Lorsan schloss gerade die Tür hinter sich. Zufrieden, dass er sich zumindest nicht mit der Königin herumschlagen musste. Sie bedachte ihn beim Tee immer mit einem enttäuschten Blick, wenn er sich vor einem gesellschaftlichen Ereignis drückte.
Er schüttelte den Kopf. Die Wahrheit konnte er ihr schlecht sagen, redete er sich weiter ein, während er der Handelsstraße in Richtung nördlicher Unterstadt folgte. Nicht viele Gebäude lagen zwischen der Schneiderei des Soraners und seinem Ziel. Eine kleine, unscheinbare Taverne. Ein Treffpunkt für jene, die das Licht der Sonne lieber mieden - und die wachsamen Augen der Stadtwache.Das Gasthaus hatte nur einen schmalen Eingang. Das Schild über der Tür war zerkratzt und die Farbe abgeblättert, trotzdem erkannte man noch die Flügel des Pferdes, das ihm seinen Namen lieh.
Im Inneren erwartete ihn nichts anderes. Die Fenster waren teilweise vernagelt, das wenige Licht reichte nur für ein schwaches Zwielicht. In den Strahlen der Sonne, die es hineinschafften, tanzte der Staub in der schweren, vom Alkohol getränkten Luft. Lorsan wusste genau, warum er zuerst den Schneider aufgesucht hatte. Das Parfüm in der Luft und nun in seinen Lungen, machte den Aufenthalt an diesem Treffpunkt erträglicher.So gern er wieder umgedreht wäre, so wichtig war dieses Treffen für ihn. Also ging er durch den Gastraum, zu einem Tisch am hinteren Ende. Dort wurde er schon erwartet, auch wenn die Gestalt unter der schwarzen Kapuze des Umhangs keine Regung zeigte.
"Hallo Prinzessin.", grüßte der Wartende und hob den Kopf, als Lorsan sich bereits gesetzt hatte.
"Gleichfalls.", antwortete der Heiler und lächelte. "Wie läuft der Krieg?""Kein Krieg." Die Kapuzengestalt zog sich die Kapuze vom Kopf und offenbarte das schöne Gesicht einer Frau mit dunkelblauen Augen und langem schwarzen, zu einem Zopf gebundenen Haar. "Nur die Ausbildung. Und die Jagd?"
Lorsan schüttelte den Kopf. "Vor zwei Monaten habe ich den letzten vom östlichen Markt erwischt. Seitdem sitzt er im Kerker und die Fänger sind vorsichtiger geworden. Meine Informationen reichen noch nicht, um das nächste Nest auszuheben."
"Man kann nicht alles haben, Kleiner. Sieh mich an. Verstoßen, aber jetzt Generalin.""Du hast Recht, Rosa. Nur will ich immer noch wissen, woher ich komme. Aber bis jetzt hatte keiner der Sklavenhändler nähere Informationen. Und die Gerüchte sind auch alle im Sand verlaufen."
"He, ich weiß, wie wichtig dir das ist. Aber gib noch nicht auf. Ich denke sogar, dass du falsch an die Sache heran gegangen bist." Die Frau legte eine Hand an Lorsans Arm. "Was, wenn Warn eine falsche Fährte war? Wenn du in einem anderen Land suchen musst? Was ist mit dem Wappen auf dem Anhänger.""Hm." Lorsan griff an seine Brust. Unter dem Hemd ruhte das alte, silberne Medaillon. Seine einzige Verbindung zu seiner Vergangenheit. Doch darin hatte er immer nur den Zettel mit seinem Namen verwahrt. Und das Wappen, das darauf geprägt war, hatte er in keinem der Bücher gefunden. "Aber das Wappen gibt es nicht. Ich bin hunderte Jahre zurückgegangen. Ausgestorbene Häuser, vernichtete Königreiche. Nichts, was ihm nur entfernt ähnelt. Ich habe bald keine Kraft mehr, Rosalie. Sie ist endlich und ich will selbst meinen Abschied bestimmen und nicht aus dem Land gejagt werden."
Rosalie verstärkte ihren Griff. "Du findest eine Antwort. Vertraue darauf." Sie lächelte. "Und wenn es dir hilft, dann habe ich noch eine gute Nachricht für dich. Willst du sie hören?"
"Ich dachte zwar, du würdest mich mehr über den Strohkopf fragen, aber lass hören. Welche gute Nachricht?"
"Strohkopf kommt noch. Aber zuerst: ich habe das Nest in der westlichen Unterstadt erwischt. Haben versucht mich zu entführen, also war es reine Notwehr."
Lorsan seufzte, während Rosalie grinste und die Arme siegessicher verschränkte. Er wollte Alleingänge der Söldnerin/Generalin/Prinzessin eigentlich nicht dulden. Andererseits erleichterte sie so seine Arbeit. "Keine Überlebenden?" Das war ihre Vorsichtsmaßnahme. Warum er fragte, war ihm noch immer schleierhaft.
"Keine Überlebenden.", bestätigte sie und führte weiter aus: "Dafür haben die Leute jetzt mehr zu essen. Die hatten ein ziemlich großes Lager. Es war genug, um das östliche Viertel auch noch zu versorgen.""Schön zu sehen, dass Mida dir noch immer etwas bedeutet."
"Pah." Rosalie warf den Kopf in den Nacken. "Nur weil mich ein Idiot von König nach der Geburt seines Sohnes verbannt hat, heißt das nicht, dass die Bevölkerung Schuld daran hat. Mein Ziel ist Ricimer - und dieser Strohkopf von Respen vielleicht - aber das Volk ist unschuldig."
"Und Valitia? Ist auch sie dein Ziel?" Lorsan senkte den Blick. Die Königin hatte sich immerhin eingesetzt, dass er im Palast leben durfte. Sogar als Prinz hatte sie ihn einsetzen lassen.
"Sie ist meine Mutter, Lorsan. Niemals könnte ich ihr böse sein. Außerdem hat sie mir einen wunderbaren kleinen Bruder beschafft, der kein Strohkopf ist."Der Prinz nickte dankbar, dann wandte er den Blick zur Seite. "Ich sollte zurück zu Chevez. Sie dürften längst fertig sein."
"Sie? Gibt es wieder eine Frau in deinem Leben?" Neugierig lehnte Rosalie sich weiter über den Tisch, wurde von Lorsan jedoch enttäuscht: "Nur eine neue Angestellte, die mich zu Respens Geburtstag begleitet. Auf Wunsch der Königin soll ich erscheinen. Aber ich bin froh, dass du den Namen dieser Hexe nicht erwähnst."
"Schon gut. Ich weiß am besten, wie so etwas ist. Dann lauf mal los. Ich bleibe noch drei Tage, dann verschwinde ich wieder. Oh, aber danach solltest du vorsichtig sein. Ich habe ein paar Pläne gefunden." Unter dem Umhang zog sie einen Brief hervor. Das Wachssiegel war bereits gebrochen. "Du solltest es erst im Palast lesen."
Lorsan nahm den Brief entgegen und ließ ihn in einer versteckten Tasche seines Gehrocks verschwinden. "Danke." Er stand auf. "Du bist mir eine große Hilfe, Prinzessin. Ich hoffe, wir bleiben auch weiter in Kontakt."
"Natürlich. Schick Feder einfach wieder zurück."
Damit verabschiedete er sich knapp und trat den Rückweg zur Schneiderei an.
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Der verlorene Prinz
خيال (فانتازيا)Als Anavi ohne Erinnerung an ihr früheres Leben in der Obhut des Heilers Lorsan erwacht, ahnt sie noch nichts von den Verflechtungen, in die sie geraten ist. Zufälle, die sich häufen. Fremde, die behaupten sie und ihre Vergangenheit zu kennen. Träum...