"Dieses Fest zu Ehren meines Sohnes und Kronprinzen Respen Mida ist wie immer der Höhepunkt des Jahres. Im Turnier konnten die talentiertesten Kämpfe des Landes ihr Können beweisen, haben Ruhm und Ehre für sich gewonnen. Nun findet der Tag sein Ende und wir lassen ihn einem fröhlichen Tanzabend ausklingen." Der König drehte sich leicht um und deutete auf den Prinzen. "Feiern wir meinen Sohn und seine Erfolge gebührend."
Jubel erhob sich von den Anwesenden, auch Anavi klatschte höflich, bemerkte jedoch, wie sich Lorsans Griff um das Glas verstärkte. Als der Prinz nach vorne trat nahm er eilig einen Schluck Wein.
"Vielen Dank." Prinz Respen erhob die Arme und bat die Menge um Ruhe. "Meine Dank für Euer zahlreiches Erscheinen. Doch meinen Ruhm habe ich nicht allein erlangt. Allein gestern war es mir nur mit tatkräftiger Hilfe möglich, ein Versteck der gefürchteten Menschenfänger auszuheben. Es war ein harter Kampf, doch alle Entführten konnten befreit werden. Dank gebührt auch der Palastwache, besonders unseren legendären Zwillingen Selena und Helena. Und den Mann, ohne den wir das Versteck nicht so bald gefunden hätten. Jemand, der zwar nicht kämpfen kann, aber dessen Verstand fast so scharf ist, wie meine Klinge.""Klappe Strohkopf.", zischte Lorsan ungehört von der Menge, die den Worten des Prinzen lauschte. "Halt mich da raus."
"Natürlich muss ich ihn erst vorstellen, denn es fast keiner, dass es ihn überhaupt gibt." Der Prinz deutete in die Menge. "Lorsan, zweiter Prinz von Mida. Komm doch vor, kleiner Bruder."
"Du hast versprochen, mich nicht anders zu sehen.", flüsterte der Heiler noch leise und drückte sein Glas in Anavis Hand. Sie war überrascht, wenn auch nicht so, wie er es wohl erwartet hatte, und nickte, dann sah sie ihm nach, wie er durch die raunende Menge ging.
"Danke, Prinz Respen, dass Ihr auch mich bedenkt." Lorsan verbeugte sich, kurz bevor er auf die freie Fläche des Saals trat. Etwas entfernt vom Prinzen hielt er an, bedachte auch das Königspaar mit einer respektvollen Begrüßung. "Das wäre jedoch nicht notwendig gewesen."
"Aber natürlich ist es notwendig." Respen legte den Arm auf den Rücken seines Bruders, der sich sofort versteifte. "Du kannst dich nicht immer nur im Schatten verstecken. Am Ende denkt noch jemand, du planst etwas. Wisst ihr, seine besten Freunde sind die Bücher und Pflanzen. Er geht nicht gern unter Leute, aber im Armenviertel ist er oft. Sag, was machst du dort eigentlich?"
"Ich? Ich gehe meinen Geschäften nach." Lorsan trat einen Schritt zur Seite, außerhalb von Respens Reichweite. "Es heißt, die Angestellten des Palastes, wissen schon lange was ich dort mache." Er schüttelte den Kopf. "Aber an diesem Tag soll es nicht um mich gehen. Es ist Euer Tag, Majestät. Das Zentrum überlasse ich ohne zu zögern wieder Euch." Damit wandte er sich wieder der Menge zu und verließ die freie Fläche.
"Wie schade, schon ist er weg." Respen lachte. "Na, dann feiern wir doch einfach. Musik!""Du bist ein Prinz?" Anavi sprach leise, obwohl jedes Gespräch im Klang der Musik und der Unterhaltungen unterging. "Und niemand wusste das?"
"Ja. Ich wollte nicht, dass jemand meine Existenz oder meinen Rang gegen den Prinzen einsetzt. Solange es keinen legitimen Ersatz für die Thronfolge gibt, kann man Respen nur manipulieren, nicht ersetzen."
Anavi nickte und reichte ihm das leere Glas. Wann sie die beiden ausgetrunken hatte, wusste sie nicht mehr. "Gut, darüber reden wir später.""Und darüber auch. Der Wein ist stark, das hätte ich dir vorher sagen sollen. Auch wenn er nur langsam wirkt." Der Heiler stellte das Glas auf den nächsten Tisch und nahm zwei neue. Eines fand den Weg in ihre Hände. "Hat dich jemand angesprochen?"
"Nein. Sollte das jemand tun?" Sie hob ihr Glas an die Lippen und diesmal bemerkte sie den fruchtigen Duft des Weins. "Vielleicht habe ich es nicht bemerkt. Ich habe nur euch beobachtet." Da fiel ihr noch etwas ein. "Die Angestellten wissen es auch nicht, oder? Niemand hat dich bisher als Prinz bezeichnet."
"Die Älteren wissen es. Maia, Martha und einige aus der Palastwache. Manche haben es auch aufgeschnappt, bekommen bei Nachfragen aber keine klare Antwort." Er lächelte. "Niemand sieht mich als Prinz. Ich bin immer nur Lorsan oder der Heiler. Ich habe schon von kleinauf Aufmerksamkeit vermieden.""Ja, ich habe gesehen, dass du dich unwohl gefühlt hast. Wusste die Königin denn von Prinz Respens Ankündigung? Du bist doch auf ihren persönlichen Wunsch hier."
"Nein, ich wusste nichts davon."
Anavi zuckte zusammen und ließ um ein Haar ihr Glas fallen. Vorsichtig drehte sie sich um, erkannte die Königin und senkte schnell wieder den Blick. "Verzeiht, Majestät, ich wollte nicht unhöflich sein."
"Bist du nicht." Die Frau lachte leise und zupfte an einer der beiden goldenen Strähnen, die nicht Teil der Hochsteckfrisur waren. Kleine Blumen glitzerten im Haarturm. "Lorsan, es tut mir leid. Hätte ich gewusst, dass Respen das vorhat, dann hätte ich dich nicht herbestellt."
"Schon gut." Er winkte knapp ab. "Bestenfalls haben sie mich morgen wieder vergessen."
"Und wer ist deine Begleitung, wenn ich fragen darf?" Anavi spürt den Blick der Königin auf sich. Nervös spielte sie mit dem Glas in ihrer Hand.
"Anavi. Sie kommt aus...""Sora. Der Kleidung nach." Nun gesellte sich auch noch Prinz Respen zu ihnen. Unsicher trat Anavi einen Schritt zurück, doch der Prinz griff schnell nach ihrer Hand und zog sie zurück. "Na, fliehen wollt Ihr doch nicht, Mylady Anavi." Er hauchte ihr einen Kuss auf den Handrücken. "Wo hat mein in sich gekehrter Bruder, denn so eine Schönheit aufgetrieben?"
"Das geht Euch nichts an." Lorsan befreite sie und trat an ihrer Stelle ein Stück vor.
"Es ist auch unhöflich die Dame so direkt danach zu fragen." Die Königin sah ihn missbilligend an. "Ich habe dich anständig erzogen, Respen. Über deine Rede werden wir uns auch noch unterhalten."Der Prinz neigte demütig den Kopf. "Du hast Recht, Mutter. Verzeiht, Lady Anavi. Darf ich Euch als Entschuldigung zum Tanz auffordern?" Er hielt ihr die Hand hin.
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Der verlorene Prinz
FantasyAls Anavi ohne Erinnerung an ihr früheres Leben in der Obhut des Heilers Lorsan erwacht, ahnt sie noch nichts von den Verflechtungen, in die sie geraten ist. Zufälle, die sich häufen. Fremde, die behaupten sie und ihre Vergangenheit zu kennen. Träum...