Kapitel 39

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Bear stieß die Tür auf und schubste James in das Zimmer. Mit einem lauten Rumms fiel die Tür hinter ihnen wieder ins Schloss und Bear machte James mit seiner Hand im Nacken klar, dass er stehen bleiben sollte.

James wusste nicht, wie ihm geschah. Tausende Erinnerungsblitze schossen ihm durch den Kopf, als er den Raum betrat. Innerhalb eines Sekundenbruchteils flog alles an seinem inneren Auge vorbei, was er hier erlebt hatte. James hätte fast den Halt verloren, so sehr wurde er von den Erinnerungen übermannt. Nichts hatte sich hier verändert. In der Mitte des Raumes stand der große Eichentisch, übersäht mit Landkarten, Goldstücken, Schmuck und Essensresten. Gegenüber der Tür zog sich die filigran gearbeitete Fensterfront am Heck des Schiffes entlang. Darunter befand sich eine kunstvoll eingearbeitete, mit rotem Polster überzogene Bank, wobei das Polster schon wesentlich bessere Zeiten gesehen hatte. Rechts und links neben der Tür standen ebenso filigrane Vitrinen, passend zum Fenster. Von der Decke hing ein alter Kronleuchter. Auch er war nicht mehr im besten Zustand, an einigen Stellen verkratzt und verrostet, aber er schaffte es immer noch, Eindruck zu schinden. Hinter dem Tisch stand Henry, in all seiner Pracht. Genauso hatte James es in Erinnerung.

Doch eines passte nicht ins Bild.

Neben Henry stand ein Junge. Und er war kein Pirat. Er war aus dieser Zeit. Flipflops, eine lässige kurze Hose und ein wohl aufgrund der australischen Sommerhitze halb aufgeknöpftes kariertes Hemd ließen daran keinen Zweifel. Er schien so um die achtzehn, neunzehn Jahre alt zu sein. Blut rann von seiner Schläfe und auf seinen Kopf war die dicke Knarre von Mac gerichtet, der neben ihm stand. Verängstigt starrte der Junge James an, doch in seinen Augen erkannte James auch blankes Entsetzen. Der Junge wurde wohl augenblicklich von der Angst erfasst, dass ihm dasselbe geschehen könnte wie James. Stocksteif stand er da. Er schien nicht zu wagen, sich auch nur einen Millimeter zu bewegen, mit der Knarre an seinem Kopf. Doch James konnte sehen, wie ihm die Beine zitterten.

Fassungslos stöhnte James in sich hinein. Was hatte Henry nun schon wieder vor? Was sollte dieser arme Junge hier? Er musste völlig überfordert sein mit der Situation, völlig verwirrt, was um ihn herum geschah. Hatte er verstanden, dass er sich auf einem echten Piratenschiff befand und wie ernst die Lage war? Aber das war wohl kaum zu übersehen und so, wie er zitterte und James ansah, schien ihm zumindest letzteres klar zu sein.

„Hallo, James", erhob Henry nun seine Stimme und der Junge zuckte zusammen. „Na, erkennst du es wieder? Freust du dich, mal wieder hier zu sein?"

James entgegnete nichts darauf und warf Henry stattdessen einen gehässigen Blick zu. Dieser hatte wohl auch nicht mit einer Antwort gerechnet und fuhr bereits fort.

„Während du es dir da unten gemütlich gemacht hast, war ich fleißig bei der Arbeit."

Er grinste zu dem Jungen hinüber, dem die Angst ins Gesicht geschrieben stand.

„Ich habe dir hier jemanden mitgebracht. Auf, zeig James das gleiche, was du mir gezeigt hast."

Mit einem heftigen Schlag gegen den Hinterkopf stieß Henry den Jungen in James' Richtung. Verunsichert lief der Junge um den Tisch herum und auf James zu, Macs Knarre noch immer auf ihn gerichtet.

„Bear hat ihn in der Stadt aufgegabelt, als er sich das angesehen hat. Meine Männer wissen, wie sie mich glücklich machen. Also hat Bear mir den Jungen mitgebracht. Verdammt!", schlug Henry dann mit voller Wucht auf den Tisch und der Junge zuckte ein weiteres Mal zu Tode erschrocken zusammen. „Was dauert denn da so lange? Zeig es ihm schon, du Nichtsnutz!"

Der Junge war völlig verunsichert vor James stehen geblieben und hatte ihn mitleidig und flehend zugleich mit seinem Blick durchbohrt. Nun griff er panisch in seine Hosentasche und zog mit zittrigen Händen sein Handy hervor.

Im Strudel der Zeit - Tödliche GeheimnisseWo Geschichten leben. Entdecke jetzt