67 - Der Magieladen

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Die Geschäfte zogen an der Kutsche vorbei, Anavi nahm sie jedoch nicht richtig wahr. Lorsan dominierte ihre Gedanken. Seine Worte am Morgen, als er von Rosalies plötzlichem Auftauchen nicht überrascht schien und ihr einfach gesagt hatte, was sie in der Nacht getrieben hatten. Das einzige Mal, darum hatte sie ihn in der Nacht gebeten. Nur hing sie an dem Heiler und würde sich sicher keinen anderen Mann suchen, wenn er sie irgendwann wegschicken würde.
Stumm lugte sie zur anderen Seite, wo Rosalie den Kopf an die Wand der geschlossenen Kutsche gelehnt und die Augen geschlossen hatte.
"Lorsan?" Der Heiler reagierte mit einem kurzen Seitenblick, ein Zeichen, dass er ihr zuhörte. "Weißt du ob ich... ob das... gestern..." Nervös biss sie sich auf die Lippe. Sie wollte nicht darüber reden, aber Ruhe ließ es ihr auch nicht. "War ich... Wie soll ich das sagen?"
"Du willst wissen, ob du Jungfrau warst.", fasste er ihre Frage auf, worauf sie den Blick senkte. Rosalie schien tatsächlich eingeschlafen zu sein, sonst hätte sie längst etwas gesagt. Anavi nickte und spähte zu Lorsan. Es genügte ihr schon, seine Reaktion zu sehen. 
Er schloss einen Moment die Augen, als denke er nach, doch seine Hand suchte fast schützend nach ihr. "Das ist nicht so einfach zu sagen, aber ich denke, dass es nicht das erste Mal war."

Sie lenkte ihren Blick wieder nach draußen. War das Einbildung, oder wurde die Kutsche langsamer? "Da war kein Blut..." Sie hatte extra nachgesehen, als er sich beim Anziehen kurz weggedreht hatte. "Vielleicht ist es doch so einfach."
"Das ist ein Gerücht. Es gibt kein Blut." Er schüttelte den Kopf, als sie überrascht den Kopf wandte. "Das passiert höchstens, wenn jemand unvorsichtig ist. Oder gewalttätig. Oder wenn du dir in den Finger stichst, damit es echt aussieht. Aber die Leute finden die Geschichte schön, dass man es daran erkennen kann." Er verschränkte die Arme. "Und man kann den Frauen in aller Ruhe ein schlechtes Gewissen einreden. Dass es bereits in der ersten Nacht auffällt, wenn sie nicht unschuldig sind. Wenn du wüsstest, wie viele sich schon zu mir geflüchtet haben, nachdem Respen sie nicht mehr wollte und verzweifelt ein Wundermittel gesucht haben, weil sie doch eigentlich in ein paar Tagen heiraten wollten."
"Gibt es denn eines? Ein Mittel, meine ich?"
Es war nicht Lorsan, der antwortete: "Nein." Dabei setzte Rosalie sich auf und grinste. "Stich dir in den Finger, ein Tropfen sollte ausreichen. Außer, du kennst einen Heilmagier, der sogar das reparieren kann. Aber das ist deine Sache. Wir sollten jetzt da sein." Prüfend sah sie aus dem Fenster. 

"Ich dachte wir wollten zurück zum Anwesen?" Lorsan folgte ihrem blick und hob fragend eine Augenbraue. "Ein Laden für Magier?"
"Von Magiern. Für den Alltagsgebrauch. Und Heilmittel hat er auch." Sie pustete sich eine verirrte Strähne aus dem Gesicht. "Eigentlich wollte ich dich erst in den nächsten Tagen mal herbringen, aber da sich das Thema Generalin Rosalies freie Tage in Luft aufgelöst hat, müssen wir das vorziehen. Kommt, das wird sicher l... lehrreich." Sie stieß die Tür auf und sprang aus dem Wagen. 
"Gut gerettet.", murmelte Lorsan und folgte ihr langsam. Anavi zögerte noch. Was wollten sie in einem Laden für Magie? Einfach in der Kutsche konnte sie aber auch nicht bleiben. Lorsan reichte ihr sogar die Hand, um beim Ausstieg zu helfen.

Der Laden zeigte bereits in einer breiten Fensterfront einige Kräuter, leuchtende Steine und Werkzeuge.
Im Inneren waren lange Regale und Tische aufgestellt. Glasbehälter, Alltagsgegenstände und sogar Kleidung füllte sämtliche Ausstellungsflächen. Die Luft schien sogar vor Energie zu knistern.
"Sehr... voll, um ehrlich zu sein." Sie griff nach Lorsans Hand, als die an einem goldenen Helm vorbeigingen. Das Visier war eine Maske, ihre Augen schimmerten rot. "Und unheimlich."
"Schon." Der Heiler drückte ihre Hand. "Aber auch faszinierend. Dass Magie in so vielen Bereichen eingesetzt werden kann... Wenn Mida Magier offiziell anerkennen würde, gäbe es sicher großen Fortschritt."

"Du meinst wohl, wenn deine Schwester Königin wird." Rosalie grinste. "Das wird eine meiner ersten Entscheidungen. Nachdem ich Respen und Ricimer rausgeworfen habe."
"Deine Entscheidung steht also? Du nimmst Farias Hilfe an?"
"Sicher. Vorher hat mich ein Bote der Organisation abgefangen und... Sieh mal! Das sind Leuchtsteine. Magische Steine, die Licht abgeben. Eigentlich sind alle Zimmer im Anwesen damit ausgestattet, aber weil ihr aus Mida kommt hätte es euch erschreckt." Sie nahm einen Faustgroßen Stein aus einem Regal und hielt ihn hin. Im Zwielicht des überfüllten Ladens konnte man das grüne Licht gut erkennen. "Ich empfehle euch, welche nach Jona mitzunehmen. Die Einfuhr fur den Privatgebrauch ist erlaubt."
"Und wie lange hält die Magie?" Lorsan ließ sich den Stein in die Hand legen, drehte ihn sogar prüfend.
"Etwa drei Jahre. Es gibt auch spezielle Laternen, mit denen sich das Licht regeln lässt. Nach den drei Jahren muss der Stein ausgetauscht werden. Aber in Jona gibt es auch die entsprechenden Händler. Ah, und den empfehle ich auch. Wärmesteine, weil ihr zwar zum Winterende nach Jona wollt, aber kalt kann es Nachts trotzdem werden. Und hier noch ein großes Zelt..."

Begeistert zählte Rosalie noch mehr praktische Reiseutensilien und ihre Funktionen auf, während Anavis Blick über die restliche Ware streifte. Die Magie in der Luft schien sich irgendwo zu konzentrieren. Sie glaubte sogar ein leises Flüstern zu hören, außer Lorsan und Rosalie war jedoch kein weiterer Kunde oder gar Händler zu sehen.
Sie merkte nicht, wie sich ihr Griff zu dem Heiler löste und sie dem Flüstern folgte. Vorbei an Regalen, die sie nicht richtig wahrnahm, an Tischen, die sie nur streifte und ihre Finger über die Waren streichen ließ.
Der Laden erschien ihr auch viel größer, als das Haus gewirkt hatte. Die Decke war höher, die Wände weiter entfernt. Vielleicht lag es an ihrer eigenen Magie, dass etwas nach ihr griff. Sie führte. Oder etwa die neue, magische Umgebung?

Ihr Blick richtete sich auf ein Regal. Kleine, nur fingergroße Götterstatuen waren aufgereiht. Alle schimmerten in blauem Kristall. Eine schien noch dazu zu leuchten und Anavi streckte ihre Hand danach aus...

Der verlorene PrinzWo Geschichten leben. Entdecke jetzt