35 - Verzweiflung

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Es war schon dunkel, der Mond schien durch die Vorhänge des Krankenzimmers. Anavi seufzte und wälzte sich wieder auf die andere Seite, starrte in die Dunkelheit.
Sie wollte nicht schlafen, bevor sie nicht sicher war, dass Lorsan unversehrt ist. Dazu hielten sie die Angst vor düsteren Träumen wach. Der Prinz, der sich nahm, was er wollte. Ihre Erinnerungen, die sie schon nach dem Angriff heimsuchten und jetzt...

Genervt setzte sie sich auf. Es brachte nichts, sich die schlimmsten Szenarien auszumalen. Sie musste sehen, dass es Lorsan gut ging. Dass der Prinz seine Pulver nicht an ihm ausprobiert hatte - oder was er auch vor hatte.
Der Heiler hatte gefasst gewirkt, als er das Angebot gemacht hatte, den Handel eingegangen war, für sie.

Hellwach stand sie auf und tapste auf leisen Sohlen über den kalten Boden, durch das Arbeitszimmer auf den Gang. So oft hatte sie den Flügel sauber gemacht, sie kannte jede Unebenheit und wusste, wie viele Schritte sie zum privaten Zimmer des Heilers zurücklegen musste. Auch dort fand sie problemlos die Tür und betrat den Raum.

Der Fliederduft hüllte sie ein. Er war zwar schon stark abgeschwächt, doch unverkennbar. Und er beruhigte sie auf dem Weg zum Bett des Heilers. Anavi setzte sich auf die Kante und beobachtete in der Dunkelheit die Tür. Die Vorhänge waren bereits wieder zugezogen und sperrten das Licht des Mondes aus.
Sie seufzte leise und ließ sich zur Seite fallen. Sie wollte unbedingt vermeiden einzuschlafen, doch der Duft, der gerade im Bett noch stärker war ließ sie gähnen. Langsam schloss sie die Augen und fühlte die Ruhe. Ihre Gedanken, Sorgen und Ängste rückten in den Hintergrund und sie schlief ein.

Fluchen weckte sie. Es war nur kurz, aber sie wachte auf und sah wieder auf die Tür, die gerade nicht leise geschlossen wurde.
"Strohkopf... Wahnsinniger... Ekel..." Lorsan beleidigte klar den Prinzen, ungehört von ihm. "Vergreift sich einfach wieder an Frauen..."
Sie hörte, wie etwas auf eine Oberfläche aus Holz gestellt wurde. Es klang hoch, nach Glas. War es vielleicht...

"Lorsan?" Sie richtete sich auf und sprang aus dem Bett. Sofort lief sie zu ihm und fiel ihm um den Hals. "Du bist zurück. Ich hatte solche Angst."
"Anavi?" Er stockte. "Bin ich falsch? Ich wollte dich nicht wecken."
"Es ist schon dein Zimmer. Ich wollte auf dich warten und bin wohl... eingeschlafen." Sie sprach nur leise. Lauter, und sie hätte die neuerlichen Tränen verraten.

"Du... du solltest gehen." Der Heiler schob sie von sich. "Ich besuche dich morgen und..."
"Ich bin nicht verletzt. Dieses Mittel ist ein Pulver. Er hat es mir auf die Arme gestrichen. Es lähmt. Und er hat noch eines. Das verstärkt Berührungen. Und..."
"Schon gut." Der Heiler seufzte. "Ich höre es mir morgen an. Aber es ist trotzdem nicht gut, wenn du hier bist."

"Du willst dich betrinken." Sie griff in die Dunkelheit und spürte das kalte Glas der Weinflaschen. Und auch, dass er unter ihrer Umarmung gezuckt hatte. "Was hat er getan, dass du zum Alkohol greifst, um es zu vergessen?"
"Das ist meine Sache, Anavi. Ich nehme es freiwillig auf mich um andere zu schützen."
"Andere... Du hast das schon öfter gemacht." Anavi warf eine der Flasche von der Ablage. Ein lautes Klirren hallte durch den Raum und Scherben schnitten in ihre nackten Füße. "So edel es ist, das ist doch niemals der richtige Weg."

"Es gibt aber keinen anderen." Lorsan zog ihre Hand weg von den Flaschen. "Nicht für mich, ja? Lieber quält Respen mich, als Unschuldige. Selbst ihm macht das mehr... Spaß."
"Du sagtest, du sprichst mit denen, die hierher kommen, wenn er sie gehen lässt. Dann sprich du auch mit jemandem."
"Und mit wem?" Er lachte. "Die Königin kann ihn nur zurecht weisen, es verändert sich aber nichts. Der König lacht mich aus und stellt sich auf seine Seite. Vielleicht bestraft er mich noch, weil ich ihn anlüge. Maia droht ihm Vergeltung an, bringt damit aber nur sich selbst in Gefahr. Ich kann mit niemandem reden, weil es niemand versteht. Ich..."
"Du kannst dich trotzdem nicht betrinken." Sie griff wieder nach den Flaschen und die zweite fiel. Irgendwo rief ungehalten Feder. "Du bist Heiler und solltest einen Weg finden. Rede mit mir!" Tränen brannten in ihren Augen. Sie wollte ihm helfen, aber wenn er es nicht zuließ...

"Es würde dich belasten. Mehr als mich, weil du weißt, dass du mir nicht helfen kannst." Er nahm sie an den Schultern. "Du würdest meine Stelle dabei einnehmen wollen und mein Opfer wäre umsonst gewesen. Der Alkohol hilft mir, das zu ertragen."
"Du belügst dich selbst." Die dritte Flasche gesellte sich zu den anderen. "Es gibt sicher einen anderen Weg. Den muss es geben."

Lorsan schwieg. Lange.
Anavi wollte es schon aufgeben und an ihm vorbeigehen, als er sie aufhielt. "Würdest du bleiben?", fragte er leise. "Ich werde dir nichts erzählen. Ich möchte dich nur in meiner Nähe wissen."
"Ich bleibe." Schnell wischte sie ihre Tränen weg.
"Danke." Der Heiler führte sie zurück zum Bett und sie kletterte hinein. Er folgte ihr kurz danach. "Darf ich dich festhalten? Ich will nur nicht, dass du plötzlich verschwindest."

"Darfst du." Anavi lächelte, als er die Arme um sie schloss und an sich zog. Es dauerte nicht lang und sie hörte ihn ruhig neben sich atmen. Erst dann folgte sie ihm in den Schlaf.

Der verlorene PrinzWo Geschichten leben. Entdecke jetzt