waffe mit den Polizeibeamten diskutierte. Fassungslos beobachtete Hansson die Szene. Die Polizisten versuchten, Joy dazu zu bewegen, die Waffe fallen zu lassen. Hansson erkannte den Beamten, der erzählt hatte, dass er versucht hatte, Joy die Waffe abzunehmen. Er hatte nicht gelogen. Und Joy drohte tatsächlich, die Waffe abzufeuern. Plötzlich schnappte sie sich auch noch die Frau, die neben ihr stand. Panik stand der Frau ins Gesicht geschrieben. Doch auch Joy sah aus, als würde sie jeden Moment unter dem Stress der Situation zusammenbrechen. Wie hatte sie das nur durchgestanden? Hansson verstand die Beamten jetzt viel besser. Es war wirklich eine ausweglose Situation gewesen. Ihre Handlungsmöglichkeiten waren auf ein Minimum reduziert gewesen?

„Ich bin Joy Lockwood!", hörten sie nun Joys verzweifelten Ausruf an die Anwesenden im Zug.

Dieses Mädchen war wirklich nicht auf den Kopf gefallen. Es war faszinierend zu beobachten, wie nach ihrer Ansprache nach und nach immer mehr Menschen aufstanden und sich den Polizisten in den Weg stellten. Dann kam der Zug zum Stehen. Das Video folgte Joy nach draußen, wo die Menschenmenge sie auch noch vor den dort warteten Polizisten abschirmte, bevor Joy schließlich über die Treppe in die Freiheit rannte. Fassungslos blieben Hansson und seine Kollegen am Bildschirm kleben, obwohl sie nur noch das letzte Standbild sahen. Niemand sagte ein Wort. Sie waren alle sprachlos.

„Unfassbar, was Joy durchgemacht hat, nur um sich entführen zu lassen", brach Bryan irgendwann die Stille und sprach damit genau das aus, was sie vermutlich alle dachten.

Hansson beobachtete, wie Bryan in Gedanken abzudriften schien. Vermutlich dachte er an den verhängnisvollen Moment zurück, als Joy entführt worden war. Bryan hatte Hansson seine Gedanken darüber geschildert. Dass er sich sicher war, dass Joy erst in diesem Moment die Konsequenzen ihres Handelns wirklich begriffen hatte. Dass sie es in diesem Moment bereut hatte. Und dass er die Panik in ihren Augen niemals würde vergessen können.

„Von ihrem Mut und ihrer Willenskraft können wir uns alle noch eine Scheibe abschneiden. Hoffen wir mal, dass es sie nicht das Leben kosten wird", kommentierte Hansson seufzend.

Es war wirklich unglaublich. Joy war doch fast noch ein Kind! Woher nahm sie diesen Mut? Sie hatte Himmel und Hölle in Bewegung gesetzt, um sich einem Piraten auszuliefern und einen Mord zu verhindern. Ob wohl ein einziger von ihnen dasselbe getan hätte? Joy hielt mit ihrer Aktion jedem von ihnen einen Spiegel vor und Hansson spürte, wie das Video in den Köpfen seiner Kollegen weiterarbeitete. Dieses Mädchen war mehr als faszinierend.

Im Strudel der Zeit - Tödliche GeheimnisseWo Geschichten leben. Entdecke jetzt