Nie hätte Anavi gedacht, dass der Palast so prunkvoll sein könnte. Lorsans abgelegener Flügel war dagegen spärlich eingerichtet und dekoriert.
Er führte sie durch die große, reich verzierte Tür, die normalerweise verschlossen blieb und von dort durch von Kerzen die sich in Goldornamenten spiegelten erhellte Gänge, die nichts mit den Dienstbotengängen gemein hatten. Fenster, Säulen und Gemälde wechselten sich ab. Schwere Banner mit dem goldenen Löwen Midas und der Sonne des Landesgottes hingen in regelmäßigen Abständen von der Decke."Der Palast ist wunderschön.", bemerkte sie und hatte den Drang, einmal über das Banner zu streichen.
"Ich finde es überladen." Lorsans Hand fuhr über eine mit gold überzogene Wand, die nur von einer Tür aus dunklem Holz unterbrochen wurde. "Wie viel Armut man mit all diesem Gold beenden könnte..."
"Es denkt nur leider nicht jeder wie du."Er nickte und trat zu einer Treppe. Am Fuße lag eine Halle, in der bereits viele Leute standen. Die Gespräche drangen als Raunen zu ihnen, durchbrochen von Gelächter. Glitzernde und schillernde Kleider waren zu erkennen.
Lorsan hielt sie jedoch noch auf, bevor sie die Treppe betreten konnte. Stattdessen zog er sie noch hinter die danebenliegende Wand und nahm ihre Hände.
"Anavi.", begann er leise, als hätte er Angst man könnte seine Worte in der Halle hören. "Dort unten wartet der Ball auf uns. Und... du wirst mit Sicherheit etwas über mich erfahren, das du als Verrat betrachten wirst. Aber ich möchte nicht, dass du mich als einen anderen siehst als jetzt. Ich bin nur Lorsan. Heiler. Nicht mehr, verstehst du?"Anavi nickte. Sie spürte, dass er sich vor etwas fürchtete.
"Ich werde sicher nicht schreiend wegrennen.", versprach sie und rang sich ein Lächeln ab. "Wir können das klären, wenn der Ball vorbei ist. Muss ich sonst etwas beachten?"
Dankbar nickte er und senkte weiter die Stimme: "Meide den Prinzen. Lass dich von ihm nicht wegbringen. Meide auch die Zwillinge. Sie hören nur auf seine Befehle. Wenn du nicht tanzen willst, dann achte darauf, dass du immer ein volles Glas in der Hand hast. Du darfst auch ablehnen, wenn man dich auffordert. Solltest du mich verlieren verschwinde durch die Dienstbotengänge. Jeder führt irgendwann in die Küche und von dort zu uns."
"Verstanden.""Gut. Dann lass uns gehen." Lorsan führte sie zurück zur Treppe und in die Halle. Einen Moment fürchtete sie, sie würden einen Aufruhr verursachen, doch die Gäste ignorierten sie gekonnt. Als einer der Angestellten vorbei lief griff Lorsan schnell nach einem der Gläser auf seinem Tablett. Die Beute mit dem dunklen Inhalt drückte er ihr in die Hand und bewegte sich auf den Rand der Menge zu, die gerade einzeln durch eine große Flügeltür gerufen wurde. Jeder der eintrat mit Namen und Rang.
"Wir nehmen nicht..."
"Den Haupteingang. Genau." Lorsan zog sie zu einer kleinen Seitentür am Rand der Halle und führte sie dort hindurch - in den eigentlichen, hell erleuchteten Ballsaal.
Es gab dort schon einige Gruppen, die langsam im Takt der Musik tanzten. Kerzen an den Wänden und Kronleuchtern unter der Decke tauchten den Saal in ein warmes Licht. An den Seiten entdeckte sie sogar lange Tische, die sich unter den angerichteten Platten bogen.
"Das ist... aufwändig." Sie beobachtete die in schwarz gekleideten Männer und Frauen, die am Rand noch mit mehr Tabletts umherliefen. Gelegentlich verschwand jemand hinter einem der Banner und Vorhänge, hinter denen sich die Dienstbotengänge verbargen.
"Wie oft hat ein Prinz schon Geburtstag. Und kann dann noch mit einem erfolgreichen Angriff auf Menschenhändler angeben." Lorsan lächelte einen Moment und führte sie am Buffet vorbei weiter in den Raum. Auf dem Weg nahm er sich selbst noch ein Glas mit der roten Flüssigkeit. "Trink nur. Der Wein ist nicht giftig."
"Wein..." Sie erinnerte sich noch lebhaft, wie sie den Heiler in seinem Zimmer überrascht hatte und an die leeren Flaschen neben seinem Bett. "Betrinkst du dich wieder?"
"Ich versuche es zu vermeiden." Er wich einer Dame aus, deren Kleid sie zweimal fassen könnte und hielt dann in der hinteren Reihen, wo die Tische endeten. In ihrer Nähe befand sich ein Podest, auf dem Musiker spielten, davor waren zwei reich geschmückte Stühle aufgebaut.
"Das Königspaar.", flüsterte Lorsan, als sich plötzlich Stille im Raum breit machte und alle Anwesenden wie gebannt auf den Eingang sahen.
In Silber und Gold gekleidet traten die beiden ein. Der König führte seine Frau, die ihren Blick über die Menge schweifen ließ. Sofort verneigten sich die Gäste und das Personal, wenn das Paar an ihnen vorüber schritt.
"Und der Prinz."
Noch immer war die Stille erdrückend, wandelte sich jedoch zu spürbarer Verwirrung der Gäste, als Prinz Respen eintrat, flankiert von den Zwillingen. Sie trugen zwar elegante schwarze Kleider, doch auch als Einzige Schwerter an der Hüfte - genau wie der Prinz.
Ein kurzer Blick zu Lorsan verriet ihr, dass der Heiler ebenfalls unruhig wurde. Erwarteten die drei etwa einen Angriff?
Sogar die Königin sah ihren Sohn missbilligend an, deutete jedoch an ihre Seite neben einem der Throne. Der Prinz stellte sich auf, hinter ihm die Kämpferinnen, dann trat der König einen Schritt nach vorn.
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Der verlorene Prinz
FantasyAls Anavi ohne Erinnerung an ihr früheres Leben in der Obhut des Heilers Lorsan erwacht, ahnt sie noch nichts von den Verflechtungen, in die sie geraten ist. Zufälle, die sich häufen. Fremde, die behaupten sie und ihre Vergangenheit zu kennen. Träum...