46 - Herkunft

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"Endlich schlafen." Anavi ließ sich in das weiche Bett des Gasthauses fallen, als vor dem kleinen Fenster bereits die Sterne glitzerten. "Endlich wieder ein Bett."
"Genieße es. Aber noch musst du wach bleiben." Lorsan ließ sich auf sein Bett sinken und sah zur Tür. "Da ich deine Unterlagen ausgefüllt habe, wird noch jemand herkommen und sich mit dir unterhalten. Die Brücke wurde jetzt geschlossen wurde, also sollte es nicht mehr lange dauern."
"Worüber unterhalten?" Missmutig setzte sie sich wieder auf. "Denken die Wachen etwa ich wurde entführt?"
"Entführung, Sklaverei. Die Vermutung besteht immer, wenn jemand die Unterlagen nicht selbst ausfüllt. Aber mach dir keine Sorgen. Du musst nur ehrlich bleiben... und die Sache mit dem Prinzen auslassen."

Sie nickte, da klopfte es schon an der Tür und der Heiler zog sie auf. Davor erschien ein Mann in Rüstung. Das Wappen eines Drachen prangte auf seiner Brust. "Lady Anavi?" Sein Blick fand sie sofort. "Ich gehöre zur Grenzwache und muss Ihnen noch ein paar Fragen stellen. Würden Sie mich bitte begleiten?"
"Natürlich." Sie stand auf und unterdrückte ein Gähnen. Das konnte im schlimmsten Fall die ganze Nacht dauern. "Du musst nicht warten. Ich finde den Rückweg schon." Anavi lächelte den Mann an und folgte ihm durch die Tür. Lorsan schloss sie hinter ihnen.

"Gibt es Probleme?", fragte sie unschuldig. Ob der Mann wissen durfte, dass sie den Grund des Gesprächs bereits kannte?
"Das wird sich zeigen." Er öffnete die Tür zu einem Raum, zwei Zimmer weiter und ließ ihr den Vortritt. Das Zimmer war nur spärlich eingerichtet. Gerade ein Tisch und zwei Stühle standen in der Mitte. Auf dem Tisch lagen noch einige Papiere. "Bitte, setzen Sie sich." Der Soldat deutete auf einen der Stühle und besetzte selbst den anderen, genau gegenüber.

"Nun gut, Lady Anavi. Ich habe einige Fragen zu ihrer Beziehung mit ihrem Begleiter." Die Schreibfeder gezückt sah er sie an. "Wie stehen Sie zueinander?"
"Ich... arbeite für ihn. Wäsche, Haushalt, kochen kann er selbst."
"Er bezahlt sie?"
"Natürlich." Das meinte er wohl mit seiner Vermutung. "Ich erhalte einen regelmäßigen Lohn. Nun, zumindest bis wir aufgebrochen sind. Aber ich habe selbst mein Erspartes bei mir."
"Hm." Er schrieb etwas auf. Auch wenn seine Schrift undeutlich ist, konnte sie ihre eigene Aussage erkennen. "Und woher stammen Sie beide?"
"Ich komme aus Warn - vermutlich. Ich habe leider mein Gedächtnis verloren und kann mich an nichts erinnern, bevor Lorsan mich gefunden hat. Lorsan vermutet, dass er aus Jona stammt, doch er wurde schon als Kleinkind in Mida ausgesetzt."

Wieder schrieb der Mann ihre Worte auf und nickte. "In Ordnung. Ihr Begleiter. Als was hat er in Mida gearbeitet?"
"Er ist Heiler und hat im Palast gearbeitet." Sie lächelte und sah verträumt in die Ferne. "Aber er war auch oft im Armenviertel und hat dort seine Hilfe angeboten. Die Menschen dort konnten sich glücklich schätzen, ihn zu haben."
"Und warum hat er diese Stellung aufgegeben?"
"Er... hat einen Hinweis auf seine Familie bekommen und möchte sie suchen. Seine Schwester lebt in Ming, da ist dieses Land unser erstes Ziel."

"Hm." Wieder schrieb er ihre Worte auf. "Hat diese Schwester auch einen Namen?"
"Er nannte sie Rosa, aber ich kenne sie leider nicht. Na, sie ist auch nicht wirklich seine Schwester. Für ihn fühlt es sich nur so an, weil sie von der gleichen Frau großgezogen wurden."
"Nun gut. Lady Anavi." Er klopfte sich mit zwei Fingern an die linke Brust. "Vergessen Sie nicht das Abzeichen zu tragen, das sie als Fremdländische zeichnet. Im Übrigen klingen ihre Ausführungen schlüssig. Verstehen sie bitte, dass Verbrechen in diesem Land nicht geduldet werden und wir daher die Angaben ihres Begleiters prüfen mussten. Sie hätten entführt oder versklavt sein können."
"Ich verstehe. Und das Abzeichen hatte ich vorher abgemacht, weil ich schlafen wollte. Ich werde es nicht wieder vergessen." Sie nickte und er entließ sie mit einem Nachtgruß.

Nervös verließ sie das Zimmer und ging die beiden Türen zurück. Sie hoffte, dass wirklich alles in Ordnung war. Tief atmete sie ein und aus, bevor sie die Tür öffnete und ins Zimmer trat.
"Schon wieder?" Eilig schloss sie die Augen, bevor sie zu viel von dem nackten Heiler sah. Im Moment fand sie sich überraschend ruhig.

"Das lässt sie erklären." Sie hörte seine Schritte, dann nahm er sie am Arm und zog sie ins Zimmer. Die Tür fiel ins Schloss.
"Ich werde schreien.", drohte sie, während er sie durch den Raum bewegte. "Irgendjemand wird mich schon hören."
"Keine Sorge, ich schreie lauter." Eine andere Tür öffnete sich. "Sei so gut und rette mich hier, ja?", flüsterte er und ließ sie wieder los. "Und ich stehe hinter dir, also siehst du nichts."

Anavi seufzte und öffnete wieder die Augen. In dem kleinen Bad, das zu ihrem Zimmer gehörte saßen zwei Damen. Leicht bekleidet und mit einem überraschten Blick. Lorsans Kleidung befand sich auch dort. Unter einer Frau. "Was wird das?"
"Gute Frage. Da unten hat wohl jemand die Zimmer verwechselt und jetzt wollen sie nicht mehr gehen."
"Natürlich nicht." Die Ältere der beide stand auf und trat auf Anavi zu. "Wir werden noch bezahlt, für unsere Leistung." Sie legte ein verdächtig verführerisches Lächeln auf. "Der junge Herr dort hatte doch auch Spaß, nicht?"

"Zu eurem Pech weiß ich, dass sich mein Mann nicht mit leichten Damen wie euch einlassen würde." Anavi verschränkte die Arme. "Und wenn ihr irgendetwas behauptet wird es euch Leid tun. Er würde mich nie betrügen. Nicht wahr, Liebling?"
"Niemals."
"Ach, und darum hattest du gerade die Augen zu, Kleines?" Die Frau stieß sie mit dem Finger an.
"Ich wollte nur keine nackten Frauen sehen. Das ist alles." Sie schnaubte. "Ich weiß, dass es bestimmt jemanden gibt, der gerade auf euren Besuch wartet, aber wir sind es nicht." Sie schob den Heiler nach hinten und machte die Tür frei. "Fragt unten, wo ihr hinsolltet. Hier seid ihr nicht erwünscht."
"Pah. Ziege. Komm, wir gehen." Die Frauen stolzierten vorbei und verschwanden aus dem Zimmer.

"Danke. Ich schulde dir etwas." Lorsan schob sich an ihr vorbei ins Bad und schloss die Tür wieder.
"Sollte ich die Hintergründe kennen? Wie konnte das passieren, dass sie dich so überraschen?"
"Ein unglücklicher Zufall. Ich warne dich aber gleich, dass das öfter passieren kann."
"Öfter?" Wieso sollten sich leichte Mädchen öfter zu ihm verirren? Hatten die Götter es auf ihn abgesehen?
"Ja, öfter. Wie denkst du, habe ich Faria kennengelernt?"
"Sie hat dich im Bad überrascht?"
"Nicht ganz. Eigentlich ist es lustig. Ich habe Kontakt zur Organisation aufgenommen, weil ich ein Versteck der Menschenhändler gefunden hatte. Am nächsten Tag stand Faria in meinem Zimmer. Ich kam gerade aus dem Bad und wollte mich anziehen."
"Du armer Mann. Kannst dich nicht retten." Sie schüttelte den Kopf. War sie immer noch in ihn verliebt? Sollte das nicht gerade abkühlen?

"Nur vor denen, die mich nicht kennen." Die Tür ging wieder auf und der Heiler umarmte sie. "Wenn ich das wieder gut machen kann, sag Bescheid. Aber keine Fragen zu Respen und Adi."
"Lass mich einfach schlafen. Mehr brauche ich nicht."

Der verlorene PrinzWo Geschichten leben. Entdecke jetzt