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Es war schon dunkel, als Lorsan die letzten Tücher in den leeren Eimer fallen ließ. Die Wunde zu säubern und die Vergiftung trotz magischem Pulver zu bekämpfen hatte lange gedauert. Kerzen erhellten die provisorische Krankenstation, in der es merklich kühler geworden war.
Verständlich, wenn der Heiler frische Luft gefordert hatte.
In der Zwischenzeit hatte sich auch der Rest der Gruppe in der Herberge eingefunden. Stimmen waren aus dem Gastraum nach oben gedrungen. Lurs war sogar persönlich erschienen, um nach seinen Mitreisenden zu sehen. Und wieder verschwunden, als Lorsan das tote Fleisch der Wunde weggeschnitten hatte.

"Ein Heiler also." Die fremde Stimme erschien plötzlich hinter ihr, doch Anavi war zu erschöpft um sich zu erschrecken. "Ein Heiler auf Reisen, der ohne Bezahlung arbeitet?"
"Uns werden die Kosten für die Übernachtung erlassen." Er sah auf. "Ihr seid dann sicher der Heiler des Dorfes."
"Bin ich." Der Fremde brummte und setzte sich neben Anavi. Er war dünn, schien fast verhungert, aber seine Stimme war fest. Wären da nicht das weiße Haar und der Bart, sie hätte ihn jünger geschätzt. "Also, was habt Ihr ihm gegeben, Meister Heiler?"
"Ich habe ihm nichts gegeben. Nur die Wunde gereinigt und die Blutvergiftung aufgehalten. Außerdem bin ich kein Meister."
"Aha. Und wo habt ihr gearbeitet, Laie?"
Lorsan legte die dünne, silberne Klinge auf ein Tuch und schlug es zusammen. Auf Nachfrage hatte er es Skalpell genannt und würde es später samt Tuch auskochen müssen. "Im Palast von Mida, falls Ihr es genau wissen wollt. Ich habe regelmäßig das Personal versorgt und die Königin hat mich auch um Hilfe gebeten."

Der Heiler schwieg. Selbst im Kerzenlicht war zu erkennen, wie seine Augen größer wurden. Lorsans Geschichte konnte wohl kaum ein anderer vorweisen. "Nun. Das ist... etwas anderes... Werdet Ihr ihn noch weiter versorgen?"
"Nur noch morgen, danach reisen wir weiter. Aber Ihr könnt das übernehmen." Der Heiler lächelte. "Ich bin mir sicher, für Eure Zeit kann die Familie auch anders bezahlen. Ihr könntet hier im Gegenwert essen. Ihr findet schon eine Lösung."
Die Antwort des Dorfheilers war hart: "Ihr bildet Euch viel auf Eure frühere Arbeit ein, junger Mann. Aber hier ist das nicht so einfach. Wenn ich mich in Gütern bezahlen lasse, dann wird alles schlecht."
"Wart Ihr denn schon immer in diesem Dorf? Oder habt Ihr zuvor in einem anderen gearbeitet?" Anavi sprang ein um einen Streit zu verhindern. Den Dorfheiler schien das zu überraschen, seine Sprache fand er jedoch schnell wieder: "Gelernt habe ich in Ming, bei einem der besten Ärzte und in einer der besten Schulen.  Die Heilmagie ist mir nicht fremd und auch nicht ihr Preis."
"Jona ist aber nicht Ming." Lorsan räumte die letzten Sachen zusammen. "Die Dörfer Jonas leben von jedem einzelnen, der hilft. Jäger, Verarbeiter und Heiler für die Verletzten und Kranken. Wie es scheint, habe ich in den wenigen Wochen seit der Grenze mehr über Land und Leute gelernt als Ihr in... dreißig Jahren?"
Der Dorfheiler hustete, sah ihn böse an. "Sechzig Jahre, junger Mann. Aber Schmeicheleien retten meine Leben." Dann wurde er still, schloss die Augen und streckte die Hand über die Wunde. Sanftes, grünes Licht breitete sich über der Verletzung aus. Die Wundränder schlossen sich langsam, das schimmernde Pulver, um die Schmerzen zu betäuben verschwand. "Ich werde über Eure Worte nachdenken, junger Heiler.", schloss der Alte und zog die Hand zurück. Von der Wunde war keine Narbe mehr geblieben, nur der Patient schlief noch durch die Erschöpfung der Infektion. "Aber etwas scheint Euch bei Magie nicht bewusst zu sein. Je öfter man sie nutzt, um so mehr zerrt sie am eigenen Leben."

"Ich bin kein Magier, aber ich danke für Euren Hinweis."
Kaum war der Satz gefallen, waren leichte Schritte von der Treppe zu hören. Eine der Töchter kam herauf, in den Händen ein dampfendes Tablett. "Mutter sagt, Ihr habt womöglich Hunger, Herr. Herrin." Ihr Blick fiel auf den Dorfheiler. "Oh, ich wusste nicht, dass noch jemand hier ist."
Anavi stand auf und nahm ihr das Tablett ab. "Wir essen unten, ja? Lorsan muss noch seine Sachen saubermachen. Aber du kannst deiner Mutter sagen, dass dein Vater bald wieder aufstehen kann. Jetzt braucht er nur noch gutes Essen, damit er wieder zu Kräften kommt."
"Er ist gesund?" Sie versuchte vorbei zu sehen, worauf Anavi einen Schritt zur Seite trat. Lorsan winkte sie näher und zeigte ihr die verheilte Stelle. Ihr Jubel war sicher bis in die Gaststube zu hören, auf dem Rückweg nahm sie lachend das Tablett wieder entgegen. "Ich bringe es in Euer Zimmer. Und Mutter schicke ich gleich hoch."

"Ich habe natürlich nur den kleinsten Teil geleistet." Der Heiler stand auf und ging am Dorfheiler vorbei. Der schüttelte den Kopf. "Ihr habt mir vor allem die Augen geöffnet, junger Mann." Er reichte ihm die Hand und lächelte. "Mein Name ist Arrus. Es war mir eine Freude, Euch zu treffen, Lorsan. Wobei mir jedoch etwas auffällt."
"Etwas?" Lorsan schüttelte seine Hand, hielt jedoch bei seinen Worten inne.
"Ja. Euer Name klingt nach Jona, nicht Mida. Sogar, wenn mich mein alter Kopf nicht täuscht, tragt Ihr den Namen des verschwundenen Prinzen."

Der verlorene PrinzWo Geschichten leben. Entdecke jetzt