Wieder umwaberte sie der Fliederduft, doch die Umgebung blieb in ein Zwielicht getaucht. Müde rappelte sie sich auf, rieb sich die Augen und hielt sich den Kopf. Er dröhnte, als schlage gerade jemand neben ihr auf riesige Trommeln. Unsicher sah sie sich um. Eben war es noch ein Traum, war es jetzt wieder die Wirklichkeit?
Nur schemenhaft erkannte sie die Einrichtung. Sie lag definitiv in einem Bett, aber es war nicht ihr Zimmer. Die beiden anderen Betten fehlten und hier standen wesentlich mehr Regale. Sie war doch nicht...?Panisch riss sie die Augen auf. Ihre Erinnerungen waren seit dem Treffen mit Lady Mina zwar verschwommen, trotzdem wollte sie nicht wissen, in wessen Zimmer sie gerade aufgewacht war.
Ihr Kopf strafte sie jedoch für die schnelle Bewegung und das Rascheln der Decke wurde nur noch lauter.
Unsicher sah sie unter die Decke. Das war das einzige, das ihren Körper bedeckte. Sie suchte den Boden und die nähere Umgebung ab, doch nirgendwo war ihr Kleid zu sehen. Sollte sie vielleicht die Decke mitnehmen und zurück zu Lorsans Flügel gehen? Wenn sie gewaschen war, konnte sie die immer noch Anmelie mitgeben. Es war nicht so, dass jeder eigenen Bettwäsche hatte."Du bist wach?"
Panisch sah sie zur Stimme - und erkannte den Heiler. Im Zwielicht stand er vor einer Tür, durch die helles Licht fiel. Und das Licht verstärkte ihre Kopfschmerzen.
"Was... Wie hast du mich gefunden? Was ist passiert?" Sie hielt die Hand vor die Augen und schirmte sich gegen die Helligkeit ab."Gefunden? Du schläfst hier doch in meinem Zimmer." Er lachte, schloss die Tür und kam auf sie zu. "Das letzte halbe Glas hättest du nicht trinken sollen. Respen wollte dich wohl betäuben." Der Heiler klang besorgt. "Mehr, und du wärst vielleicht nicht mehr zurück gekommen."
"Betäuben?" Ihr Kopf hämmerte, dabei war es nicht seine Stimme, die sie störte. Sie versuchte sich krampfhaft zu erinnern, was passiert war. "Warum?"
"Um Unwillige in sein Bett zu bekommen." Lorsan klang gereizt. "Aber das können wir auch später besprechen." Er nahm das halbvolle Glas von seinem Nachttisch und reichte es ihr. "Weiße Katze, du erinnerst dich? Das hilft gegen den Kater."
Sie nahm das Glas dankbar an und nippte erst daran. "Das schmeckt grauenhaft."
"Austrinken, sonst wirkt es nicht. Und der Geschmack hat auch einen Sinn."
"Welchen Sinn?"
Er griff nach ihrer Hand mit dem Glas und hob es wieder an ihre Lippen. "Austrinken, dann reden wir weiter."Anavi verzog das Gesicht und würgte den Inhalt herunter. Ihr Mund fühlte sich sofort taub an, ihre Zunge dick und pelzig. Das Gebräu war bitter, sauer und salzig in einem. Aber die Kopfschmerzen verschwanden tatsächlich sofort. "Und das trinkst du nach jedem Rausch?" Sie drückte das leere Glas von sich weg. "Dann rühre ich nie wieder einen Tropfen Alkohol an."
"Da hast du deinen Sinn." Er füllte das Glas mit Wasser nach und gab es zurück. "Du kannst dich im Bad frisch machen, ich hab noch eines deiner Kleider geholt und es hängt an der Tür. Wenn du fertig bist, dann komm ins Arbeitszimmer."
"Ich sollte besser zu Maia, bevor sie etwas merkt. Und dann an die Arbeit." Das Wasser roch jetzt wesentlich unverdächtiger und schmeckte sogar wieder normal. Es spülte das merkwürdige Gefühl in ihrem Mund weg.
"Es ist fast wieder Abend. Du hast heute frei." Wieder lachte er. "Und Maia weiß schon, wo du bist. Erst hat sie mich geschimpft, dann wollte sie dich wecken. Zweimal. Danach meinte sie, wenn du bis morgen nicht wach bist, entlässt sie dich."
"Gut, dass ich aufgewacht bin. Ich..." Siedend heiß fiel ihr etwas ein. "Gestern... Da hast du mich ausgezogen?""Nein, nur den Schmuck gelöst. Ich wollte eigentlich nur, dass du dich umziehst, aber du wolltest wohl nicht. Du hast das Kleid ausgezogen, hast dich in die Decke gerollt und bist eingeschlafen. Und weil ich deine nächste Frage kenne: Nein, ich habe dich nicht gesehen. Dafür war es zu dunkel."
Sie nickte und glaubte ihm. Immerhin hatte sie einen ganzen Tag geschlafen. Wenn er etwas versucht hätte, dann hätte es sicher genug Gelegenheiten gegeben.
"Könntest du weggehen? Ich hab immer noch nichts an und möchte vielleicht irgendwann heiraten."Lorsan nickte und trat vom Bett weg hinter eines der Regale. "Wenn dir noch etwas fehlt, dann ruf mich einfach. Ich gehe nicht weg."
"Danke." Schnell sprang sie aus dem Bett und eilte ins Bad.Ihr Herz klopfte wieder wie wild, doch hinter der verschlossenen Tür konnte sie sich beruhigen. Immer fürchtete sie, ihr Herz würde sie in der Nähe des Heilers verraten. Doch warum reagierte sie so? Gestern hatte sie sich vor der Berührung des Prinzen geekelt. Aber im Traum hatte sie Lorsans Fliederduft beruhigt.
Anavi lächelte. Hoffentlich hatte sie sich nicht in den zweiten Prinzen verliebt...
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Der verlorene Prinz
FantasyAls Anavi ohne Erinnerung an ihr früheres Leben in der Obhut des Heilers Lorsan erwacht, ahnt sie noch nichts von den Verflechtungen, in die sie geraten ist. Zufälle, die sich häufen. Fremde, die behaupten sie und ihre Vergangenheit zu kennen. Träum...