Der Flieder verfolgte Anavi, als sie wach wurde. In ihrer Hand hielt sie noch die Blüten. Frisch und duftend.
"Flieder...", murmelte sie und strich über Lorsans Arm, der um ihren Bauch geschlungen war. Ihre Erinnerung an den Tag kehrten zurück. Der Versuch des Prinzen. Seine Worte. Seine Augen.
Sie strich mit dem Daumen vorsichtig über den Flieder. Was hatte die Frau gesagt? Die Silhouette? Viele sind stärker? Er sucht nach seinem Flieder?
Es war Lorsans Duft, warum sollte es also nicht um ihn gehen? Aber... warum sollte er an diesen fremden Ort gehen? Kam er auch dorthin, wenn er träumte?"Wach?", fragte er leise und vergrub im Halbschlaf das Gesicht in ihrem Haar. "Noch nicht ganz..."
Anavi kicherte und stupste ihn vorsichtig an. Was auch immer geschieht, in seiner Nähe fühlte sie sich sicher. Ihre Vergangenheit und der Prinz konnten ihr nichts tun.
"Zu früh, Adi..." Er sprach undeutlich, aber das war nicht ihr Name."Adi?" Ihre Neugier war geweckt und sie drehte sich in seiner Umarmung um. "Wer ist Adi?"
"Hm?" Seine Augen öffneten sich, als sie sich umdrehte und ihre Haare aus seiner Reichweite zog. Ein tiefes Grün, wie das der Fliederblätter, sah ihr entgegen. "Oh, niemand wichtiges."
Der Heiler setzte sich auf. "Möchtest du über etwas reden? Über gestern?" Er sah zu den Fenstern. Das Licht war schon sehr hell, trotz der Vorhänge. "Schon wieder so spät? Wenn das so weitergeht, wird mein Lohn gekürzt." Er sah sie an. "Wir werden unsere Gespräche wohl verschieben müssen. Faria verwandelt mich in einen Eisklotz, wenn ich mich verspäte.""Du... lässt mich allein?" Wieder war da Angst. Der Prinz hatte bekommen, was er wollte. Aber würde es deswegen von ihr ablassen? Der Prinz... "Respen ist ein Magier."
"Magier?" Er hob eine Augenbraue. "Ich bezweifle, dass der Strohkopf das kann."
"Nein wirklich. Er hat mich gestern angesehen. Seine Augen haben geleuchtet und es hat sich angefühlt, als würde mir jemand einen Speer in den Kopf schlagen. Und dann schien es, als hätte er alles gewusst. Mein Leben schien vor ihm ausgebreitet und er hat gelacht."
Lorsan nickte. "Das behältst du für dich. Höchstens Maia darfst du es sagen, sonst keinem. Wenn das rauskommt, ist er hinter uns her. Mehr als jetzt. Habe ich dein Wort?"
"Ja, natürlich." Genügte schon die Erinnerung, um sie zu quälen? "Aber was war das?""Eine seltene Form der Magie. So wie du es beschrieben hast, kann er in Gedanken und Erinnerungen der Leute eindringen. Es heißt, dass man es durch Übung auch unauffällig machen kann. Sonst ist es immer ein Angriff von außen - und immer schmerzhaft."
"Er könnte uns gerade hören?"
"Nein. Die Feinheiten müsste ich nachschlagen, aber man muss sich wohl zwingend in der Nähe des Ziels aufhalten."
Anavi verstand und war ein wenig beruhigter. Dennoch wollte sie nicht, dass er sie allein ließ."Maia ist hier. Solange du nicht nach draußen gehst, ist alles in Ordnung." Er lächelte. "Ich kann dich leider nicht mitnehmen, aber ich werde mir nachher alles anhören, was du mir zu sagen hast. Brauchst du noch etwas?"
Sie sah auf die Blüte und reichte sie ihm. "Pass auf dich auf, ja? Lass dich nicht vom Prinzen erwischen."
Irritiert sah er auf das Geschenk, versprach es mit einem Nicken und nahm ihr die Blüten ab. "Du musst heute nicht arbeiten, wenn du nicht willst.", fügte er noch hinzu. "Falls du noch Schmerzen hast, steht im Arbeitszimmer eine passende Salbe." Der Heiler strich ihr eine Strähne aus dem Gesicht. "Ich werde auch vor dem Abend zurück sein."Die Frau nickte, lehnte sich in seine Hand, die noch an ihrer Wange verharrte. "Ich will dich nicht länger aufhalten." Sie lehnte sich vor. "Aber vergiss mich nicht, ja?"
"Als könnte ich das." Er lehnte seine Stirn an ihre. "Aber... du solltest dir nichts großes erhoffen." Seine Stimme wurde leiser. "Für mich bist du eine Freundin geworden."Lorsan löste den Kontakt und schwang sich aus dem Bett. "Überbring' Maia bitte meine Entschuldigung, dass ich ihr ausweiche." Ohne sich noch einmal umzudrehen, verschwand er schnell im Bad. Kurz darauf verließ er angezogen und ohne Abschied das Zimmer.
Anavi strich sich durch die Haare und starrte an die Decke. Die Angst hielt sich noch in Grenzen, aber...
Ihre Gedanken suchten sich ein anderes Ziel. Lorsan hatte doch eine riesige Bibliothek. Und sie hatte oft genug den Staub von den Büchern gefegt, um ihre Titel zu kennen. Und ein ganzes Regal handelte von Magie. Sie wollte dringend mehr über die leuchtende Frau herausfinden.Zufrieden mit ihrem Plan sah sie zur Tür - und einem großen, dunklen Fleck auf dem Boden in dem noch die Scherben der Weinflaschen lagen. Die Bibliothek musste warten. Erst musste sie saubermachen und ihre Arbeit wieder aufnehmen. Immerhin war sie es, die die drei Flaschen zerstört hatte. Nur eine stand noch auf der Ablage neben der Tür. Hoffentlich musste sie die nicht eines Tages bezahlen.
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Der verlorene Prinz
خيال (فانتازيا)Als Anavi ohne Erinnerung an ihr früheres Leben in der Obhut des Heilers Lorsan erwacht, ahnt sie noch nichts von den Verflechtungen, in die sie geraten ist. Zufälle, die sich häufen. Fremde, die behaupten sie und ihre Vergangenheit zu kennen. Träum...