Black Soul sah Joy nun schon seit Sekunden erwartungsvoll an. Sie konnte seinen Blick kaum ertragen und wäre am liebsten einfach direkt aus dem Zimmer gerannt. Leider war sie sich ziemlich sicher, dass vor der Tür irgendjemand Wache stand – vermutlich Bear – und außerdem befand sie sich auf einem verdammten Schiff. Es gab keinen Ort, wo sie hätte hin rennen können. Sie war auf diesem verfluchten Schiff gefangen.
Joy stöhnte und holte einmal tief Luft. Sie hatte sich so viele Gedanken gemacht, wie sie morgen fliehen konnte. So lange hatte sie überlegt, wie sie den widerlichen Black Soul in die Hände der Polizei spielen konnte. Sein Unwissen über diese Zeit spielte ihr in die Hände – so hatte sie zumindest gedacht. Denn all ihre Gedanken waren umsonst gewesen. Plötzlich musste sie ihre Strategie um 180 Grad wenden. Sie musste das genaue Gegenteil von dem planen, was sie vorgehabt hatte. Auf keinen Fall durften sie der Polizei in die Hände laufen – sonst musste ihr Dad sterben, ebenso wie Annie. Und das auf äußerst qualvolle Weise. Das konnte Joy nicht zulassen.
„Also?", hakte Black Soul inzwischen ziemlich ungeduldig nach.
Noch ein wenig überfordert sah Joy ihn an. Sie hatte beim besten Willen keine Lust, mit ihm zu reden und ihm zu allem Überfluss auch noch dabei helfen zu sollen, der Polizei zu entkommen. Sie hasste und verteufelte es, dass sie nun dazu gezwungen war. Aber sie hatte wohl keine andere Wahl. Würde sie ihren Mund nicht aufmachen, würde er jedes einzelne Wort aus ihr herausprügeln. Und würde sie ihm nicht helfen, der Polizei zu entkommen, müssten Annie und ihr Dad dafür bezahlen. Also zwang sie sich, ihren Ärger und ihren Hass herunterzuschlucken, um irgendwie klar denken zu können.
„Du brauchst normale Kleidung", war das erste – und wirklich banale – was ihr einfiel.
„Was heißt normal?", fragte Black Soul empört. „Das hier ist normal", brummte er, während er mit beiden Händen auf seine Kleidung wies.
„Normal für unsere Zeit", erklärte Joy ergänzend, um ihn zu besänftigen. „Du weißt schon, kurze Hose, T-Shirt, Hemd, Mütze, solche Dinge."
„Aye, ich verstehe schon. Solche Dinge. Wir haben schon ein paar davon. Mein erstes Mordopfer hier hat uns dasselbe empfohlen."
Sie schluckte bei der Beiläufigkeit, mit der er über das Mordopfer sprach. Dann setzte sie zu ihrem nächsten Punkt an, um sich selbst von der Tatsache abzulenken, dass Black Soul diesen Mann vermutlich nur getötet hatte, um ihren Dad zu finden.
„Und... du darfst mich nicht fesseln. Vor allem kein Knebel", erklärte sie mit einem Kloß im Hals. Sie wusste, dass Black Soul die Worte nicht freudig aufnehmen würde. Misstrauisch kniff dieser die Augen zusammen.
„Was, wenn ich damit nicht einverstanden bin?", bestätigte er bereits ihre Gedanken. „Du könntest uns davonlaufen. Und um Hilfe schreien."
„Ich weiß nicht, wie das in deiner Zeit ist", entgegnete Joy direkt. „Aber in unserer Zeit hier läuft niemand gefesselt und geknebelt durch die Gegend. Das fällt auf. Wenn ich so einen Schritt nach Sydney setze, sind wir im Zentrum der Aufmerksamkeit. Jeder würde uns anstarren und jeder wüsste, dass etwas nicht stimmt. Innerhalb von Sekunden wären wir umringt von Menschen und die Polizei würde auch nicht viel länger brauchen, um uns zu umstellen. Glaube mir, das funktioniert nicht."
Black Soul wirkte noch nicht ganz überzeugt. Die Sache schien ihm nicht zu gefallen. Klar, in seiner Zeit würde er einfach jeden mit seinem Schwert verjagen, der eventuell ein gefesseltes Mädchen in Schutz nehmen oder gar die Richtigkeit dessen in Frage stellen würde. Vermutlich hätte er aber ohnehin kein Problem, ein gefesseltes Opfer durch die Straßen zu führen, weil ihm alle bereits von weitem aus dem Weg gehen und sich in ihren Häusern verschanzen würden, wenn sie ihn näherkommen sahen. Über solche Dinge hatte Black Soul sich vermutlich noch nie Gedanken machen müssen. Aber heutzutage sah das ganz anders aus. Wenn ein Passant so etwas sah, rief er über sein Handy die Polizei und binnen Sekunden oder Minuten wären sie umzingelt. Davon hatte Black Soul einfach keine Vorstellung und Joy wusste beim besten Willen nicht, wie sie jemandem, der noch nie etwas von moderner Technik gehört hatte, all das erklären sollte.
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Im Strudel der Zeit - Tödliche Geheimnisse
AventuraJoy liebt ihren Vater über alles. Als er eines Tages, kurz nachdem er der Polizei bei den Ermittlungen in einem Mordfall geholfen hat, spurlos verschwindet, geht für sie eine Welt unter. Noch schlimmer wird es, als die Polizei in seiner Vergangenhei...