Kapitel 26

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Die Luke wurde geöffnet und Annie schreckte zurück. In Windeseile huschte sie in das hinterste Eck ihrer Zelle und verschwamm mit der Dunkelheit. Deshalb hatte James sie bisher nicht gesehen. Schnaubend schüttelte er den Kopf. Annie musste furchtbare Angst haben. Wann immer jemand kam, versteckte sie sich in ihrem dunklen Eck. Es hatte sie vermutlich große Überwindung gekostet, James letztendlich anzusprechen. Sie hatte ja lange genug damit gewartet. Wahrscheinlich war sie die ganze Zeit in ihrem Eck gesessen und hatte ihn beobachtet. Dabei hatte sie keinen Laut von sich gegeben. Nicht einmal ihr Atmen hatte James gehört. Sie war einfach völlig mit der Dunkelheit ihrer Ecke verschwommen, als wäre sie nicht da gewesen. Aber sie war die ganze Zeit da gewesen. Als man ihn das erste Mal bewusstlos in die Zelle geworfen hatte, als Henry mit ihm gesprochen hatte, als Mac ihn mit sich nach oben geschleppt hatte und als John ihn dann Stunden später halbtot geschlagen wieder hierhergebracht hatte. Annie hatte das alles mitbekommen und keinen Mucks von sich gegeben. Bis sie sich endlich getraut hatte. Und nun hatte sie sich wieder versteckt. Von den Piraten schien es keinen zu stören, dass sie immer stillschweigend in ihrem dunklen Eck saß. Sie schienen sie ernsthaft in Ruhe zu lassen. Damit das auch so blieb, schob James sich schwer atmend zurück an die Wand und blickte mit kleinen Augen zur Luke. Er schloss seine Augen bis auf einen kleinen Spalt. Wer auch immer kam, sollte denken, dass er noch schlief.

Es war Henry. Natürlich. Wer hätte es auch sonst sein sollen. Mit schweren Schritten polterte er die Stufen hinab.

„James!", brüllte er und der Schrei ging James durch Mark und Bein.

Widerwillig öffnete er die Augen und setzte sich gequält auf, wobei er sich schmerzerfüllt an die Rippen griff. Seine Ketten klirrten und er stöhnte heiser. Jede Faser seines Körpers wehrte sich gegen den Versuch, sich aufzusetzen, aber James würde Henry nicht die Genugtuung geben, ihn vom Schmerz besiegt am Boden liegen zu sehen.

„Aye, James. Wie geht es dir an diesem herrlichen Morgen?"

Henry sah ihn mit seinem ihm typischen fiesen Grinsen an und musterte ihn zufrieden von oben bis unten.

„Du siehst echt scheiße aus, James. Man erkennt dich kaum wieder. Da haben meine Männer wirklich ganze Arbeit geleistet."

James konnte diese Schadenfreude kaum ertragen, doch er versuchte, dem Blick des Piraten standzuhalten.

„Weißt du, es war gar nicht so einfach, die Männer davon zu überzeugen, dass sie sich nicht alle gleichzeitig auf dich stürzen dürfen. Es wäre beinahe zur Meuterei gekommen. Einer der Männer musste dran glauben, dann hatte ich die Lage wieder im Griff. Und inzwischen haben sie doch verstanden, dass es schöner ist, dich länger leiden zu lassen, als dich innerhalb von zehn Minuten zu Tode zu prügeln. Außerdem wollen wir unseren Schatz. Also, hast du dir Gedanken gemacht?"

Während er sprach, fuhr Henry genüsslich mit seinem Messer die Gitterstäbe auf und ab. Das Klimpern und die offensichtliche Freude, die er daran hatte, machten James verrückt, doch er versuchte sich nichts anmerken zu lassen. Wütend starrte er Henry an. Er konnte kaum ertragen, dass der Pirat ihm so nahe war. Sein Körper brüllte vor Schmerzen, aber noch lauter brüllte der Hass, den James für Henry empfand. Der Hass und die Abscheu. Und das schmerzende Verlangen, alles ungeschehen zu machen, was dieses Monster jemals angerichtet hatte. Ebenso wie das Verlangen, zu verhindern, was noch geschehen könnte. Die nagende Angst um Joy. Wie sollte er sie nur beschützen, während er angekettet in einem Kerker lag? Es brach James das Herz, dass er nicht für sie da sein konnte und die offensichtliche Freude, die Henry an seinem Leid hatte, zerquetschte sein Herz wie eine gnadenlose Schraubzwinge, die immer enger zugezogen wurde. Henry hatte James so viel Leid angetan, er hatte kein Recht, sich an seinen Qualen zu erfreuen. Trotzdem tat er es und er würde so schnell nicht damit aufhören. Er war noch lange nicht fertig. Das wusste James und Henry wusste, dass er es wusste.

Im Strudel der Zeit - Tödliche GeheimnisseWo Geschichten leben. Entdecke jetzt