Niemand bemerkte, als der Verfolger auf den Hof ritt. Es herrschte geschäftiges Treiben, da dieser Innenhof für viele Zwecke genutzt wurde. An einer Seite übten sich die Soldaten im Kampf, an der anderen waren Zielscheiben für die Bogenschützen aufgebaut. Ganz am Rand lag ein kleiner Weg, der zu den Ställen und Koppeln führte. Für die Tiere des Palasts dessen Verzierungen selbst von weitem golden im Licht der Sonne strahlten, so erschien es dem Reiter zuweilen, sorgte man besser als seine menschlichen Bewohner.
Ein Stallbursche und zwei Soldaten kamen ihm entgegen. Zufällig, zumindest für unbeteiligte Zuschauer. Niemand erwartete, dass seine Botschaften Gehör fanden. Oder, dass ihn jemand erwartete.
Es war auch nicht im Interesse des Reiters, dass man anders dachte. Er hatte sich an die Ablehnung gewöhnt - und sie in gewissem Maße verstärkt.
"Ihr wart lange weg." Der Stallbursche griff die Zügel des Schwarzen, während die beiden Soldaten sich aufteilten. Einer zog den Menschenfänger von der Stute, der andere nahm die junge Frau entgegen, damit der Reiter absteigen konnte.
"Ja. Ich habe mich etwas... treiben lassen." Der Reiter sah zu Bak und dem Soldaten. "Sperrt ihn ein, ja? Das ist der letzte vom östlichen Markt. Ein Gericht soll sich demnächst um ihn kümmern."
Der Soldat verneigte sich stumm vor ihm, dann schubste er den Händler von den Pferden weg über den Innenhof zu einem anderen Teil des Palastes.
Der Reiter wandte sich nun an den Stalljungen, der bereits die Stute vom Sattel losband und vorsichtig streichelte. "Bring die Pferde in die Ställe und füttere sie. Die Stute kannst du neben Donner stellen. Sie scheinen sich zu mögen.""Und sie?" Der verbliebene Soldat wartete mit seiner Frage, bis der Junge außer Hörweite war. "Wer ist sie?"
"Ich weiß es nicht." Der Reiter fuhr sich mit dem Finger durch das dichte, schwarze Haar, dann löste er den Zopf, den er immer zum Reiten trug. Er hielt ihm das schulterlange Haar aus dem Gesicht. "Sie lag am Fluss auf der Westseite. Vermutlich verletzt, aber so kann ich sie nicht untersuchen." Er streckte die Arme aus und nahm sie wieder an sich. "Sei so gut und schick nach Maia. Sie soll in mein Behandlungszimmer kommen. Und berichte ihr, was sie erwartet, damit sie nichts vergisst."
"In Ordnung." Auch dieser Soldat verneigte sich und verließ den Reiter, der die noch immer schlafende Frau auf einen Nebeneingang des Palastes zutrug und das Gebäude von dort betrat. Es war ein privater Eingang, nicht für Gäste zugänglich oder repräsentativ für die anderen Teile des Gebäudes.Selbst die Unterkünfte der Bediensteten waren freundlicher gestaltet als dieser Gang. Dunkel vertäfelte Wände und kleine Fenster, durch die nur wenig Licht ins Innere fiel. Doch der Reiter kannte diesen Ort. Er war schon oft den dunklen Nebengang entlanggewandert, hatte Geheimtüren gesucht und gefunden. Es war ein wenig genutzter Gang, der wie zufällig genau an seine Gemächer anschloss. Um genau zu sein an einen Raum, den er kurzerhand umfunktioniert hatte. Früher war es ein zusätzlicher Empfangssalon, den er mit kleineren Betten, Tischen und nur einem großen Schrank verändert hatte. Sein privates Behandlungs- und Krankenzimmer.
Zu diesem schob er nun vorsichtig die Tür auf, darauf bedacht die Frau nicht zu verletzen noch bevor er sie untersucht hatte. Er vermied es tunlichst Unschuldige zu verletzen. Noch mehr widerte ihn der Tod an. Absichtlich oder nicht. Kein Mensch sollte gewaltsam sein Ende finden.
Seine Gedanken konzentrierten sich wieder, als die Frau sich plötzlich in seinen Armen regte, gerade als er an einem der Krankenbetten angekommen war. Er war nur ein kurzes Zucken ihrer Lider, ein Krampf ihrer Finger, als sie sich zu einer Faust schlossen.
Noch immer auf äußerste Vorsicht bedacht legte er sie auf das mit weißen Laken bezogenen Bett und strich ihr das zerzauste Haar von der Stirn. Dabei prüfte er gleich ihre Temperatur. Während des Ritts hatte se manchmal gezittert. Und da er nicht wusste was passiert war, warum oder wie lange sie im Wasser lag, befürchtete er Fieber.
Nur um sicherzugehen, dass sie sich trotzdem erholte fühle er zuerst ein weiteres Mal ihren Puls, dann zog er ihr Auge auf, um die Lichtreflexe zu testen.
Abschließend tastete er vorsichtig ihren Körper ab, suchte nach gebrochenen Knochen und Prellungen, die ihr Schmerzen bereiten konnten.
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Der verlorene Prinz
FantasyAls Anavi ohne Erinnerung an ihr früheres Leben in der Obhut des Heilers Lorsan erwacht, ahnt sie noch nichts von den Verflechtungen, in die sie geraten ist. Zufälle, die sich häufen. Fremde, die behaupten sie und ihre Vergangenheit zu kennen. Träum...