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Goldenes Licht fiel durch die Vorhänge, erhellte den Raum und brachte seine Einrichtung zum Vorschein. Dafür hatte Anavi jedoch keinen Blick. Sie faszinierte der dichte Wald, den sie durch das Fensterglas sehen konnte. Vom Licht gefärbter Morgennebel hüllte ihn noch ein, wie Wolken aus denen Bäume ragten. Sie konnte sich nicht mehr an vieles erinnern, nachdem sie in die Stadt geritten waren, aber sie hatten die Mauern doch nicht wieder hinter sich gelassen?
Nun, zumindest erklärte der Wald den Verbleib der Wölfe und des Raben. Sie waren wohl im Inneren der Stadt schlecht aufgehoben.

Anavi lächelte für sich und riss den Blick von der Welt hinter dem Glas los, wandte sich dem Zimmer zu, das mit dunklem Holz und goldenen Stoffen ausgestattet war. Auch wenn die Einrichtung sich in einem gewissen Rahmen hielt, wirkte der Raum überladen. An den weißen Wänden fanden sich gemalte Landschaften in goldenen Rahmen. Kleine, goldene Statuen waren auf Ablagen verteilt, weiße mit goldenen Mustern verzierte Vasen füllten die Ecken. Unsicher strich sie mit dem Finger über dem dünnen Rand einer Vase. Gold schloss ihn ab.
Es wirkte nicht nur teuer, es war es auch.

Kopfschüttelnd ließ sie die Vase in Ruhe. Wenn sie etwas zerstörte würde sie sicher mehr als ein Leben für den Ersatz arbeiten müssen. Selbst das Bett war von Goldfäden durchwirkt und Anavi nahm sich vor, die Angestellten zu fragen, wie sie die wuschen. Nicht einmal Anmelie war je mit so teueren Stoffen zum Fluss gekommen.

Ein Klopfen riss sie aus der Betrachtung und sie sah zur Quelle des Geräuschs. "Ja, bitte.", bat sie den Besucher herein, doch es öffnete sich die Tür nicht.
Wieder klopfte es und diesmal folgte Lorsans gedämpfte Stimme. "Ich wollte nur sehen, ob du schon wach bist. Rosa hat wohl vorgesorgt und deine Tür abgeschlossen."
Die Antwort irritierte sie. War seine Schwester wieder zurückgekommen, nachdem sie die Zimmer betreten hatten? Und müsste der Schlüssel nicht außen sein? "Moment." Sie trat näher und tatsächlich steckte ein kleiner, silberner Schlüssel im Schloss. Schnell drehte sie ihn und der Riegel sprang zurück.

"Komm rein." Sie zog die Tür auf, wobei sie hinter dem Heiler auch ein längliches Bad enthüllte. Noch mehr weiß und gold. Nur die Wände waren ausnahmsweise mit hellem Holz verkleidet.
Lorsan betrat das Zimmer und sah sich um. "Gefällt es dir? Ich wäre fast umgekippt, nachdem ich die Einrichtung gesehen habe." Er lachte. "Na, beschweren dürfen wir uns ja."
"Hoffentlich. Ich hab Angst, irgendetwas kaputt zu machen. Wie viel das wohl kostet?"
"Viel." Er ließ sich auf einen Stuhl mit rotem Stoff fallen und sah zu ihr auf. "Es ist schon lange her, seit ich das letzte Mal von so viel Gold umgeben war. Schon damals habe ich das ganze lieber ins Armenviertel geschmuggelt. So konnten sich zumindest ein paar etwas Brot kaufen."
"Und dann bist du in den abgetrennten Flügel geflüchtet?" Sie lächelte und setzte sich gegenüber. Der Stuhl war ungewöhnlich weich. "Kein Gold mehr."

"Kein Gold mehr.", bestätigte er. "Ich habe mich nie wohl darin gefühlt. Nichts gegen schöne Stoffe, aber wenn du jeden Morgen vom Gold geblendet wirst verliert es den Reiz. Du erinnerst dich vielleicht an den Silberreif in einer der Vitrinen. Die Königin hat mich immer gezwungen damit durch den Palast zu laufen. Aber ohne Reif wurde ich nicht wie ein Prinz behandelt und das war mir lieber. Erstaunlich, aber ich habe nicht zugelassen, dass ein neuer gemacht wird, als er mir nicht mehr gepasst hat."
"Trotzdem hast du ihn behalten. Als... Erinnerung an deine Bürde." Sie war sich sicher, dass Maia es so erklärt hatte.
"Stimmt. Vom Materiellen das wertvollste in meinem Besitz."
Überrascht richtete sie sich auf. "Die Bücher nicht?"
"Doch. Auch. Nur Bücher kannst du nicht an einen Juwelier oder fahrenden Händler verkaufen, wenn dir auf einer Reise das Geld ausgeht." Er ließ den Blick über die Wände schweifen. "Die Bilder sind... nett. Ich denke, es sind alles Orte in Ming."

"Ich weiß nur, dass ich einen Wald sehe." Sie deutete auf das unverhangene Fenster. "Gibt es einen Wald in der Stadt?"
"Nein, nur ein paar Grundstücke, die mit Bäumen bepflanzt wurden. Ich glaube Rosa hat erwähnt, dass sie das Haus vom Palast bekommen hat. Sie wollte es mir schon seit Jahren zeigen." Lorsan drehte den Kopf, als es erneut klopfte. Auch Anavis Aufmerksamkeit richtete sich auf die Tür und sie stand schnell auf. "Besuch?"

"Vermutlich das Personal." Lorsan folgte ihr und ging an ihr vorbei. Nur einen Spalt öffnete er die Tür zum Gang. "Ich hatte Recht." Er sah zu ihr. "Deine Kleider zum Frühstück. Und das Frühstück. Ich nehme an, nebenan klopft auch gerade jemand?" Das letzte hatte er an den Angestellten gerichtet und zog die Tür weiter auf, sodass auch Anavi sehen konnte.
Ein junges Mädchen stand im Gang, den Blick gesenkt auf ein Stoffbündel in ihren Armen, das schwarze Haar streng zurückgebunden. Stumm nickte sie. "Lady Rosalie wurde in den Palast gerufen. Sie entschuldigt ihr fernbleiben.", fügte sie noch leise an.

"Oh, also ist Rosa nicht da." Lorsan lächelte. "Schon gut, ich beiße dich nicht. Aber sei so gut und lass' mein Frühstück auch in dieses Zimmer bringen. Dann sind wir nicht ganz einsam, oder?"
Unsicher huschte ihr Blick zu Anavi, die schnell nickte. "Gute Idee." Sie trat vor und lächelte das Mädchen an. "Ich nehm dir die Sachen ab, dann musst du nicht so oft laufen."
Weiter verunsichert ließ sie sich das Kleiderbündel abnehmen, verbeugte sich und verschwand in den Gang.

Lorsan ließ die Tür offen und räumte den kleinen Tisch ab, um den sie gerade gesessen sind. "Ich weiß, warum ich mich mit dem Personal anfreunde. Diese Unterwürfigkeit macht mich wahnsinnig."
"Nur kannst du dich hier schlecht zurückziehen." Das Mädchen kam in Begleitung zurück. Noch ein Dienstmädchen, in den Händen ein silbernes Tablett. Auch das Erste trug ihren Teil und stellte es wortlos vor Anavi ab. Eine Verbeugung später waren sie verschwunden.
"Leider." Er überlegte. "Ob ich wohl die Küche finde und selber kochen darf?"
"Nur wenn ich fragen darf, wie diese Laken gewaschen werden."
Lachend verbrachten sie das Frühstück und weil Rosalie bis zum Abend nicht zurückkehrte nutzten sie die Zeit noch, um das Haus zu erkunden.



Der verlorene PrinzWo Geschichten leben. Entdecke jetzt