"Ich glaube, der Eintopf war schlecht." Anavis Bauch brummte und blubberte, wenn sich nicht gerade Schmerzen zogen. Ihr Würgereflex löste aus, als ihr Körper das vermutlich verdorbene Essen erbrach. Zu ihrem Glück in den Eimer, den der Heiler ihr bei den ersten Beschwerden hingestellt hatte.
"Das passiert." Er klopfte ihr auf den Rücken und band schnell ihre Haare zurück. "Vielleicht verträgst du das nicht?"
"Vielleicht bin ich verwöhnt." Sie versuchte zu lächeln, hob sogar den Kopf. Ihr Magen war leider immer noch nicht leer und ein zweiter Schwall der grünen Masse landete im Eimer. Wenigstens hatte sie nur wenig gegessen. "Das ist demütigend.""Such die Schuld nicht bei dir. Du hast vielleicht nur das falsche erwischt. Vielleicht ein schon verdorbener Rest."
"Ich Glückspilz..."
Da klopfte es und selbst ihr Magen schien sich sofort zu beruhigen. Nervös sah sie zur Tür, Lorsan stand bereits auf und ging hin. "Wer da?"
"Wir haben uns unten unterhalten, Herr. Habt Ihr einen Moment?" Die Stimme klang nicht bekannt, auch wenn sie durch das Holz gedämpft wurde.
"Ich fürchte, ich kann Euch nicht einordnen. Sicher, dass Ihr richtig seid?", antwortete der Heiler, worauf der Fremde wieder klopfte.
"Nun, nicht direkt unterhalten. Ich gehöre zur Eskorte eines Händlers. Ihr habt beim Essen mit ihm gesprochen." Das klang vernünftiger.
"Und was genau wollt Ihr?"
"Unser Auftraggeber ist krank. Er sagte, Ihr seid Heiler. Könnt Ihr helfen?"Lorsan schloss auf und gewährte Blick auf den Söldner. Ein älterer Mann mit grauen Strähnen, gekleidet ohne Rüstung und Waffen. "Krank? Übergibt er sich zufällig und klagt über Magenschmerzen?" Lorsan nickte zurück ins Zimmer. Natürlich musste es das gleiche sein.
"Ja. Bei Eurer Begleitung auch?"
"Leider. Wartet kurz. Ich habe etwas, das hilft. Sie hat es auch schon bekommen." Der Heiler ging zurück, suchte in seiner Heilertasche nach einer kleinen Flasche, ließ einen Tropfen in ein Glas Wasser fallen und brachte dieses dem Söldner. "Hier. Er muss das ganz austrinken. Aber erst, wenn er sich nicht mehr übergeben muss."
Der Söldner nickte, sah jedoch an ihm vorbei. "Sagtet Ihr nicht, sie hatte es auch schon? Warum erbricht sie sich weiter?"
"Hatte es zu früh.", gab Anavi als Antwort zurück und zitierte die Erklärung des Heilers. "Wirkt auch gegen Magenschmerzen. Führt bei Vergiftung aber zu Erbrechen.""Vergiftung? Wurde etwa ein Anschlag verübt?" Der Söldner sah besorgt, fast panisch aus. Anavi fand es nachvollziehbar, immerhin lag das Leben und die Unversehrtheit seines Auftraggebers in seinen Händen.
"Nein. Ich denke das Essen war nur schlecht. Gibt es bei Eurer Gruppe noch mehr Beschwerden?" Lorsan versperrte die Sicht wieder.
"Ah, ja. Doch. Zwei meiner Kameraden klagen auch über Schmerzen. Aber es ist nicht so schlimm."
Der Heiler nickte. "Dann komme ich mit. Feder, pass hier auf, ja?" Der Rabe antwortete leise, ließ den Kopf aber unter dem Flügel stecken. Lorsan nahm seine Tasche mit. "Bin bald zurück.", versprach er und folgte dem Söldner. Anavi nickte und rührte sich nicht vom Fleck, starrte dafür aber das zweite Wasserglas mit der Medizin an.Die Reise war problemlos verlaufen. Nach Lorsans Plänen waren sie rechtzeitig aufgebrochen, damit die Winterstürme bereits vorbei waren. Auch Schneefälle sollte es nicht mehr geben und wenn an der Grenze das erste Grün erwachte, sollte sie ihr Ziel erreichen. Mit einer Krankheit hatte niemand gerechnet. Oder besser, der heruntergekommenen Herberge, die schlechtes Essen servierte.
Sie seufzte. Wenigstens war ihre erste Sorge damit ausgeräumt. Wie hätte sie ihm eine Schwangerschaft auch erklären sollen? Dass sein Gebräu, das diesen Fall verhindern sollte, nicht funktioniert hatte?Anavi schloss die Augen, lauschte in sich hinein. Ihr Magen blubberte nicht mehr, sie hatte sich nicht mehr übergeben. Mit der Erinnerung an den bitteren Geschmack stürzte sie das Glas herunter, stellte den Eimer ab und legte sich wieder ins Bett, ließ die Tür jedoch nicht aus den Augen. Bis sie irgendwann einschlief, bevor Lorsan wieder zurück war.
Der Schlaf brachte jedoch keine Erholung und sie wurde bald wieder geweckt. Leise Schritte vor der Tür, dann ein Geräusch wie ein Schlüssel im Schloss, doch es dauerte länger.
Unsicher schob sie die Hand unter das Kissen, ergriff den Dolch und ließ ihre Augen nur einen Spalt offen. Das Geräusch blieb, obwohl die Tür nicht abgeschlossen war. Und wo blieb Lorsan? Er fehlte immer noch. Der beruhigende Flieder war nur noch schwach im Raum vertreten.
Ihre Hand zuckte, als endlich die Tür rau über den Boden schabte. Licht fiel nicht ein, auch hinter der Tür war es dunkel, nur wenig mehr als Schatten zeigte das Licht des halben Mondes. Ihr Griff verstärkte sich, der Schatten trat in den Raum. Kein Flieder umgab ihn, doch etwas konnte sie erkennen. Leuchtende Augen und Nebel, der um seinen Körper waberte.
Alles in ihr schrie, dass sie in Gefahr war, doch sie zwang sich zu warten. Liegen zu bleiben, bis der Fremde in Reichweite war und sie sich verteidigen konnte. Sie durfte nur nicht mehr so sehr in Schock verfallen, wie beim Angriff auf Rosalies Anwesen. Als ihre Klinge lebendes Fleisch durchtrennt hatte, warmes Blut auf ihren Händen verteilt hatte.Sie atmete gleichmäßig ein, dann aus. Der Fremde blieb neben dem Bett stehen, beugte sich zu ihr. Noch war es kein Angriff. Sie erkannte ein Lächeln in seinen Augen. Er schien zufrieden. War das doch nur ein Traum? Eine Erinnerung der Fremden, die unsagbares durchgemacht hatte und Anavi es wieder erleben ließ.
Nein, es war kein Traum, sprach sie sich Mit zu und beobachtete, wie der Fremde etwas neben sie legte. Es war leicht, glatt. Keine Klinge, kein Versuch sie zu ermorden oder zu entführen.
Dann drehte der Fremde sich um, verließ den Raum so lautlos, wie er ihn betreten hatte und schloss die Tür.Anavis Herz raste, sie lauschte auf weitere Schritte oder Besucher, dann setzte sie sich auf. Neben ihr lag ein Brief und ihrer Neugier geschuldet nahm sie den Leuchtstein zur Hand, der in seiner Halterung neben ihr stand. Langsam drehte sie das Licht auf und sah auf den Brief. Das Siegel war mit dem Kopf einer Eule verziert, doch die Neugier siegte und sie öffnete ihn vorsichtig, ohne das Siegel zu beschädigen.
Es stand kein Name dort, doch die Zeilen ließen die Sorge in ihr wachsen. Lorsan musste schnell zurückkommen - oder verschwieg sie ihm die Nachricht lieber?
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Der verlorene Prinz
FantasyAls Anavi ohne Erinnerung an ihr früheres Leben in der Obhut des Heilers Lorsan erwacht, ahnt sie noch nichts von den Verflechtungen, in die sie geraten ist. Zufälle, die sich häufen. Fremde, die behaupten sie und ihre Vergangenheit zu kennen. Träum...