30 - Revue

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Es dämmerte schon, als Anavi das Arbeitszimmer betrat. Goldenes Abendlicht fiel durch die Fenster beleuchtete den Raum. Ungewöhnlich zu ihren vorherigen Besuchen als Reinigungskraft war, dass der Schreibtisch aufgeräumt wirkte. Dazu standen auf dem Tisch vor dem Liegesofa zwei Teller und ein Topf, daneben ein Korb Brot.

"Schön das du gekommen bist." Lorsan trat hinter sie. Wahrscheinlich war er gerade im Krankenzimmer. Er deutete auf den Tisch. "Nimm Platz. Du hast seit gestern Mittag nichts mehr gegessen und ich war so frei dir etwas vom Heutigen aufzuheben."
"Oh. Danke." Sie folgte ihm in die Sitzecke und wählte einen gepolsterten Stuhl vor dem einer der Teller stand.
Lorsan schenkte die Suppe aus und legte noch ein Stück Brot daneben. "Es ist nicht viel, aber ich hoffe es schmeckt."

"Nach der Katze schmeckt alles." Sie lachte und probierte die Suppe. Von dem Trank war nichts mehr geblieben und sie lobte das Essen, auch wenn es einfach war. Dabei hatte er Recht. Nicht einmal von dem Buffet hatte sie kosten können. "Herrlich. Ich könnte darin schwimmen - wenn ich schwimmen könnte."
"Schön, dass es schmeckt. Meine Kochkünste beschränken sich leider hauptsächlich auf Suppen und Eintöpfe."

Neugierig sah sie ihn an. "Ich weiß, du lebst zurück gezogen. Aber du bist immer noch ein Prinz. Solltest du das können?"
"Wahrscheinlich nicht." Lorsan zerpflückte sein Brot und tunkte es in seinen Teller. "Aber ich mag das gemeinsame Essen mit den anderen nicht und Martha hat mich mal aus dem Speiseraum der Angestellten geworfen. Irgendwas von wegen du verschreckst noch die Leute. Da habe ich Maia gefragt, ob sie es mir beibringt." Er lächelte. "Außerdem lerne ich so aus meinen Fehlern und gleichzeitig etwas für die Zukunft."
"Zukunft? Willst du den Palast verlassen?"

Der Heiler nickte. "Spätestens wenn Respen der neue König wird. In der gleichen Nacht werde ich von hier verschwinden." Er schwieg kurz, schüttelte dann aber den Kopf und wechselte das Thema: "Hier geht es aber nicht um mich und meine Pläne. Erinnerst du dich noch an den Abend?"

Darum ging es also. Anavi nickte. "Du bist der zweite Prinz und niemand hat etwas gewusst, bis der Prinz dich vorgestellt hat. Danach hast du dich bei mir für das Verheimlichen entschuldigt. Die Königin hat sich zu uns gestellt und dann ist der Prinz aufgetaucht." Ungern erinnerte sie sich an das, was folgte. "Er hat mich zum Tanz aufgefordert und... mitgenommen." Das Essen blieb ihr im Hals stecken. Die kalten Hände an ihrem Bauch, ihrem Rücken und im Traum sogar an ihrem Hals. Sie spürte die Berührung noch immer. "Auf der anderen Seite des Saals hat er mich abgesetzt und hat noch Wein geholt. Und da..." Sie schüttelte sich und griff nach ihrem Arm. Das Kleid hatte lange Ärmel, bedeckte ihren Unterarm. "Da war diese Frau. Lady Mina, hat der Prinz sie vorgestellt. Aber sie hat mich gekannt... glaube ich. Und merkwürdige Sachen gesagt."
War der letzte Traum vielleicht eine Erinnerung?

"Merkwürdige Sachen? Was zum Beispiel?" Lorsan schob den Teller von sich und berührte vorsichtig ihren Arm. Den, den auch die Lady gepackt hatte. Die blaue Verfärbung war ihr schon im Bad aufgefallen.
"Etwas über eine Mission. Und welcher Prinz mein Ziel ist. Und..." Vorsichtig schob sie den Stoff hoch. "Sie hat mich gepackt und gezischt, sie hätte mir ihr Leben gewidmet. Ich soll dafür sorgen, dass der Nachschub nicht abreißt. Und, dass ich auch im Palast gefunden werden kann, obwohl ich mich verstecke. Dann hat sie losgelassen und der Prinz ist wieder aufgetaucht. Mit dem Wein. Vor Schreck habe ich ihn getrunken und er hat uns vorgestellt."

"Nur ein Bluterguss durch den Druck." Vorsichtig strich Lorsan über die Stelle. "Ich gebe dir nachher eine Salbe, dann verschwindet das schnell wieder. Aber dass Lady Mina mit Warn arbeitet, hatte ich schon länger im Verdacht. Über ihr Land an der Grenze zu Warn werden die gebracht, die sie aus der Stadt bringen." Der Heiler lächelte. "Aber darüber musst du dir keine Gedanken machen. Das ist meine Aufgabe. Gibt es sonst noch etwas?"
Anavi nickte. "Der Prinz... ich... habe Angst in seiner Nähe. Auf dem Rückweg hat er mir zugeflüstert, dass ich an ihn denken soll, wenn du mich auffrisst. Das würde es... leichter machen." Sie schüttelte es bei dem Gedanken an die kalten goldenen Augen in diesem dunklen Raum. Frierend überkreuzte sie die Arme vor der Brust. "Und dann sind da noch diese... Träume. Einer könnte eine Erinnerung sein."

"Träume? Träume sind sehr privat. Wenn du möchtest, kannst du mir davon erzählen, musst es aber nicht."
Sie nickte wieder. Was konnte er schon groß daraus lesen. Vielleicht aber mehr als sie.
"Den ersten hatte ich nach dem Angriff. Wir waren in der Gasse und der Magier hat uns angegriffen. Das erste Mal hat dein Pfeil sein Auge getroffen, aber erst weggelaufen. Das zweite Mal hast du ihm mit einem Speer getroffen, er hat aber überlebt. Das dritte Mal war es Magie. Ranken aus dem Boden haben ihn durchbohrt. Dann war ich plötzlich auf einer Wiese und eine Stimme sagte, es sei noch nicht soweit." Anavi holte Luft. Viel zu schnell hatte sie alles aufgezählt, doch der Heiler hörte weiter zu.
"Den anderen hatte ich gestern. Oder heute. Zuerst war ich einem dunklen Raum. Der Prinz war da und meinte, ich solle froh sein, dass er mich gefunden hat. Aber ich war an die Wand gekettet. Als ich mich seinem Griff entziehen wollte, hat er mich am Hals gepackt und durch den Raum geworfen." Sie zitterte, doch er sollte alles erfahren. "Dann war ich in völliger Dunkelheit, aber es hat nach Flieder gerochen. Eine Stimme sagte, dass nur die richtigen Fragen gehört werden.
Im dritten Traum war ich in einem kleinen Raum. Lady Mina hat mich daraus mitgenommen und durch Gänge zu einer Schattengestalt geschleift. Er hat mich angesehen und meinte, ich wäre für etwas geeignet. Irgendetwas mit den Prinzen, und dass der jüngere Frauen frisst. Dann wurde ich wach."

Der verlorene PrinzWo Geschichten leben. Entdecke jetzt