Kapitel 10

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Hektisch schnappte Bryan seine Tasche vom Schreibtisch und hechtete Detective Hansson hinterher, der bereits ungeduldig wartete. Er schien keine Sekunde verlieren zu wollen. Sein Jagdtrieb war geweckt. Bryan kannte den Detective schon lange genug, um das zu sehen. So wenig Hansson die Sache anfänglich gefallen hatte, einen anständigen und angesehenen Bürger zu verdächtigen, so sehr hatte ihn jetzt der Ehrgeiz gepackt, ebendiesem das Handwerk zu legen. Er hatte einen ebenbürtigen Gegner gefunden. Ein Professor, das war genau seine Kragenweite. Genau seine Sache. Ein Gegner, der es einem sicher nicht leicht machte, bei dem aber dafür die Genugtuung am Ende viel größer sein würde, ihn letztendlich hinter Schloss und Riegel zu bringen.

„Was denken Sie, könnte passiert sein?", fragte Bryan neugierig, als sie im Auto saßen.

„Ich weiß es nicht. Nach allem, was ich gerade erfahren habe, halte ich das alles für ein abgekartetes Spiel. Aber wir werden sehen. Jetzt befragen wir erstmal seine Tochter."

„Hat die Tochter irgendetwas gesagt, warum sie ihren Vater als vermisst gemeldet hat?"

Der Detective schüttelte den Kopf. „Nicht dass ich wüsste", murmelte er und nachdenkliche Stille folgte. Beide schienen tief in ihren eigenen Gedanken versunken zu sein.

„Also, Bryan", begann der Detective nach einer Weile wieder, „wenn wir seine Tochter befragen, lassen wir sie erst einmal berichten. Wir erzählen zunächst nicht, was wir wissen. Zuerst müssen wir ihr Vertrauen gewinnen. Vielleicht erzählt sie uns dann etwas. Vielleicht weiß sie, was ihr Vater vor ihrer Geburt getrieben hat und wie er in der ganzen Mordgeschichte mit drin hängt."

Bryan nickte. Er würde sowieso den Detective reden lassen. So war die Regel. Bryan war gespannt darauf, die Tochter zu treffen. Was für ein Mädchen war sie wohl und wie würde sie mit der Situation umgehen? Und wusste sie womöglich tatsächlich über alles Bescheid? Insgeheim hoffte Bryan, dass der Vater sie vor seinen krummen Machenschaften beschützt hatte. Kein Mädchen hatte es verdient, solche Geheimnisse mit sich herumzutragen. Aber sie würden es wohl bald erfahren.

~

Es klingelte an der Haustür. Joy zuckte zusammen und ihr Herz begann wieder zu rasen. Das war vermutlich die Polizei. Gebannt starrte sie zur Zimmertür, von der nur wenig später bereits ein Klopfen zu hören war, das Joys Blut vor Nervosität und Anspannung zum Kochen brachte. Amy steckte ihren Kopf ins Zimmer.

„Joy, die Polizei ist hier", bestätigte sie Joys Vermutung.

Joys Muskeln spannten sich an. Seit sie bei der Polizei angerufen hatte, fühlte sie sich wie in Trance. Sie stand vollkommen neben sich und schaffte es einfach nicht, zu begreifen, was passiert war. Sie hatte bei der Polizei angerufen und ihren Vater als vermisst gemeldet. Verdammt, sie hatte ihren Vater als vermisst gemeldet. Ihr Vater war entführt worden! Joy schaffte es beim besten Willen nicht, das zu verarbeiten. Es brach ihr das Herz und die Angst und Sorge um ihren Dad drohten sie zu überwältigen.

Jetzt war die Polizei tatsächlich hier. Das machte alles noch viel realer. Bis jetzt hatte sie noch den Luxus gehabt, zu versuchen, das alles irgendwie zu verdrängen. Aber jetzt war die Polizei hier und es machte keinen Sinn mehr, es zu leugnen. Joys Dad war verschwunden und jeden Moment würde sie mit der Polizei darüber reden müssen. Sie würde ihnen von dem Telefonat mit ihrem Dad erzählen müssen. Obwohl es ihr das Herz brach, daran zurückzudenken. Ihr Dad hatte sich so traurig und so verzweifelt angehört.

Joy atmete tief durch und kämpfte mit den Tränen. Amys wenigen Worte hatten sie furchtbar aufgewühlt. Sie musste sich unbedingt wieder beruhigen, bevor sie mit der Polizei sprach.

„Ok, ich komme", presste sie mit Mühe hervor.

Mit zittrigen Knien stand sie vom Bett auf und wankte in Richtung Tür. Bevor sie den Flur betrat, sammelte sie noch einmal ihre wirren Gedanken und versuchte ihr wild pochendes Herz zu beruhigen. Amy wartete schon auf sie und sah sie mitfühlend an.

Im Strudel der Zeit - Tödliche GeheimnisseWo Geschichten leben. Entdecke jetzt