Nach der dritten Reihe gab Anavi auf. Keines der Bücher enthielt Informationen über eine leuchtende Frau, Flieder oder sogar die Gedankenmagie des Prinzen. Frustriert stellte sie das letzte Buch zurück und ließ sich neben dem Regal sinken. Sie konnte zwar Lorsan fragen, aber er hatte schon die letzten Träume nicht erklären können. Zwar enthielten die Bücher alle Informationen über die bekannten Arten der Magie - und einiger unbekannter, wie Fußnoten zu entnehmen - doch auch über den Transport von Gegenständen aus Träumen war nichts zu finden.
So oft hatte sie diese Regale abgestaubt, die Titel interessiert überflogen und trotzdem half es ihr nichts. Wo sollte sie sonst noch etwas über Magie erfahren, wenn sich schon in dieser Bibliothek, zwei Stockwerke hoch und trotzdem überfüllt, nichts finden ließ.
Sie legte den Kopf auf die Arme und starrte auf die angezogenen Knie. Der Heiler konnte ihr dann sicher auch nicht helfen."Hier bist du, Kindchen." Maia Stimme stoppte neben ihr, dann spürte sie ihre Hand auf der Schulter. "Die Arbeit war doch zu viel, was? Du kannst dich gerne weiter ausruhen. Nach dem, was dir gestern widerfahren ist, kann ich das gut verstehen."
Stimmt, sie hatte die Scherben und den Wein weggewischt und Maia gebeten, sie die Bibliothek abstauben zu lassen. So konnte sie sichergehen, dass nicht auffallen würde, wenn sie in den Bücher stöberte.
"Es ist nicht die Arbeit. Mir geht es gut." Anavi hob den Kopf. "Es gibt nur Dinge, die ich mit mir selbst ausmachen muss. Es geht auch nicht um gestern." Na, teilweise schon, aber das musste sie nicht wissen.
"Du weißt, du kannst mit mir über alles reden, Anavi." Maia lächelte und kniete sich neben sie. "Wenn du sonst niemanden hast und dich sogar vor deiner Freundin Anmelie versteckst."
Anavi nickte und ihr fiel etwas ein, wobei die Ältere ihr vielleicht doch helfen konnte. "Es geht um Lorsan... Ich fühle mich manchmal seltsam in seiner Nähe. Ich weiß, er sagte ich solle mir nicht mehr erhoffen, aber was meinte er damit? Was mehr? Weiß er mehr über mich, als ich?"
"Hm... wie fühlst du dich denn? Und wann hat er gesagt, du sollst dir nicht erhoffen?"
Anavi schloss die Augen und dachte an Lorsan, der Fliederduft, der ihn immer umgibt, die grünen Augen, wie der Wald. "Gut. Sicher.", beschrieb sie. "Mein Herz schlägt schneller und trotzdem werde ich ruhiger. Ich vermisse ihn, obwohl er nur ein Zimmer weiter ist." Sie seufzte. "Ich fühle mich schlecht, weil er mich retten musste. Weil Respen ihm wer weiß was angetan hat, aber es war schlimm genug, dass er mit vier Flaschen Wein zurückgekommen ist. Dann mache ich mir Sorgen um ihn. Gestern habe ich drei dieser Flaschen auf den Boden geworfen und habe gehofft, dass er mit mir darüber spricht..." Tränen traten ihr in die Augen, wenn sie sich erinnerte, wie er unter ihrer Umarmung gezuckt hatte. Wenn er verletzt war, dann hatte es weder im Bett noch am Morgen als er aufgestanden war Hinweise darauf gegeben.
"Ein Teil davon klingt, als empfindest du mehr als Freundschaft für ihn. Du willst dass er sich auch bei dir sicher fühlt, so wie du über die Nacht sprichst." Natürlich hatte Maia bemerkt, dass sie nicht im Krankenzimmer übernachtet hatte. Das hatte sie schon am Morgen gesagt, als sie die Frau im Lorsans Zimmer beim Aufräumen gefunden hatte. "Aber ich fürchte Lorsan hat mit seiner Aussage recht, dass du dir nichts erhoffen sollst. Du hast dich verliebt, Kind, aber er wird diese Gefühle nicht erwidern."
"Und warum? Was ist geschehen, dass er nicht mehr geben kann als Freundschaft? Oder will?"
"Ach Kindchen." Maia strich ihr über den Rücken und lehnte sich ebenfalls an das Regal. "Das ist so viel schwerer zu erklären und hat so viel mehr in ihm zerbrochen. Ich darf dir die Geschichte ja gar nicht erzählen. Das muss er machen. Aber so viel sollst du wissen: er hat vor einigen Jahren sein Herz verschenkt, doch er hat es nur zerbrochen zurückbekommen. Der Verrat wiegt schwer und er flüchtete sich in die Einsamkeit und die Arbeit." Maia seufzte schwer und schloss nachdenklich die Augen. "Ich wollte immer nur das Beste für ihn, habe ihn dabei immer unterstützt. Aber ich trage dadurch wohl auch eine große Schuld daran, was damals passiert ist."
"Adi..."
"Adi? Woher kennst du den Namen?"
Anavi neigte den Kopf. "Lorsan hat ihn heute Morgen erwähnt. Aber er wollte mir auch nichts sagen. Ist sie es, die ihm das Herz gebrochen hat?"
"Darüber sprechen wir nicht, Anavi. Nicht, wenn Lorsan nicht den ersten Schritt macht." Maia lächelte. "Aber du musst nicht eifersüchtig sein. Ich glaube nicht, dass du ihr jemals begegnen wirst."
Anavi nickte, nahm den Staubwedel wieder auf und stellte sich zurück an die Bücher. "Danke, Maia. Ich werde noch eine Weile darüber nachdenken."
Die Ältere nickte bestätigend und ließ Anavi wieder allein. In Gedanken versunken staubte sie die Bücher ab. Darin lesen wollte sie jetzt nicht mehr weiter.
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Der verlorene Prinz
FantasyAls Anavi ohne Erinnerung an ihr früheres Leben in der Obhut des Heilers Lorsan erwacht, ahnt sie noch nichts von den Verflechtungen, in die sie geraten ist. Zufälle, die sich häufen. Fremde, die behaupten sie und ihre Vergangenheit zu kennen. Träum...