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Kaum hatten sie die Grenze übertreten, die Brücke verlassen, wurde es merklich kälter mit einsetzender Dunkelheit. Vor ihnen war jedoch bereits die Herberge zu sehen. Sie unterschied sich nicht von denen Mings. Nur Wetter und Umgebung verrieten, dass sie sich in Jona, dem nördlichsten Land befanden.
"Werden wir wieder überprüft?" Zur Sicherheit warf Anavi noch einen Blick zurück. Ihre Eskorte war schon nicht mehr zu sehen. "Oder ist das nicht so streng?"
"Ich denke nicht, dass noch eine Überprüfung kommt. Rosa hat uns ihre Siegel mitgegeben und ihr Wort hat viel Gewicht." Weil Lorsan einen Schritt vor ihr ritt, musste er sich umdrehen. "Oder willst du wieder meine Frau spielen?"
Sie schüttelte den Kopf. Auf eine zweite Erfahrung wie mit den Huren an der Grenze zu Ming konnte sie gut verzichten. "Außerdem habe ich nichts dagegen es nicht mehr nur spielen zu müssen."

"Eine Ehe? Ausgerechnet mit mir?" Der Heiler lachte. "Ich wäre ein miserabler Mann."
"Warum nicht? Ich übernehme doch schon den Haushalt. Und du verdienst Geld. Reicht das nicht?" Dabei klangen Annas und Rosalies Erzählungen dazu so einfach.
"Im Prinzip. Aber dann brauchen wir keine Segen. Es bindet zu sehr." Er wandte den Blick zurück nach vorn. "Was, wenn du einen anderen findest, den du liebst? In einer Ehe wäre kein Platz dafür. Ich müsste dich verstoßen, damit du frei für ihn bist. Außerdem könnte ich dir nichts hinterlassen, falls ich sterbe. Du hättest kein Anrecht darauf."
"Als ob mich noch jemand nach unseren Nächten nehmen würde." Anavi beschleunigte ihr Pferd, sodass sie neben einander ritten. Sie griff nach seiner Hand. "Außerdem bin ich glücklich mit dir. Was will ich mit einem anderen?"

Lorsan schüttelte den Kopf. "Ich kann dich wirklich nicht umstimmen. Aber ich werde dir nicht in deine Entscheidung einreden. Nur eine Ehe kommt für mich leider nicht in Frage."
"Ich bin da, falls du deine Entscheidung änderst."
Er nickte, dann sah er zur Seite. Ein lauter, schneidender Pfiff zerriss die Luft. "Sun, Sur. Lauft nicht zu weit. Das sind unbekannte Wälder." Der Heiler sah wieder zu ihr. "Ich erinnere mich daran. Aber erst brauche ich ein warmes Bett. Und morgen ziehen wir wärmere Sachen an. Es wird kälter, je weiter wir kommen."
"Verstanden."

Sie hielten vor der Herberge. Ein Junge kam schon aus dem angrenzenden Stall und nahm die Zügel der Pferde. "Eine Unterkunft für die Nacht? Für zwei?"
"Ja, für die Pferde. Und..." Er sah nach hinten. Brav kamen die Wölfe angetrottet, Feder setzte sich auf seine Schulter. "Die beiden auch. Können sie bei den Pferden bleiben?"
Mit großen Augen sah das Kind auf die Wölfe, nicht verängstigt sondern staunend. "Große Wölfe, mein Herr. Wenn sie die Pferde nicht anfallen können sie in den Stall. Für eine Gebühr, versteht sich." Er grinste und zeigte zwei fehlende Vorderzähne.
"Sie greifen nur Pferdediebe an." Lorsan reichte dem Jungen zwei Münzen und stieg ab. Dann löste er die Satteltaschen. "Bring sie schon rein. Sun, Sur. Aufpassen." Die Wölfe wedelten mit den Schwänzen und folgten den Pferden.

Der Heiler ging voraus und betrat den warmen Gastraum der Herberge. Es waren viele freie Plätze an den Tischen, die wenigen Gäste bestanden aus Händlern und einigen Söldnern zur Eskorte. An einer Theke wischte eine Frau gerade Gläser aus, unterbrach ihre Arbeit jedoch, als die neuen Gäste auf sie zu traten. "Wir brauchen zwei Betten für die Nacht. Ist noch etwas frei?"
"Zwei Silber für die Nacht." Sie nickte. "Ein Zimmer gibt es noch. Eure Frau?"
"Noch nicht." Er lächelte Anavi zu. Also würden sie doch wieder etwas vorspielen. Sie nickte eifrig und beobachtete, wie die Frau vier Silberstücke in ihrer Schürze verschwinden ließ. Im Gegenzug schob sie einen kleinen Schlüssel an einen Holzstück zurück. Treppe hoch, links, dritte Tür rechts. Essen gibt es nur Mittags und Abends."
"Danke. Dann kommen wir gleich wieder. Anavi?"

"Schon da." Sie folgte ihm durch den Gastraum, über die Treppe und in das angegebene Zimmer. Eine karge Einrichtung erwartete sie. Durchgelegene Betten, dünne Decken, ein löchriger Teppich. Wenigstens blieben sie nur eine Nacht. "Bei der Lage hatte ich mehr erwartet."
"Ich auch. Vielleicht die Folgen des Winters." Lorsan schlug die Decke des einen Bettes zurück und rümpfte die Nase. "Nenn mich verwöhnt, aber ich bevorzuge saubere Betten. Was ist bei dir?"
Anavi wiederholte seine Handlung. Das Laken sah sauber aus. "Besser." Sie lächelte. "Wollen wir uns ein Bett teilen?"
"Müssen wir wohl. Oder ich schlafe auf dem Boden."
"Wir teilen." Damit entschied sie für ihn und setzte sich. Aus ihrer Tasche suchte sie eine warme Decke und den dicken Mantel auch gleich. "Ich hoffe das Essen ist besser."

Zumindest sah es nicht ungenießbar aus. Eine zweite Decke landete neben ihr. Im nächsten Moment fuhr ein kalter Windstoß in den Raum. Das Fenster klapperte gefährlich.
"Verdammt." Lorsan zog es wieder zu, verriegelte es neu, seufzte zum Schluss trotzdem. "Der Riegel hält nicht richtig. Hast du eine Schnur in der Nähe?"
"Hier." Sie reichte ihm das gewünschte und sah zu, wie er den Riegel mit der Schnur verstärkte. Es war nicht sicher, aber es hielt. "Hoffentlich bricht niemand ein."
"Das wäre ein schlechter Start." Wieder ein Seufzen. "Nur eine Nacht, das schaffen wir. Die nächste ist hoffentlich besser ausgestattet." Er ging an ihr vorbei und spähte durch eine abgehende Tür. "Wenigstens das Bad ist annehmbar. Und abschließbar. Stellen wir die Sachen rein und gehen essen."

Zurück im Gastraum warteten sie auf das Tagesgericht. Eintopf, versprach einer der Händler. Er beschrieb ihn sogar noch als genießbar. Selbst auf dem Weg zur Grenze hatten sie besseres bekommen. Trotz rationierter Nahrung und noch mehr Herbergen.
"Ich weiß nicht..." Unsicher rührte Anavi durch die dickflüssige, grüne Masse. "Ist das giftig?"
"Kein Gift, nur verkocht." Der Heiler begann zu essen. Zumindest war es warm.

"Ja, es gibt besseres, Kinder." Der Händler am Nebentisch hob den Kopf. "Die Wirtin hat im Winter ihren Mann verloren. Hier ist nichts mehr wie vorher. Vielleicht gibt sie Pacht auf und geht zurück in ihr Dorf."
"Der Junge beim Stall ist ihr Sohn?" Lorsan kaute auf dem Eintopf. Länger als nötig.
"Ja. Armes Kind. So früh den Vater verloren." Ein Söldner ihm gegenüber machte ein Zeichen und der Händler nickte. "Verzeiht, wir müssen frühmorgens weiter. Der Prinz möge wachen." Die Gruppe stand auf und ging zu den Zimmern.

"Der Prinz möge wachen? Was heißt das?" Anavi überwand sich endlich die Masse zu essen. Sie schmeckte nach nichts und war nur Brei. Wie zweimal gegessen.
"Ich weiß nicht. Sicher finden wir es noch heraus."

Der verlorene PrinzWo Geschichten leben. Entdecke jetzt