1 - Jagd

7 1 0
                                    

Eilig flogen die Vögel auf, als der einsame Reiter durch das trockene Unterholz brach. Eine dunkle, vermummte Gestalt, die vorsichtig hinter sich blickte auf der Suche nach Verfolgern. Doch im Zwielicht der Abenddämmerung folgten nur Schatten seinem Pferd, dessen dunkles Braun mit der Umgebung fast verschmolz.
Die Gestalt schüttelte den Kopf, dann hielt sie das Tier an und stieg ab. Das leise Plätschern eines Flusses machte sich bemerkbar, zog den Reisenden in seinen Bann und zwang ihn, dem Geräusch zu folgen.

Er war schon einige Tage auf der Flucht. Sein Verfolger hatte ihn zufällig gesehen und sofort die Jagd begonnen. Der Wald schien nicht auf seiner Seite zu sein, denn nicht nur einmal war er wilden Wölfen begegnet, die wild knurrend sein Pferd anfielen. Doch sie suchten auch schnell wieder das Weite.  Die anhaltende Trockenheit des Sommers machte selbst den Jägern der Natur zu schaffen. Wild verhungerte oder verdurstete, starb an der Hitze, wenn es gejagt wurde - oder es waren die Jäger, die Ihr zum Opfer fielen. Dabei wollte niemand für einen mageren Menschen samt Pferd sein Leben riskieren. Selbst im Goldenen Land, Mida mit seinem Reichtum, forderte das Wetter seinen Tribut.

Im Licht der Abendsonne glitzerte das Wasser des noch reißenden Stroms wie Blut. Vielleicht war es auch wirklich Blut. Bei Wasser, das aus dem Westen kam, konnte man sich nie sicher sein.
"Hier, trink." Er ließ die Zügel der Stute locker und kniete sich selbst ans flache Ufer, um den ersten Durst zu stillen. Dann tauchte er den leeren Schlauch in die Strömung und beobachtete, wie das Wasser die heiße Luft daraus verdrängte.

Er atmete einmal lang aus, verschloss das Gefäß und ließ sich eine Hand voll Wasser über den Kopf laufen. Dabei überlegte er, wie er den Verfolger - sollte er ihm immer noch folgen - am einfachsten auf eine falsche Fährte führen könnte. Beim Blick über den Fluss schien ihm dieser Weg naheliegend. Er konnte sein Pferd in die Fluten führen, dort, wo sie Strömung noch schwach ist und flussaufwärts reiten. Seine Spuren würde das Wasser mit sich reißen. Und selbst wenn die Hunde des Verfolgers seiner Spur folgten, würden sie hier ihr Ende finden.

Der Mann nickte, lobte sich selbst für diesen Plan, als sein Blick in Richtung Westen auf eine Erhebung am Ufer fiel. Kaum zu erkennen unter Schmutz, Schlamm und gegen das Sonnenlicht, doch für einen geübten Jäger wie ihn deutliche Beute. Nur wenige Meter von ihm lag eine Frau, das Haar verdreckt und wirr, das Kleid zerrissen, fast nicht mehr vorhanden.
Leichte Beute, wiederholte er für sich und ging zu ihr, kniete sich neben sie und drehte sie auf den Rücken. Leichte Beute, solange sie noch lebte. Und das verriet ihm der flache Atem.

Selbst mit ihr als zusätzlichem Gepäck wäre er noch vor dem nächsten Sonnenaufgang über der Grenze. Er könnte sie verkaufen und mit dem Geld zumindest etwas zu Essen bezahlen.
Der Mann erhob sich wieder, grinste. Sein Plan funktionierte besser als erwartet. Die Götter waren ihm gnädig. Erst die Flucht vor dem Verfolger, dann der Fluss nun Ware. Wenn er zurück war...

Der Gedanke wurde durch einen lauten Schrei unterbrochen, als ein Pfeil sich in den Oberschenkel des Mannes bohrte. Vor Schmerz sackte er auf den Boden, eine Hand am Schaft der Waffe, den Blick über die Schulter.
Dort, wo eben nichts als trockene Büsche und Schatten waren, stand ein schwarzes, großes Pferd. Die dunklen Augen lagen auf dem Mann, beobachteten ihn, während der Reiter ruhig aus dem Sattel stieg. Er klopfte an den Hals des Pferdes, dann griff er sich die Zügel der Stute, die zwar erschrocken vom Fluss zurückgewichen, aber nicht schnell genug geflohen war.

"Ruhig. Dir geschieht nichts.", flüsterte der Reiter und tatsächlich stoppte das Pferd damit an den Zügeln zu zerren. Ruhig senkte es den Kopf und ließ sich an den Sattel des Schwarzen binden. "Nicht weglaufen, ja? Dein Reiter braucht dich noch."
Damit trat der Mann von den Pferden weg, hin zu dem Verletzten, der nicht mehr als drei Schritte gekommen ist, bevor der Schmerz sich weiter ausgebreitet hatte. Was der Verfolgte nicht wusste war, dass sein Verfolger den Pfeil mit einem Gift bestrichen hatte. Es würde ihn nicht töten, lediglich die Umgebung um die Wunde lähmen.

"Deine Flucht war kurz, Bak." Der zweite Reiter kniete sich neben ihn. "Aber du bist sowieso der letzte in deiner Truppe." Schnell griff er nach dem Schaft des Pfeils, brach ihn gekonnt ab und zückte mit der zweiten Hand einen Dolch.
"Den wütenden Blick des Verletzten ignorierend entfernte er die Pfeilspitze, behandelte die Wunde mit einer Salbe aus einer Gürteltasche und verband sie dann mit einigen Leinenstreifen. Erst danach fesselte der die Hände des Mannes und führte ihn zu seinem Pferd zurück. "Aufsteigen.", befahl er und half ihm auf die Stute, der er direkt noch einen Apfel hinhielt. "Nicht weglaufen. Ich bin gleich zurück."

Das Schnauben seines eigenen Pferdes ließ ihn dann doch stoppen und auch diesem eine Belohnung zukommen.

Dann erst ging er zurück zu der ohnmächtigen Frau, legte zwei Finger an ihren Hals und nickte. Vorsichtig hob er sie hoch, stützte ihren Rücken und lehnte den Kopf an seine Brust. Er trug sie zurück zu den Pferden, worauf der Schwarze sofort verstand und die Vorderbeine einknickte.
So war es einfacher für ihn, gemeinsam mit der Frau aufzusteigen und die Pferde mit einem leisen Zeichen auf den Heimweg zu schicken.

Dabei hob er für einen Moment den Blick zum Himmel. Ein Lächeln huschte über seine Lippen und ungeachtet der Anwesenheit des Menschenhändlers spürte er den Zug, den die junge Frau bei ihm auslöste. Es war mehr, als Hilfsbedürftigkeit.
"Hexe...", murmelte er. "Das ist dein Werk, nicht wahr? Du denkst, damit ist der Verrat abgegolten?" Er strich ihr andächtig durch das verschlammte Haar. "Es gibt keinen Preis, der diese Schuld sühnt, Lia. Keine Entschuldigung der Welt..."

Der verlorene PrinzWo Geschichten leben. Entdecke jetzt