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Die Sonne ging schon unter, als Lorsan zurück in den Palast kam. Anavi erwartete ihn in seinem Arbeitszimmer. Ungeduldig lief sie vor dem Schreibtisch im Kreis.
"Ich weiß, wir wollten uns unterhalten. Setz dich."

Wieder wählten sie die Sitzgruppe, um zu sprechen. Dabei bemerkte Anavi, dass der Heiler abwesend wirkte. Einen Moment lang schwieg er und sah zu einem Punkt, den nur er sehen konnte. Dann begann er: "Gestern. Du hast mir etwas zugeflüstert. Etwas von Pulver." Unter einem Kissen zog er einen kleinen Beutel hervor. "So etwas? Hat er dich damit betäubt?"
"Meine Arme. Ich glaube er wollte..." Sie schüttelte den Kopf, verdrängte die Erinnerung. "Es war golden. In so einem Beutel hat er mir das andere gezeigt. Es soll Berührungen verstärken." Vorsichtig zog sie den Beutel auf. Silber schimmerte es im Kerzenlicht. "Das ist wohl das andere."

"Wie sicher bist du dir?" Er zog sich einen Handschuh an und tauchte den Finger in das Pulver. Den Staub strich er sich dann auf den freien Handrücken. "Hm, bisher passiert nichts."
"Vielleicht wirkt es nur bei Frauen?" Zumindest dürfte das erklären, waren die Zwillinge nicht in die Nähe des Pulvers gekommen waren. Zumindest nicht mit den bloßen Händen. Sie hielt ihm ihre Hand hin. "Versuch es. Man kann es abwaschen, dann verschwindet die Wirkung wieder."
Unsicher sah er sie an, dann das Pulver. "Sei dir bewusst, dass das schmerzhaft werden kann." Nur ein paar der Körner fanden ihren Weg. Anavi beobachtete, wie sie ihre Haut berührten - dann durchfuhr sie ein stechender Schmerz und sie presste die Zähne aufeinander, um einen Schrei zu vermeiden.
Als nächstes spürte sie kurz Kälte und ihr Körper beruhigte sich wieder. "Wer erfindet so etwas schreckliches.", keuchte sie und sah, wie Lorsan ein Tuch auf den Tisch fallen ließ. "Wer braucht das?"

"Folter.", vermutete der Heiler. "Und das Lähmende... es würde sich gut für Operationen einsetzen lassen. Nur ich weiß immer noch nicht, was es ist. Wie es hergestellt wird oder wo."
"Oder für... Entführungen?" Der Gedanke kam ihr spontan, aber wenn nur ein wenig davon genügte, um jemanden vollständig außer Gefecht zu setzen.
"Was du vermutest ist Verrat, aber vielleicht hast du Recht." Lorsan zog den Handschuh aus und verschloss den Beutel wieder, dann legte er das Gesicht in die Hände. "Die Organisation vermutet schon lange, dass Respen im Menschenhandel verwickelt ist. Damit ist es sehr leicht, jemanden schnell zu entführen."

"Warum sollte der Prinz das unterstützen? Er hat doch selbst den Angriff damals geführt."
"Ruhm? Um unauffälliger zu sein? Vielleicht opfern sie ein paar Verstecke, um mehr zu schützen." Der Heiler schüttelte den Kopf. "Das kann doch nicht sein. Respen ist ein Strohkopf. Er denkt nicht weiter, als bis zur nächsten Frau. Er ist kein Stratege, kein Planer, kein Taktiker. Das macht keinen Sinn."
Anavi überlegte. Wenn der Prinz wirklich nicht weit genug vorausdachte, dann musste es ein anderer sein. Oder er spielte den Unwissenden. "Und ein Handel?"
Lorsan sah auf. "Ja, der Drahtzieher hinter dem Menschenhandel ist mit Prinz Respen in Kontakt getreten. Er bietet ihm die Pulver, dafür sieht er regelmäßig weg, wenn Sklaven weggeschafft werden. Und er hat noch etwas erwähnt. Von Soranerinnen, für die er viel Geld zahlt."

"Es sind zwar nur Gerüchte, dass soranische Frauen besonders offen für Kontakte sind, aber in Mida leben nicht so viele von ihnen. Entführte aus Sora hält man in Ming fest. Dort bleiben sie auch, da sie nicht zurück können." Der Heiler klopfte auf den Tisch. "Wenn es nun aber auch ein Pulver für..." Der Rest des Satzes war zu leise, um ihn zu verstehen. Anavi wollte lieber nicht darüber nachdenken.
Also wechselte sie das Thema: "Ich hatte wieder diese Träume. Ich saß in einer Halle bei einem Fest, neben mir dieser Schattenmann. Dann hat mich irgendjemand ausgepeitscht, aber er hat ihn aufgehalten und meinte, die Narben könnten seinen Plan ruinieren. Und dann war das die Lichtung, umgeben mit Fliederbüschen und eine Frau. Aber sie hat so hell geleuchtet, dass ich nicht mehr erkennen konnte. Und sie hat mir auch die Blüte gegeben."

"Du hast von der Blüte geträumt und hattest die dann in der Hand?" Überrascht widmete er sich wieder ihr. "Mit den Erinnerungen kann ich leider nicht helfen. Sie scheinen deine Bürde zu sein. Aber eine Lichtung und Flieder und eine leuchtende Frau... Das könnte der Götterwald sein." Er lächelte und flüstert verriet er: "Ich denke, eine Göttin hat dich besucht."

Er unterbrach seine Deutung und sah auf, als Maia auf die Sitzgruppe zukam. "Du wolltest mich sprechen?"
"Ja. Setz dich."
Maia setzte sich neben Anavi auf das Sofa und sah ihn erwartungsvoll an.
Entschuldigend sah der Heiler zurück. "Ich... ich werde euch beide jetzt in etwas einweihen, dass ich schon lange plane. Maia, Anavi. Ihr seid beide wunderbare Freunde für mich geworden, darum habe ich bereits alles für euch vorbereitet." Er seufzte. "Maia, du kennst meine Pläne. Mein spätester Zeitpunkt ist nach vorn verlegt. Aber es haben sich ein paar Dinge ergeben, die einen weiteren Aufschub unmöglich machen."

Maia nickte und nahm Anavis Hand. "Ich weiß. Du bereitest dich schon seit Jahren darauf vor. Hast du etwa einen Hinweis?"
"Habe ich. Und ich möchte ihm so bald wie möglich nachgehen. Ich werde in den nächsten Wochen Mida verlassen."


Der verlorene PrinzWo Geschichten leben. Entdecke jetzt