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"Lorsan?" Er verschwand gerade hinter ein paar Büschen, die an der Wand des Gebäudes wuchsen. Würgende Geräusche folgten.
"Lorsan." Anavi trat zu ihm, als er sich an der Wand abstützte, das Erbrochene vor ihm auf dem wenigen Gras. "Wirst du krank? Soll ich dir etwas mischen?" Seine Haut war blass, weiß wie der Schnee außerhalb des Waldes. Er schien plötzlich so schwach und zerbrechlich.
"Alles gut." Er zwang sich zu einem Lächeln und stemmte sich wieder hoch. Schwer atmend lehnte er sich mit dem Rücken an die Wand. "Es war nur... viel zu verarbeiten."
"Nein, war es nicht." Sie spürte, dass er etwas verbarg. Es war keine Lüge, nur etwas, das er nicht sagen wollte. "Du kannst mit mir über alles sprechen, Lorsan, das weißt du. Egal was dich bedrückt."
Der Heiler seufzte, hob das Gesicht zum Himmel und schloss die Augen. "Ist dir etwas aufgefallen, Anavi? An diesem... Raum?"

"Er war vollgestellt, hatte keine Dekorationen. Stört dich das etwa? Obwohl... dann hättest du dich auch in unserem Zimmer so benommen."
"Stimmt. Anavi, ich möchte, dass das unter uns bleibt. Du wirst es keinem erzählen." Er sah zu ihr, der Blick in den dunklen Augen ernst. Anavi nickte, lehnte sich neben ihn und nahm seine Hand. Er zitterte immer noch spürbar. "Es war... die Enge, in Ordnung? Nur das." Ein gequältes Lächeln zog sich über sein Gesicht. "Lächerlich, nicht wahr? Dass mir so etwas passiert."
"Was ist daran lächerlich?" Anavi richtete den Blick zu Boden. Stumm zählte sie die Grashalme. Sie erinnerte sich immer nur an große Räume und hohe Fenster. Selbst in den Herbergen war immer genug Platz für beide, die Fenster ließen sich öffnen. "Fenster machen es weniger schlimm, oder? Und Rosalie weiß von deiner Angst." In diesem Lager hingegen war das kaum möglich. Er hatte es in ihrem Gefängnis wohl nur deswegen ohne Panik ausgehalten, weil dort kaum etwas anderes war.
"Fenster geben mir einen Fluchtweg. Und ja, Rosa weiß davon. Am Abend als wir die Geistergeschichten erzählt haben hat sie extra einen Raum mit großen Fenstern gewählt." Er sah wieder in den Himmel. "Ich will nicht eingesperrt sein, verstehst du? Mir ist egal, ob es die kalten Wände eines Kerkers oder die Pflichten eines Prinzen sind."

"Ich kenne das Gefühl nicht, aber ich verstehe dich besser." Sie legte den Kopf an seine Schulter und schloss ebenfalls die Augen. "Du kannst mir mir über alles sprechen, das weißt du.", wiederholte sie leise. Unter ihrer Hand spürte sie seinen Puls. Er wurde ruhiger, wenn auch nur langsam.
"Ich weiß. Aber manchmal habe ich Angst, dass du mich verurteilst. Dass du nichts mehr mit mir zu tun haben willst. Dann schweige ich lieber."
"Du hast mir immer noch nicht von Adi erzählt. Suchst du noch die passenden Worte?" Leise wechselte sie das Thema, lauschte, wie sich sein Herzschlag änderte.
"Ihr Name ist Adela. Aber ich weiß noch nicht, wie ich anfangen soll. Außerdem sind hier zu viele Zuhörer."
"Adela..." Flüsternd wiederholte sie den Namen, achtete auf seinen Klang. "Klingt schön. Wie sah sie aus?" Anavi öffnete die Augen und sah zu ihm auf. Eine Träne glitzerte im Augenwinkel.
"Du... wirst dich angegriffen fühlen."
"Versuch es." Vielleicht half ihr die Beschreibung, mehr von der vergangenen Liebe des Heilers zu sehen. Die Schatten in ihren Träumen zu vertreiben. "Ich verspreche, ich laufe nicht weg."

Er nickte. "Sie war wunderschön. Langes, tiefrotes Haar. Dunkle Haut und helle Augen. Ihr Lachen ließ die Vögel singen, ihre Tränen Wolken aufziehen." Die Träne fand ihren Weg zu Boden. "Ich habe sie geliebt und wollte sie heiraten. Bis..."
"Bis sie dich umbringen wollte..." Mehr brauchte sie für den Moment nicht zu wissen. Es gab keinen Vergleich, den sie mit ihr gewinnen konnte.
Lorsan sah zu Boden. Leise sagte er: "Du bist anders. Vergleiche dich nicht mit ihr."

Da erklangen Schritte und Anavi sah in diese Richtung. Die Prinzessin trat um die Ecke und sah zu ihnen. "Ich will dich nicht wieder verlieren. Das verstehst du, oder?" Sie lächelte. "Wenn du krank wirst kann ich dir unseren Heilmagier empfehlen."
"Ich werde nicht krank. Danke der Nachfrage, Prinzessin." Lorsan schüttelte den Kopf. "Wann wollt Ihr in die Stadt aufbrechen?"
"In zwei Tagen. Wenn nichts schiefgeht."
"Können wir dann noch unsere Pferde suchen? Sie machen sich sicher schon Sorgen."
"Pferde?" Die Prinzessin schien nicht sicher zu sein, was sie davon halten sollte. "Aber... ihr seid doch ohne Pferde hergekommen."
"Sie haben sich versteckt, als wir zu den Banditen gegangen sind und warten sicher schon."
Sylvana nickte. "Sicher, sucht sie. Ich schicke euch zwei meiner Leute mit. Sonst noch Begleiter?"
"Zwei Wölfe, ein Rabe." Als hätte Feder gelauscht stieß der schwarze Vogel vom Himmel und ließ sich zielsicher auf Lorsans Schulter nieder. Zweimal krächzte er, dann streckte er die Flügel zur Seite und beugte sich ein Stück vor. Dieses Verhalten war nicht nur Anavi neu, auch die Prinzessin starrte fassungslos auf den Vogel. "Hat der Vogel sich gerade verbeugt?"
"Manchmal macht er das." Der Heiler kratzte ihn unter dem Schnabel, worauf Feder den Kopf wieder hob und interessiert an den langen Haaren zog. "Ich habe nicht vor ihm das abzugewöhnen. Feder, könntest du nach den anderen sehen und sie bitten herzukommen? Ihnen passiert nichts, das verspricht die Prinzessin."
Feder nickte, hüpfte von Lorsans Schulter und flatterte davon.
Sylvanas Blick haftete noch eine Weile an ihm, obwohl er längst außer Sichtweite war. "Kluger Vogel.", murmelte sie. "Wo hast du ihn her?"
"Als Küken gefunden und aufgezogen." Der Heiler lächelte. Seine Angst von vorhin schien nie existiert zu haben. "Ich würde ihn als meinen ältesten Freund bezeichnen."

Der verlorene PrinzWo Geschichten leben. Entdecke jetzt