"Wir haben nichts gefunden. Gar nichts! Nur ein paar Blutflecken und die haben uns nichts gebracht. Wir haben sogar Aufspürmagier angefordert, aber nichts!" Rosalies laute Flüche und das Knallen der Tür rissen Anavi aus dem Schlaf. Erschrocken richtete sie sich auf und orientierte sich im hellen Zimmer. War es schon so spät?
"Die ganze Nacht und nichts. Wir..." Die Kämpferin verstummte, als sich ihre Blicke trafen. Erst starrte sie Anavi an, dann an ihr vorbei. "Habt ihr..." Die ergebnislose Suche, wohl nach ihrem Angreifer, war vergessen."Ähm..." Anavi sah hinter sich, wo der Heiler noch friedlich schlief, eine Hand um ihre Taille. "Das ist nicht wonach es aussieht. Wir..."
"Doch, ist es.", drang es hinter ihr hervor. Lorsan bewegte sich nicht, öffnete nicht einmal die Augen. "Es ist genau das." Seine Mundwinkel zuckten. Betreten senkte Anavi den Kopf und zog sie Decke hoch. Leugnen half wohl nichts, wenn der Gegenüber Lügen erkannte.
Vorsichtig zog er sie wieder zu sich, sah nun aber endlich auf und setzte sich sogar auf. "Du hast es lange genug provoziert, Rosa.""Hah..." Sie seufzte. "Na schön. Aber ihr beide kennt ein paar Gesetze nicht, also stelle ich euch ein oder zwei Fragen. Bleibt ehrlich, ja?"
"Schon gut." Lorsan legte den Kopf auf Anavis Schulter. "Frag nur. Ich habe nicht vor, dir etwas zu verheimlichen."
"Ich schon." Anavi spürte wie ihr das Blut in den Kopf schoss. "Ich will... eigentlich nicht... darüber... reden." Sie wollte sich von dem Heiler befreien, gleichzeitig nie wieder von ihm weg. Selbst Rosalie betrachtete sie als störend."Nicht darüber. Das können wir zu zweit besprechen." Rosalie schüttelte den Kopf. "Frage eins: wart ihr beide einverstanden und gab es von keiner Seite Widerstand?"
"Ich war einverstanden. Aber... ein paar Erinnerungen haben mich zögern lassen." Mit der freien Hand drehte der Heiler Strähnen zwischen den Fingern.
"Ich..." Anavi wandte den Blick ab. Sollten sie wirklich über so etwas reden? "Ich war auch einverstanden. Von mir ging es doch aus, oder?" Hilfesuchend sah sie zurück. Stumm nickte Lorsan, worauf sie wieder zu Rosalie sah. "Warum willst du das eigentlich wissen?"
"Weil ich wissen muss, ob einer von euch eine Straftat begangen hat." Sie schrieb etwas auf ein Blatt Papier. "Vergewaltigung wird schwer bestraft, wisst ihr? Egal, wer das Opfer ist." Ihr Blick galt Lorsan. "Das sollten andere Länder auch einführen, finde ich."
"Als ob jemand Respen anklagen würde." Der Heiler sah zurück. "Bis zu einer bestimmten Position ist das sicher sinnvoll."
"Ach was. Unsere Prinzen können genauso angeklagt werden." Rosalie nickte. "Warum denkst du, ist der Thronfolger nicht der Erstgeborene?""Aber... wie sollte ein Mann ein Opfer werden?" Anavi legte den Kopf schief, weg von Lorsan, der sie nur näher zog. Ihr Körper wurde wieder warm, wie schon in der Nacht. "Er ist doch stärker, als eine Frau?"
Wieder seufzte Rosalie, sah sie einen Moment an, als müsste sie sich eine Erklärung überlegen. Dann setzte sie sich auf die Bettkante nebenan. "Es ist möglich, glaub mir. Vor allem hier, wo freier mit der Liebe umgegangen wird. Und es gibt mehr als die Paarung Mann-Frau." Sie klopfte sich an die Schläfe, lächelte. "Erinnerst du dich, was ich gefragt hatte, als ich euch eingesammelt habe?"
Anavi überlegte, rief sich das Gespräch wieder in die Erinnerung. "Ob ich noch zu haben bin? Meinst du das?" Plötzlich wurde ihr wieder heiß, was nicht an dem Heiler lag. "Meintest du etwa... Dich... Und mich..."
"Du warst interessant, das muss ich zugeben." Sie nickte. "Aber es hätte wohl nicht funktioniert. Du hängst an Lorsan, liebst ihn. Dazwischen will ich mich nicht mehr drängen." Da lächelte Rosalie. "Ich finde schon jemanden. Irgendwann. Bin ja noch jung."Anavi nickte. Bilder drängten sich in ihre Gedanken, die sie schnell wieder verdrängte. "Das Kleid ist kaputt. Tut mir leid." Hoffentlich lenkte sie der Themenwechsel ab. Die blaue Stoffbahn war wohl im Laufe der Nacht aus dem Bett gefallen. Jetzt lag sie auf dem Holzboden, wie ein kleiner See. Hatte der Stoff schon vorher silbern geschimmert?
"Oh." Rosalie hob es auf, strich mit den Fingern über die Ränder und blieb an den nicht gerade kleinen Riss und der verfärbten Stelle hängen. "Das ist tatsächlich ein deutlicher Riss. Aber dafür finden wir sicher eine Lösung. Ich rede mit dem Schneider, wenn ihr sie zurückgebt." Sie wandte den Blick zum Fenster. "Das verschieben wir auf morgen. Zuerst gehen wir zurück nach Hause. Wir brauchen alle Schlaf in gewohnter Umgebung. Und das Fest wurde sowieso abgebrochen, wegen der Aufräumarbeiten." Wieder ein Seufzen. "Wir haben drei Vermisste, die wahrscheinlich in die Hände der Menschenhändler gefallen sind. Dazu noch zwei Tote, die im Tumult niedergetrampelt wurden und eine Menge Verletzte. Ich war schon in Schlachten, bei denen weniger Heiler nötig waren.""Wenn jemand Hilfe braucht...", wollte der Heiler seine Hilfe anbieten, doch Rosalie schnitt ihm das Wort mit einer knappen Handbewegung ab. "Du darfst hier nicht arbeiten, nur Familie versorgen. Noch so ein Gesetz, dass man verbreiten sollte." Sie nickte zur Tür. "Zieht euch an, ja? Ich warte unten." Damit stand sie auf, ihr Blick wirkte plötzlich sehr müde. "Meine freien Tage haben sich verabschiedet, ihr habt das Haus also bald für euch allein." Ein letztes Lächeln schaffte es noch auf ihr Gesicht, bevor sie die Tür nun langsamer hinter sich schloss. "Und passt auf die Angestellten auf. Die reden gerne."
"Das ist unangenehm..." Sie starrte noch einen Moment zur Tür, während Lorsan bereits aufgestanden war und sich wieder anzog. "Du sagtest doch, es erfährt keiner..."
"Ich glaube, das waren deine Worte. Aber, mach dir keine Sorgen. Das war nur eine Nacht." Er lächelte, doch seine Miene wurde schnell ernst, als er etwas an ihr sah und auf ihre Seite des Bettes trat. "Anavi, du bist verletzt." Er strich über ihre Seite. Kurz zog sich ein Schmerz durch ihren Körper. Irritiert sah sie auf die Stelle, an der sich bereits ein dunkler Fleck bildete. "Hast du Schmerzen?" Besorgt sah der Heiler auf. "Oder war ich das?"
"Ich glaube das ist von meinem Sturz. Ein paar Leute haben mich... getroffen. Es tut nicht weh, wenn es niemand anfasst."
Immer noch besorgt tastete er über die Rippe, die unter dem Fleck lag. "Scheint nicht gebrochen zu sein. Du kannst von Glück reden, dass es nichts Schlimmeres ist. Ich gebe dir später etwas dafür. Und diesmal erinnerst du mich bitte daran."Anavi nickte verstehend und ließ sich ihr Unterkleid reichen. "Warum... habe ich gestern nichts gespürt? Auch nicht, als wir..." Vielsagend wandte sie den Blick ab.
"Aufregung oder Angst können Schmerzen ausblenden. Aber sie verschwinden nicht, man bemerkt es nur nicht. Das kann nützlich sein, wenn man auf der Flucht ist, gleichzeitig aber auch gefährlich, weil man den eigenen Zustand nicht bemerkt."
"Verstehe." Sie wickelte sich in das Festkleid ein und ließ Lorsan die Kordeln festziehen, soweit mit dem Riss möglich. Rosalies Ungeduld kennend beeilten sie sich zu ihr und zurück in das Anwesen zu kommen.
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Der verlorene Prinz
FantasyAls Anavi ohne Erinnerung an ihr früheres Leben in der Obhut des Heilers Lorsan erwacht, ahnt sie noch nichts von den Verflechtungen, in die sie geraten ist. Zufälle, die sich häufen. Fremde, die behaupten sie und ihre Vergangenheit zu kennen. Träum...