Rosalie schloss ihren Bericht und setzte sich wieder. Schweigen füllte die Runde, gebrochen von dem grauen Minister, dem der König mit einem Nicken das Wort erteilte: "Wie die Generalin korrekt ausgeführt hat, wird ein solches Pulver mit den genannten Eigenschaften nicht gehandelt. Wie soll der Kronprinz also an das entsprechende Produkt gelangt sein, Prinz Lorsan?"
"Dazu habe ich keine Antwort, Minister. Ich weiß nur, dass es in seinem Besitz war." Er holte den Beutel wieder hervor. "Ihr könnt die Eigenschaften gerne selbst überprüfen."
Eine der Frauen reichte das Pulver weiter. Interessiert sah der Minister hinein, zerrieb ein wenig zwischen den Fingern. "Es ist tatsächlich unsauber verzaubert. Doch es stammt nicht aus Ming. Die Magie unterscheidet sich von der unseren.""Gibt es einen Verdacht, woher das Pulver stammt, Generalin?" Der König wandte den Blick zur Seite.
"Einen Verdacht nicht, dafür eine Vermutung, Majestät. Meine Gespräche mit Meister Gem führten dazu. Die Vermutung, dass einst ein Lehrling in der Produktion der Pulver den Menschenhändlern in die Hände fiel. Vielleicht bot er an, ihnen sein Wissen zugänglich zu machen. Es kann bereits Jahrzehnte her sein, so unterscheidet sich auch die Magie."
"Nun, die Organisation kann auch erst seit Beginn meiner Regentschaft offen agieren." Der König schloss die Augen. "Minister, was ist Eure Meinung dazu?"
"Das ist... durchaus möglich." Der Minister drehte das lange graue Haar zwischen den Fingern. "Gestattet mir die Frage, Lady Afani, woher Ihr um die genaue Wirkung des Pulvers wisst." Sein Blick legte sich misstrauisch auf die Frau. "Habt Ihr es am Ende selbst hergestellt und dem Kronprinzen überlassen?""Bis vor wenigen Wochen wusste Anavi noch nichts von ihrer Begabung.", sprang Lorsan ein und drückte ihre Hand fest. Dass der Minister sich nicht einmal ihren Namen gemerkt hatte... "Geschweige denn dem Pulver in Ming."
Anavi schüttelte schwach den Kopf und sah zu Minister Juls. "Ich kenne die Wirkung des goldenen Pulvers, weil der Prinz es an mir angewendet hat. Er wollte mich..." Sie schüttelte den Kopf. "Er wollte wohl Prinz Lorsan gegen mich aufhetzen, hätte er mich entehrt. Das Pulver hat mich lediglich wehrlos gemacht, wie weder der Kronprinz noch seine Leibwachen es allein mit Körperkraft geschafft hätten. Zuvor hat er mir auch schon etwas in Wein getan. Es lähmte jedoch nur meine Sinne, schneller als der Alkohol allein. Minister, wenn Ihr mir nicht glaubt könnt Ihr andere Frauen befragen. Sie befinden sich noch immer in Mida und wurden aus dem Palast gebracht, nachdem der Prinz mit ihnen fertig war. Prinz Lorsan kann Euch mehr dazu sagen."
"Stimmt. Ich habe allein mehrere Angestellte des Palastes aus seiner Reichweite gebracht, nachdem Prinz Respen das selbe mit ihnen gemacht hat, was er bei Lady Anavi versucht hat." Der Heiler strich mit dem Daumen über ihren Handrücken. Eben hatte sie noch Wut auf den Minister und seine Zweifel verspürt, jetzt wurde die ruhiger. Sie konnte die Erinnerungen an Prinz Respen wieder erfolgreich zurückdrängen."Ich zweifle nicht an den Worten Lady Anavis." Der Mann neben Rosalie erhob die Stimme. "Wir kennen doch alle die Gerüchte über den Kronprinzen Midas. Nach unseren Gesetzen, wäre er längst seiner Stellung enthoben worden, wenn auch nur eines davon wahr ist. Selbst, wenn Mida dann nicht mehr in den Händen der Königsfamilie liegt."
Der König nickte zustimmend und wandte sich an den Minister: "Findet heraus, ob jemand aus der Produktion der Magiepulver verschwunden ist. Geht hundert Jahre zurück, wenn es notwendig ist. Es ist ungewöhnlich, dass erst jetzt jemand davon berichtet darum erwarte ich bald Ergebnisse. Calis, die Organisation soll sich ebenfalls um das Aufspüren dieses Pulvers kümmern. Wenn es aus Warn stammt werden sich Attentäter darum kümmern.""Verstanden, Majestät.", bestätigten beide gleichzeitig. Der Minister erhob sich bereits und eilte aus dem Raum.
"Prinz Lorsan, Lady Anavi. Wir müssen Euch danken. Ohne Euch wäre der Diebstahl unserer Geheimnisse wohl noch immer nicht entdeckt. Doch..." Er sah zur Seite, wo der Minister gerade verschwand. "Generalin Rosalie hat mir noch nicht verraten, aus welchem Grund Ihr Euch in Ming aufhaltet. Erfahre ich es von Euch?"
"Mit weniger Ohren, Majestät. Nicht, dass es ein Misstrauen gegenüber Euren Söhnen ist." Lorsan lächelte. "Nur werden wir nicht mehr lange bleiben und wollen unsere Reise nach Sora fortsetzen. Nicht jeder soll unser Ziel danach kennen.""Sora..." Der König nickte. "An die Arbeit, Calis, Mirs. Ihr habt keine Freizeit." Obwohl er seine Stimme nicht veränderte strahlte er doch plötzlich eine andere Autorität aus. Ohne Einwände verließen die Prinzen die Besprechung.
Und kaum waren sie außer Hörweite atmete Rosalie erleichtert auf. "Danke, Majestät. Es ist schwer genug Vertrauen zu bilden."
Der König machte eine knappe Handbewegung und sogar die Frauen zogen sich zurück, so dass nur noch sie vier zurück blieben. "Nun erzählt. Ich habe lediglich gehört, dass man in Mida schon nach Euch sucht.""Das liegt daran, dass ich den Palast verlassen und meine Stellung als Prinz aufgegeben habe. Prinz Respen sieht nun wohl eine Bedrohung in mir." Lorsan blieb ruhig, während er die Umstände ihres Verschwindens und den Grund ihrer Reise schilderte. Von Anavis Rettung vor Respen bis zum Überfall auf dem Schneefest.
Der König hörte stumm zu, nickte an einigen Stellen und unterbrach nicht.
Erst nach dem Ende schloss er einen Moment die Augen. "Ihr wurdet zwar in die Familie des Königs aufgenommen, doch ich kann auch verstehen, dass Ihr nach Euren Wurzeln sucht. Ich denke sogar, dabei kann ich Euch helfen. Erwartet in einigen Tagen einen Boten. Und für Euch, Lady Anavi, bete ich, dass auch Ihr eines Tages eine Heimat findet."Damit waren sie entlassen und folgten Rosalie stumm aus dem Raum und zurück zum Tor.
"Ich komme bald nach.",versprach die Blonde und lächelte, als Anavi Lorsan in die Kutsche folgte. "Dann... können wir nochmal reden. Und tut mir leid, dass ihr herkommen musstet."
"Schon gut. Aber denkst du, der König kann wirklich helfen?"
"Ich denke schon. Der Kontakt zu Jona ist gut. Vielleicht ist sein Wissen der entscheidende Hinweis." Sie schloss die Tür. "Wir besprechen das zu Hause. Macht euch nicht so viele Gedanken. Beide."
Lorsan brummte etwas unverständliches, da klopfte Rosalie schon gegen die Wand und die Kutsche setzte sich in Bewegung. Der Palast wurde langsam kleiner, doch Anavis Blick galt diesmal nicht der Stadt zu den Seiten. Viel mehr sah sie nirgendwo hin und fragte sich, was der König wissen und ihnen noch nicht sagen konnte.
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Der verlorene Prinz
FantasyAls Anavi ohne Erinnerung an ihr früheres Leben in der Obhut des Heilers Lorsan erwacht, ahnt sie noch nichts von den Verflechtungen, in die sie geraten ist. Zufälle, die sich häufen. Fremde, die behaupten sie und ihre Vergangenheit zu kennen. Träum...