10 - Einladung

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"Ich werde nicht hingehen!" Schwung- und geräuschvoll schlug die Tür der Bibliothek auf, dass Anavi das Tuch, mit dem sie gerade eines der Fenster im Gang reinigte, fast aus der Hand fiel.
"Du kannst dich davor nicht drücken. Die Königin wünscht persönlich deine Anwesenheit."
"Ich werde mich nicht von diesen hochnäsigen Adelstöchtern belagern lassen, nur weil sie meine Anwesenheit wünscht." Lorsans Stimme beruhigte sich wieder. Aber die Streitenden nährten sich auch ihrer Position. "Es hat auch die letzten Jahre niemanden interessiert, ob ich da war."

"Aber du bist ihretwegen noch hier. Und ich auch." Maia seufzte. "Und wenn du hingehst, mit ihr sprichst und wieder gehst? Immerhin hat sie dich dann gesehen."
"Sobald ich da bin, komme ich nicht weg. Ich habe es schon mal versucht und musste mich unter die Angestellten mischen, um zu verschwinden. Nochmal lässt sie das nicht zu. Wenn dir nichts Besseres einfällt..."

Lorsan gefolgt von Maia gingen jetzt an der Fensterbucht vorbei - und der Heiler hielt unerwartet an. "Wie wäre ein Kompromiss? Ich gehe hin und schütze mich vor diesen Schnepfen mit einer Begleitung."
"Eine Begleitung? Warum nicht. Und die Königin ist auch glücklich. Aber wen willst du..." Maia kam nicht zum Ende, da hatte Lorsan schon abgedreht und trat in den kurzen Flur.

Vor der Leiter, die Anavi nutzte, um die obere Hälfte der Fenster zu putzen hielt er und sah hinauf. "Anavi, darf ich dich einen Moment stören?"

Natürlich wusste er, dass sie das Gespräch mitgehört hatte. Vielleicht hatte er vergessen, dass Maia und er nicht mehr allein im Flügel waren und würde wütend werden. Andererseits war seine ständige Abwesenheit kein Grund, eine zweite Angestellte zu vergessen, die bereits zwei Monate für ihn arbeitete.
"Ja, was gibt es?" Rückwärts kletterte sie von der Leiter und stellte sich vor ihm auf, die Hände umklammerten das Tuch, um ihre Nervosität zu kontrollieren.
Leise atmete sie tief ein und aus und sah dann hoch. Der Heiler überragte sie um einen Kopf und hatte das schulterlange Haar heute zu einem einfachen, aber kunstvollen Zopf geflochten und ihn an der Schläfe festgesteckt.

"Nichts Schlimmes. Nun, für mich schon, aber vielleicht freust du dich ja. Möchtest du mich in zwei Wochen auf Prinz Respens Geburtstag begleiten?"

"Gute Lösung. Die Königin kennt Anavi noch nicht." Maia stand hinter ihm und grinste breit, während die Gefragte noch stumm den Heiler musterte und ihre Entscheidung überdachte.
Von dem Fest hatte sie schon gehört. Es würde am Tag ein Turnier veranstaltet und am Abend ein Bankett mit anschließendem Ball geben. Schon die Wochen vorher hatten die Köche unter Martha und Angestellte des Palasts mit den Vorbereitungen zu tun. Von Anmelie hatte sie auch von dem Grund für die Hektik erfahren, in den wenigen Minuten, die sie gemeinsam zu Mittag aßen. Ihre Freundin war für die Dekoration eingeteilt und ihre Gruppe schmückte neben ihren sonstigen Pflichten die Gänge des Palastes.
Es war auch Anmelie, die vom Ball schwärmte und ihr anvertraute, wie gern sie einmal in einem edlen Kleid das Fest besuchen wollte.

"Das... Fest..." Anavi fand ihre Stimme wieder. "Ich... kann nicht tanzen."
"Du musst nicht tanzen. Nur in meiner Nähe bleiben und gesehen werden. Die Königin ist glücklich und ich werde nicht von diesen Schnepfen belagert."
"Ich... habe auch kein Kleid. Oder... mehrere?" Hilfesuchend sah sie zu Maia - die nun nicht mehr hinter dem Heiler stand, sondern ein Stück entfernt etwas auf Papier schrieb.

"Eines. Nur für den Ball. Außer du möchtest das Turnier sehen?"
Sie schüttelte den Kopf. "Mich kennt doch auch niemand. Kennen sich Adlige nicht untereinander?"
Lorsan lachte. "Ein besonderes Kleid, Schmuck, die passende Frisur und niemand wird fragen, wer du bist. Und falls doch, überlege ich mir eine nicht nachprüfbare Geschichte."
"Kann ich nachdenken? Das kommt... plötzlich."

"Natürlich. Übermorgen habe ich ein Treffen in der Stadt. Wenn du bis dahin zusagst, können wir gleich ein Kleid in Auftrag geben." Lorsan nahm ihre Hände, die noch immer das Tuch malträtierten. "Und vergiss nicht, dass es eine Bitte ist. Du kannst ablehnen und bist nicht verpflichtet mich zu begleiten."
"Verstanden." Anavi nickte, machte jedoch keine Anstalten sich aus seinem Griff zu befreien. Stattdessen war sie wie gebannt von den blaugrünen Augen, die verglichen mit der blassen Haut des Heilers zu leuchten schienen.

Was hielt sie eigentlich davon ab, seiner Einladung zuzusagen? Sie konnte einmal im Leben auf einen Tanzball gehen, musste nicht einmal tanzen und lediglich neben ihrem Begleiter stehen. Anmelie würde sich bestimmt mit ihr freuen - oder nie wieder mit ihr sprechen. Immerhin war es ihr Traum...

"Ich denke, ich komme doch mit." Anavi sprach leise zu sich selbst und freute sich, auch wenn sie ihre Freundschaft zerstören könnte. "Wer würde diese Einladung auch ablehnen?"
"Wie schön." Maia tauchte wieder neben den beiden auf und siedend heiß fiel der Jüngeren ein, dass der Heiler noch immer vor ihr stand und ihre Antwort wohl gehört hatte. Und er hielt noch immer ihre Hände.
"Ich antworte sofort der Königin. Ein paar Tanzschritte solltest du dennoch beherrschen. Du bringst es ihr bei?"

Lorsan seufzte. "Schreib ihr nichts. Und das Tanzen... Wenn Anavi möchte, dann bringe ich es ihr bei. Aber nur dann."
"Kein tanzen. Nicht nötig.", wehrte Anavi schnell ab und befreite sich auch endlich von den Händen des Heilers. Es war wie ein Zauber, der gebrochen wurde als sie die Verbindung löste. Sie entriss sich auch seinem Blick, sah zu Boden, während Lorsan einen Schritt zurücktrat. "Dann hole ich dich Übermorgen ab."
Mit einer leichten Verbeugung ging er zurück auf den Flur, sein Gang wirkte federnder, und war bald außer Sicht.

"Oh." Mehr konnte sie nicht formen und ließ sich gegen die Leiter sinken. Das Gesicht in den Händen vergraben fragte sie leise: "Begleite ich jetzt Lorsan auf einen Ball?"
"Tust du." Sie spürte Maias Hand an ihrem Rücken. "Und ich hoffe, dass er durch dich wieder ein wenig offener wird." Die Ältere kicherte. "Du bist für heute fertig. Ruh dich aus und sortier deine Gedanken. Ich bringe dir nachher das Abendessen."

"Danke Maia. Aber finde das bitte nicht lustig." Anavi ließ alle Dinge stehen und trat den Weg in ihr Zimmer an. Die Zeit, um ihre Gedanken sortieren war genau das, was sie jetzt brauchte.

Der verlorene PrinzWo Geschichten leben. Entdecke jetzt