Es schien still, als sie durch den Nebengang in ihren Arbeitsbereich zurückging. Von der Frau, die Lorsans Reich vor Kurzem betreten hatte fehlte jede Spur und auch Maia wütete nicht mehr vor dem Zimmer des Heilers.
Erst als sie am Krankenzimmer vorbei war und die Tür des Arbeitszimmers passierte, hörte sie leise, dumpfe Stimmen durch die Tür und hielt neugierig an. Gerade lehnte sie sich vor, um ihr Ohr ans Holz zu halten, als diese schwungvoll geöffnet wurde und Anavi fast vornüber gegen die Frau fiel, die sie mit Anmelie beobachtet hatte."Man lauscht nicht. Das ist unhöflich." Lorsan lächelte, während die Fremde sie am Kragen packte und in den Raum zog.
"Unhöflich ist das falsche Wort.", zischte die Fremde. "Spione verlassen nur selten lebend eine solche Unterhaltung."
"Ich bin kein Spion." Anavi schlug ihre Hand weg. "Ich habe nur zufällig Stimmen gehört." Sie fixierte die blauen Augen der Fremden, die noch immer das weiß-gelbe Tuch in ihrem Haar trug. Ein Streifen Stoff, der zur Hälfte in das schwarze Haar eingeflochten war."Sie ist wirklich kein Spion." Der Heiler stand von seinem Platz hinter dem Schreibtisch auf und trat zu den Beiden. "Anavi stammt wahrscheinlich selbst aus Warn." Sein Blick richtete sich auf die angestellte. "Wenn du schon hier bist, kann ich dich gleich einweihen. Ich wollte sowieso mit dir über morgen sprechen."
"Morgen?" Sie wusste nur, dass sie das Kleid abholen sollten. Rechtzeitig zwei Tage vor dem Ball, damit Chevez noch Änderungen vornehmen konnte.
"Ja. Ich habe Informationen bekommen, dass eine der Gruppen von Menschenfängern morgen früh ihre Gefangenen aus der Stadt schaffen will. Ich würde dich gerne mitnehmen."
"Mich mitnehmen?" Unsicher sah sie zu der Fremden. "Ich soll keinen Köder spielen, oder?"
"Nein, das ist meine Aufgabe." Die Frau schien ihr immer noch nicht zu trauen. "Aber eine unserer Helferinnen ist vor Kurzem ausgefallen. Wir brauchen jemanden, der die Gefangenen beruhigen kann."
"Mach ihr nicht noch mehr Angst.", sprang Lorsan ein und nahm Anavis Hand um sie zum Schreibtisch zu führen. Weg von der Frau. "Du musst uns nicht helfen, aber wir haben morgen einen Termin bei Chevez und ich werde nach dem Einsatz nicht in den Palast zurückkehren. Ob du dich unter Surs Schutz versteckst oder uns begleitest überlasse ich ganz dir."Anavi nickte verstehend und fragte: "Du wirst das aber nicht allein machen, oder? Die Menschenfänger angreifen?"
"Natürlich nicht. Ich bin ein miserabler Kämpfer." Seine Mine verhärtete sich kurz. "Prinz Respen führt den Angriff mit einem Teil der Palastwache. Er bekommt den Ruhm, ich befreie Unschuldige. Alle Seiten gewinnen. Ich bin nur dabei um mich um die Verletzten zu kümmern. Die Kämpfe, sollten welche ausbrechen, warte ich in der hinteren Reihe ab.""Verstehe." Sie überlegte kurz. "Dann würde ich dich gern begleiten. Ich möchte sehen, was du machst und vielleicht kann ich doch helfen. Und falls nicht, kommt vielleicht... eine Erinnerung zurück?" Dass sie auch den Prinzen schon einmal einschätzen wollte, bevor sie ihm auf dem Ball begegnete behielt sie für sich.
"Wenn du deine Erinnerungen wecken willst kannst du das gerne versuchen. Dann hole ich dich morgen früh wieder ab. Einfache Kleidung, ja? Sonst sehen sie dich noch als lohnende Beute." Der Heiler sah über sie zu der Fremden, die noch immer wartete. "Faria, auch für dich. Anavi begleitet mich morgen. Aber Respen soll nichts von ihr wissen, also bleibt das unter uns."
Faria, die Fremde, musterte Anavi einen Moment, dann schloss sie kurz die Augen und verbeugte sich vor dem Heiler. "Wie Ihr wünscht, Lorsan. Kein Wort von mir. Und trotzdem..." Sie fixierte Anavi. "Etwas stimmt nicht mit ihr. Seid vorsichtig, wem Ihr euer Vertrauen schenkt."
"Mit mir stimmt alles. Ich kann mich nur nicht an meine Vergangenheit erinnern." Anavi stemmte demonstrativ die Hände in die Hüfte.
"Pah." Feria wandte den Blick nicht ab. Die blauen Augen schienen das Licht einzufangen und zu leuchten. Überrascht wich Anavi einen Schritt zurück und stieß gegen den Heiler, der ihr beruhigend die Hände auf die Schultern legte. "Du verbirgst etwas, Kleine. Das weiß ich. Ich weiß nicht was, aber wenn du meinen Freund in Gefahr bringst, dann werde ich dich finden." Anavi zitterte. Die Luft wurde kälter und die Kälte kroch durch ihre Kleider, ihre Haut. Schutzsuchend krallte sie sich bei Lorsan ein, der endlich die Drohgebärde der Frau unterbrach: "Es reicht, Faria. Keine Magie in Gegenwart von Unwissenden."Fast sofort verschwand die Kälte und das Licht verschwand aus ihren Augen. Anavi wollte sich entspannen, doch ihr Körper zitterte noch immer. Als wollte er sich vorbereiten, falls sie erneut angriff.
"Wir sehen uns morgen." Damit verschwand sie durch die Tür und Anavi sackte zusammen. Nur von den Händen des Heilers gehalten."Bitte erzähle es niemandem.", flüsterte er. "Magier sind nicht gern gesehen in diesem Land."
Die Frau nickte und löste sich von dem Heiler. "Ich sage nichts. Aber ich kann den Grund verstehen."
"Für ihren Angriff? Oder die Ablehnung des Königs?"
"Den Angriff." Anavi sah zur Tür. Noch immer ging Kälte von dem Punkt aus, an dem die andere Frau gestanden hatte. Ihre Magie eingestzt hatte. "Sie kennt mich nicht, also sieht sie eine Gefahr in mir.""Du bist keine Gefahr. Das hätte ich längst bemerkt." Lorsan wurde ruhiger. "Aber sie sagte auch, dass du etwas verbirgst. Eine Erinnerung?"
Anavi schwieg, sah in die Augen des Heilers und schüttelte den Kopf. Dieses Wissen wollte sie nicht teilen. Sie fürchtete sich, ohne den Grund zu kennen. Welche Gefahr sollte durch die Möglichkeit zu lesen auch von ihr ausgehen?Schnell wechselte sie das Thema. "Der König misstraut also Magiern? Warum, außer dass sie einen mit Blicken töten können?"
Lorsan ging darauf ein, seufzte und führte sie zur Sitzecke hinter dem Regal neben der Tür, bevor er ihr antwortete. "Magier können nicht mit Blicken töten. Aber ihre Augen leuchten, wenn sie Magie nutzen. Immer in der Farbe der Magie. Das von Faria gerade war eine Magie, um die Lufttemperatur zu verändern. Sie kann sie schnell abkühlen oder erhitzen. Feinde lassen sich damit problemlos außer Gefecht setzen. In ein paar Jahren kann sie vielleicht einen Winter heraufbeschwören. Oder eine Dürre.""Also sind sie gefährlich?"
"Nicht alle. Ich kennen einen Mann, der Wasser reinigen kann. Nur das. Er lebt in einem der Armenviertel und hilft dort den Leuten mit sauberem Wasser aus. Aber er ist schon alt und wird nicht mehr lange dazu in der Lage sein." Sein Blick wurde traurig. "Er ist nicht gefährlich. Seine Magie ist nicht dazu da, um zu kämpfen oder jemanden zu bedrohen. Trotzdem wissen nur Eingeweihte von ihm. Viele können keine Geheimnisse wahren, wenige schon. Am besten ist es, wenn niemand ein Geheimnis kennt."Anavi verstand die Sorge des Heilers um den Mann, mit der Magie. Sollte jemand falsches von ihm erfahren, dann könnte man ihn gefangen nehmen und zwingen, Wasser nur für wenige zu reinigen. Die Bewohner des Armenviertels wären wieder auf sich gestellt und unreinem Wasser ausgesetzt. Krankheiten konnten sich so leichter verbreiten.
"Und der König? Es gibt einen Grund für sein Misstrauen.""Den gibt es immer. So nichtig er auch erscheinen mag. Aber er liegt auch schon weit in der Vergangenheit. Es geht nicht direkt von König Ricimer aus. Einer seiner Vorgänger hatte wohl Streit mit einem Magier. Er resultierte in einem Gesetz, das die öffentliche Nutzung von Magie und den Einsatz von Magie gegen Nichtmagier verbot. Sein Gesetz führte zu einer Ablehnung der Magier durch das Volk und auch wenn sie nicht aktiv verfolgt wurden, so sind Magier ausgestoßene der Gesellschaft. Wenn sie ihre Kräfte entdecken werden sie aus ihren Familien verstoßen und enden in Armenvierteln - oder wie Faria in der Prostitution. Niemand gibt ihnen Arbeit, wenn es sich herumspricht und sie sind auf sich allein gestellt."
"Das war... lehrreich. Danke." Anavi stand von dem Sofa auf. Ihr Stand hatte sich wieder deutlich gefestigt und sie zitterte nicht mehr. "Ich muss jetzt die Wäsche holen. Wir sehen uns morgen?"
"In aller Frühe.", nickte er knapp und sie beeilte sich den Raum zu verlassen.
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Der verlorene Prinz
FantasyAls Anavi ohne Erinnerung an ihr früheres Leben in der Obhut des Heilers Lorsan erwacht, ahnt sie noch nichts von den Verflechtungen, in die sie geraten ist. Zufälle, die sich häufen. Fremde, die behaupten sie und ihre Vergangenheit zu kennen. Träum...