Beim Stall wartete der Heiler bereits. Die Pferde neben sich war er in ein Gespräch mit dem Söldner vom Abend vertieft. Der Mann trug eine sichtbare Lederrüstung unter dem Pelzmantel. Außerdem war der Griff eines Schwertes zu sehen. Sicher nicht seine einzige Waffe auf dieser Reise.
"Guten Morgen." Anavi stellte sich neben Lorsan und grüßte den Söldner. "Euren Leuten geht es besser?"
"Ebenso wie Euch, Mylady." Der Mann lächelte und deutete eine Verbeugung an. Hatte Lorsan wieder einen Stand erwähnt, den sie nicht inne hatte? "Mein Name ist ist Lurs, wenn ich mich vorstellen darf. Ich führe die Eskorte."
"Anavi." Sie reichte ihm die Hand. "Und sicher alles andere als eine Lady.""Nicht?" Er schüttelte den Kopf. "Dann verzeiht, Anavi." Er richtete sich an den Heiler: "Verratet Ihr mir den Preis?"
"Zwei Extreme." Lorsan schüttelte den Kopf, ein Lächeln verirrte sich nicht auf sein Gesicht. "Eine Adlige oder eine Käufliche. Sie ist lediglich meine Begleitung, Herr Lurs. Sie macht die Hausarbeit für mich und assistiert mir bei der Arbeit. Wer weiß, ob sie nicht in wenigen Jahren selbst Heilerin wird."
Lurs hustete und wandte den Blick einen Moment ab. "Dann muss ich erneut um Entschuldigung bitten. Es ist nur ungewöhnlich eine Frau aus dem Süden in Jona zu finden. Vor allem, wenn sie nicht auf dem Weg zu ihrer Hochzeit ist oder die Reiseunterhaltung einer Gruppe.""Dann sollten wir vielleicht besser allein weiterziehen." Lorsans Blick wurde finster. "Es macht mehr Arbeit, meine Begleitung vor Euren Männern zu schützen als vor wilden Tieren." Fast als hätten sie gelauscht setzten sich die Wölfe zu beiden Seiten neben sie. Ein leises Knurren war an den Söldner gerichtet.
"Nein, das ist nicht nötig." Lurs sah zu den restlichen Söldnern, die ihre Pferde sattelten und den Wagen des Händlers. Zwischen verschnürten Paketen waren zwei Frauen zu erkennen. In dicke Mäntel gehüllt warteten sie auf der Ladefläche, scherzten mit einigen der Männern. "Für unsere Unterhaltung ist gesorgt. Es war lediglich... Verzeiht meine fehlende Höflichkeit.""Vergeben." Sie sprach, bevor Lorsan noch etwas einwerfen konnte. Immerhin war es um sie gegangen und sie konnte selbst entscheiden, was ein Angriff war und was ein Versehen. "Erinnert sie lediglich an ihre Grenzen, sollten sie es vergessen. Im Zweifel werde ich das." Sie zog eines ihrer Wurfmesser hervor und drehte es zwischen den Fingern. Der Söldner nickte und ging zu dem Händler und den Kriegern.
Erleichtert steckte sie es weg. Hoffentlich brauchte sie es nicht. Die Männer sollten sich einfach auf ihre eigenen Begleiterinnen konzentrieren, dann würde es eine ruhige Reise."Schön gesagt." Lorsan sprach leise und legte ihr die Hand auf die Schulter. "Das hat mich an Faria erinnert. Hat sie dich vorgewarnt?"
"Nur vor Männern im allgemeinen." Sie seufzte. "Warum müssen immer Männer das Sagen haben? Und warum gibt es nichts zwischen Lady und Hure?"
"Wenn du die Welt verändern willst, dann musst du dich an Rosa wenden. Wenn Mida eine Königin bekommt, wird sich zumindest dort sicher einiges ändern. Und es gibt etwas dazwischen." Er beugte sich zu ihr. "Man nennt es Ehefrau."
"Du bist gemein." Sie schubste ihn von sich, trat lachend zu Hylia und legte den Kopf an ihre Stirn. "Wenigstens du musst dich nicht damit rumschlagen. Werd' niemals ein Mensch."
Die Stute pustete ihr den warmen Atem ins Gesicht und trat einen Schritt vor. Sie wollte unbedingt weiter und würde sicher auch ohne Reiterin loslaufen."Wenn du dich noch mit ihr unterhalten willst reisen wir doch alleine." Lorsan saß bereits im Sattel des schwarzen Hengstes und sah auf sie herunter.
"Pah." Beleidigt sah sie demonstrativ in die andere Richtung und zog sich ebenfalls auf den Pferderücken. "Wenn du nicht aufpasst reist du alleine." Dabei setzte sich die Gruppe um Lurs und den Händler bereits in Bewegung. Nur der Anführer selbst schien noch auf die beiden zu warten.
Einen Moment schwieg der Heiler, dann fragte er: "Haben dich meine Worte verletzt? Dann tut es mir leid und ich hoffe, du verzeihst mir und begleitest mich auch weiterhin.""Nein. Wir sollten los." Hatte sie sich falsch verhalten? Dabei hatte er ihr mehrfach gesagt, dass er sie ziehen lässt, falls sie sich in einen anderen Mann verliebt. Oder hatte sie am Ende einen Witz nicht verstanden? Vielleicht... "Das mit der Ehefrau war ein Witz, oder?"
"Zwischen Lady und Hure." Der Heiler nickte. "Natürlich war es ein Witz. Es gibt noch genug Abstufungen. Aber... nach der Unterhaltung gestern hat es dich wohl verletzt..."
"Nein, das ist es nicht. Aber du sagtest, du würdest mich gehen lassen. Gerade klang das... anders."
"Ich sagte ich lasse dich gehen, wenn du einen anderen Mann findest. Das heißt ich will sichergehen, dass es dir auch ohne mich gut geht." Er lächelte leicht. "Die Söldner und der Händler sind alle verheiratet. Mit ihnen würde ich dich nicht gehen lassen. Ich würde dich auch nicht in dieser Herberge lassen. Du würdest enden, wie die beiden im Wagen. Ich wurde höchstens eine Eskorte anheuern und dich zurück zu Rosa schicken - auch wenn sie mich dafür hassen würde. Du verstehst?"
"Ich denke schon... Dann nehme ich deine Entschuldigung an." Langsam schlossen sie zur Gruppe auf. Leise Gespräche drangen zu ihnen. Und auch Blicke der Söldner, die heimlich aber nicht unauffällig zu ihr sahen. Das würde noch eine lange Reise werden.
DU LIEST GERADE
Der verlorene Prinz
FantasyAls Anavi ohne Erinnerung an ihr früheres Leben in der Obhut des Heilers Lorsan erwacht, ahnt sie noch nichts von den Verflechtungen, in die sie geraten ist. Zufälle, die sich häufen. Fremde, die behaupten sie und ihre Vergangenheit zu kennen. Träum...