24 - Vorbereitung

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Nervös, noch mehr als bei der Anprobe oder dem Angriff auf die Menschenfänger, stand Anavi vor dem Spiegel in ihrem gemeinsamen Zimmer und sah sich an. Das Kleid sah immer noch umwerfend an ihr aus, aber es zeigte auch noch zu viel.
Der gesamte Hof würde sie so sehen, ihre Fehler und ihre Unfähigkeit zu tanzen. Stumm betete sie, dass Lorsan sein Versprechen halten und sie nicht zum Tanz zwingen würde. 

"Ich... kann das nicht." Ihre Stimme war rau. Die ganze Zeit hatte sie schon Durst. Die Nervosität verdrängte ihre Freude fast vollständig. Und dann musste sie noch ständig an den merkwürdigen Traum denken. "Das ist viel zu auffällig. Mich wird jeder anstarren."

"Du kannst das, Anavi. Ihr müsst nur auftauchen, die Königin muss euch sehen und dann kannst du wieder verschwinden." Maia zupfte noch am Rock und sah nicht hoch, während sie sprach. 
"Warum ist der Königin Lorsan Erscheinen denn so wichtig? Er ist doch ein Heiler und nicht der Prinz."
"Mag sein. Aber Lorsan darf in diesem Palast leben, arbeiten und von hier aus den Menschen helfen, weil sie ihn hier aufgenommen hat. Er verdankt es ihrem Schutz, dass er noch nicht vor die Tür gesetzt wurde." Die Ältere kicherte. "Alles weitere soll er dir erklären. Das ist nicht in meinem Aufgabenbereich."

Anavi nickte und griff nach der kleine Schmuckkiste, die der Heiler ihr am Abend zuvor zugesteckt hatte. Sie hoffte, dass er die feinen Goldketten und funkelnden Edelsteine nicht für sie gekauft hatte. Sie wagte es nicht mal eines der Schmuckstücke zu berühren, aus Angst es zu beschädigen. Geschweige denn, dass sie sie tragen wollte. Was, wenn sie eines davon verlor? Ihr Lohn würde in hundert Jahren nicht reichen, um es zu ersetzen.

Es klopfte, als sie die Schatulle wieder schloss und wie automatisch bat sie herein. 
"Anavi! Anavi?" Anmelie stand in der Tür, starrte sie an. "Verzeihung bitte. Ich suche nach..."
"Lass den Unsinn. Du wolltest doch unbedingt kommen." Anavi trat auf sie zu und nahm ihre Hände, die sie schnell vor der Schürze der Dienstkleidung gefaltet hatte. "Schau nicht so. Morgen ist der Spuk wieder vorbei."
"Ich habe dich erst nicht erkannt." Die Blonde lachte und musterte ihre Freundin nun genauer. "Das ist wirklich ein unglaubliches... Kleid? Nur etwas freizügig. Das soll soranische Kleidung sein?"

"Lass dass nicht den Schneider hören. Aber ich finde auch, dass es viel Haut zeigt." Ihrer Freundin zuliebe drehte sie sich einmal. "Es soll eine traditionelle soranische Abendtracht sein. Mit Anpassungen, für fremde Augen."
"Sei aber vorsichtig, dass dich keiner der Gäste allein erwischt." Maia mischte sich in die Unterhaltung ein und zupfte sofort wieder am Rock, obwohl er keine Falten warf, die nicht sein sollen. "Und halte dich fern von Prinz Respen, Kindchen. Lorsans Gerüchte passen mehr auf ihn."

"Ach was. So schlimm ist er nicht." Verträumt seufzend wanderte Anmelies Blick in die Ferne. "Ich bin ihm auf den Gängen begegnet. Er hat mich gegrüßt und sein Lächeln, hätte die Sonne vor Neid erblassen lassen."    
"Leider kennst du ihn nicht näher. Oder länger." Maia schüttelte den Kopf. "Davon abgesehen, sind nur die Zwillinge gefährlicher als er. Wer ihren Verdacht auf sich zieht, der verschwindet. Von einem auf den anderen Tag." Sie schnipste mit den Fingern. "Einfach weg. Nie mehr gesehen."  

"Oh." Jetzt betet Anavi, dass sie den beiden Frauen nicht begegnete. "Du... willst mich hoffentlich nicht mit Gruselgeschichten beruhigen?"
Maia sah sie einen Moment an, dann lächelte sie. "Nur sichergehen, dass du in Lorsans Nähe bleibst. Wo steckt der eigentlich? Er muss sich doch noch um deine Haare kümmern."  Sie schüttelte den Kopf. " Ich werd' ihn mal suchen. Ihr beide wartet hier, ja?"

"Unglaublich, dass du auf den Ball darfst." Nachdem Maia gegangen war ließ Anmelie sich auf das freie Bett fallen. "Ich habe zwar jetzt frei, aber ich darf mich nicht reinschleichen. Dabei möchte ich so gerne mal diese prächtigen Kleider sehen."
"Na komm, Lorsan hat gesagt, dass nächste Mal nimmt er dich mit."
"Ich will einfach nur da sein. Ich würde sogar die Getränke servieren." Die Blonde schien sie völlig ausgeblendet zu haben, sah aber trotzdem kurz zu Anavi. "Du erzählst mir alles, ja? Lass nichts aus."
"Keine Sekunde. Und vielleicht hast du Glück und darfst beim nächsten Fest doch servieren." Anmelie lachte noch, als Anavi bereits aufhorchte. Schnelle Schritte waren vom Gang zu hören und kurz darauf auf Maias Stimme, die dem Heiler vorwarf, alles auf die letzte Sekunde zu erledigen. Und sein Lachen war auch hören, kurz bevor er zwar klopfte, die Rothaarige aber ohne zu zögern die Tür aufriss.

"Husch husch." Sie scheuchte den Heiler, der in eleganter schwarzer Kleidung mit goldenen Stickereien auftrat, in den Raum. "Wir sind noch nicht fertig."
"Ja. Du kannst später weiter mit mir schimpfen." Lorsan sah zu Anavi und lächelte kurz. "Zauberhaft, meine Schöne. Aber... da fehlt etwas."
"Nach Chevez eine passende Frisur." Sie wich seinem Blick schnell aus.
"Und Schmuck. Gefällt dir meine Auswahl etwa nicht?"

Schnell schüttelte sie den Kopf und sah zur Schatulle. "Es sieht nur so wertvoll aus und ich will nichts kaputt machen. Oder verlieren. Das könnte ich nie ersetzen."
"Wenn es wertvoll aussieht genügt das." Er trat an ihr vorbei und öffnete das Kästchen. Eine der Goldketten heilt er ihr hin. "Das ist billiges Katzengold. Sieht echt aus, ist aber nichts wert. Und das..." er schnippte gegen einen der orangefarbenen Kristalle. "Ist Glas. Ich kennen eine guten Fälscher aus Ming, der mir die angefertigt hat. Er lebt in der Stadt, aber ich konnte dich schlecht mitnehmen."
"Alles falsch?" Anmelie trat neben Anavi und betrachtete den Stein mit großen Augen und sah dann zu Lorsan. "Dann ist das wirklich gut gemacht."

"Und du bist?"
"Anmelie." Die Blonde knickste höflich. "Anavis Freundin, die auch gerne gehen würde."

"Dann danke, Anmelie. Also, darf ich dir helfen?" Falscher Schmuck? Neugierig nahm sie ihm die Kette und den Stein aus der Hand und hielt ihn gegen das Licht des Abends, das durch die Fenster hereinfiel. Sie kannte zwar keinen Vergleich, doch der Stein sah weiterhin zu echt aus.
"Anavi." Der Heiler nahm ihr die Kette wieder ab und legte sie um ihren Hals. Kühl lag das falsche Gold auf ihrer Haut. "Wir werden erwartet. Und sollten fertig werden."

"Du bist fertig.", erinnerte sie, seufzte und gab ihren Widerstand gegen den Schmuck auf.
Zufrieden nahm er ein weiteres Kettchen und brachte es am Oberteil des Kleides an. Dort waren kleine Schlaufen angebracht, in die sich die filigranen Glieder leicht führen ließen. Das Herzstück bildete eine weitere, etwas festere Kette mit Edelstein, die am unteren Rand des Oberteils angebracht wurde und den Stein genau über ihren Bauchnabel hielt.

"Jetzt bin ich noch nervöser als vorher.", sagte sie leise und stupste den Stein an. Eine lockere Verankerung mit dem Rock minimierte seine Bewegungen.
"Schon gut. Wir bleiben nicht lange." Lorsan band ihr Haar gerade zu mehreren Flechtzöpfen, die sich an ihrem Hinterkopf verbanden und wie ein Netz über die verbliebenen offenen Haare legten. Sie konnte währenddessen nur ihr Spiegelbild anstarren.

"Du kannst das, Anavi." Anmelie sprach ihr Mut zu und lachte sie freundlich an. "Du musst mir doch alles über das Fest erzählen."
"Stimmt. Das hatte ich versprochen." Anavi drückte die Hand ihrer Freundin und sah, dass Lorsan zufrieden zurücktrat. "Fertig?"

"Fertig. Zauberhaft. Verzeihung, mir fehlen gerade die Worte." Er reichte ihr die Hand. "Darf ich bitten, Mylady?"

Der verlorene PrinzWo Geschichten leben. Entdecke jetzt