63 - Freund?

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Auf den Straßen wurde bereits gefeiert, während die kalten Flocken vom Himmel fielen. Zwar blieben sie nicht auf dem Stein liegen und bedeckten nur das Gras und Bäume mit einer sehr dünnen Schicht Schnee, das machte das Schneefest jedoch nicht weniger ausgelassen.
Nachdem die Kutsche sie wieder an der gleichen Stelle abgesetzt hatte wie vor fünf Tagen, gingen sie wieder durch den Park, der nun wesentlich belebter war. Laute Gespräche wurden von den Feiernden geführt, Lachen klang über die Beete und Wiesen. Die großen Pavillons waren nun fertig aufgebaut, die ersten Gäste hatten sich bereits um die hohen Tische darin versammelt. Und in der Mitte des Parks loderte ein großes Feuer. Außen waren die tanzenden Schatten zu sehen.

"Darum waren also keine Tanzstunden nötig." Anavi verstand die amüsierte Ablehnung Rosalies, als sie nach Tanzstunden gefragt hatte, um sich nicht zu blamieren. Trotz der Musik die im Hintergrund gespielt wurde, waren keine einheitlichen Bewegungen zu erkennen.
"Stimmt. Es geht nur darum Spaß zu haben. Tanzen, wie man will." Rosalie lachte ausgelassen. "Scheu dich auch nicht, wenn dich ein Fremder anspricht. Aber bleib in Sichtweite. Es gab schon Übergriffe, die nur knapp von zivilen Soldaten gestoppt wurden."
"Zivile Soldaten?"
"Sie tragen keine Rüstung, behalten aber trotzdem das Fest im Auge. Außerdem tragen sie nur versteckte Waffen und dürfen keinen Alkohol trinken." Rosalie grinste. "Zum Glück bin ich nicht im Dienst."

"Kein Grund, sich zu betrinken." Lorsan ließ sich nur langsam von der Stimmung anstecken und zupfte an seiner Festkleidung. "Wir können dich schlecht zurücktragen."
"Stimmt, da war noch was." Die Kämpferin drückte ihnen schnell zwei kleine Holztafeln in die Hand. "Ich habe ein Zimmer in einer Herberge reserviert. Das ist der Name. Falls wir uns verlieren treffen wir uns da. Wer bis morgen früh nicht auftaucht gilt als entführt."
Anavi sah auf die Tafel. Zur grünen Brücke war in das Holz geritzt, worauf sie es schnell in einer versteckten Falte des Kleides verschwinden ließ. Der Beiname als Stadt der Brücken war nie zu übersehen. "Zeig es jemandem, der vertrauenswürdig scheint. Sicher hilft man dir dann.", riet Lorsan noch, da war Rosalie bereits verschwunden. Ihren Schatten konnte sie jedoch problemlos vor den Feuer erkennen. Nicht nur unter den Frauen war sie die Größte.

"Und jetzt?" Anavi griff nach seiner Hand, da sie ihn nicht verlieren wollte. "Was macht man hier?"
"Außer tanzen und trinken? Ich weiß es nicht." Er deutete zum Feuer. Außen waren Holzbänke aufgebaut. "Wir können uns ans Feuer setzen. Oder trinken."
"Ich mag keinen Alkohol. Der Fruchtwein war schon zu viel." Sie klammerte sich an seine Hand. "Sehen wir uns doch die Stände an." Um das Feuer und zwischen den Pavillons waren Stände verteilt, erhellt durch bunte Laternen. Sie stellten kleine Dekorationen in der Kunst Mings aus, andere verkauften Essen und natürlich verschiedene Weine.
"Gute Idee. Ich drücke mich auch lieber vor Tänzen." Er lachte und gemeinsam liefen sie zum ersten der Stände. Ein würziger Duft stieg auf und verteilte sich schon ein ganzes Stück vor dem Verkauf. Da das Mittagessen ausgefallen war knurrte Anavis Magen verräterisch. Sie war zweifellos zu viele regelmäßige Mahlzeiten gewohnt.
"Hast du Hunger?", fragte er leise und blieb stehen. "Wir können gerne etwas kaufen." Sie sah schon andere Leute, die Teigtaschen in Händen hielten und über den Platz schlenderten.
"Es riecht irgendwie... bekannt." Sie versuchte den Duft einzuordnen. "Warte, gab es das nicht an dem Stand, als wir mein Kleid bestellt haben?"
"Hm?" Der Heiler hob die Nase. "Stimmt, das riecht ganz ähnlich. Da sind auch die betäubenden Kräuter drin." Er lächelte. "Gut, dass ich dem Koch nicht sagen kann, dass seine Idee nicht so einzigartig ist, wie behauptet."

"Vielleicht gehört der Koch ja zur Familie? Oder hat hier gelernt?" Anavi schielte zu dem Stand. Die Schlange davor war schon recht lang. "Aber wir müssten lange warten. Lass uns lieber weitergehen." Wieder knurrte ihr Magen. "Vielleicht etwas anderes probieren."

*

Nach einer Weile, der Mond hatte fast seinen höchsten Stand erreicht, wurden sie wieder von Rosalie überrascht, die sich anschlich. Grinsend legte sie ihnen die Arme um die Schultern, wodurch Anavi fast ihre Teigtasche verlor. "Hab ich euch endlich. Das Hauptereignis geht gleich los und ihr steht hier und futtert." Mit jedem Wort war deutlich der Alkohol zu riechen, dazu verrieten die glasigen Augen ihren gestiegenen Pegel. "Na los, zum Feuer."
"Ist das klug? Du riechst, als müsstest du in der Nähe von Feuer explodieren." Lorsan wand sich aus der Umarmung. Sein Vergleich erschien passend. Auch er hatte einmal ähnlich gerochen, nur war er da bereits ausgenüchtert. Hatte er in dieser Nacht etwa noch mehr getrunken, als Rosalie?
Anavi folgte seinem Beispiel und schob ihren Arm von sich, was die Kämpferin überraschend wenig störte. "Und was ist das für ein Ereignis?" Sie drückte ihr das Essen in die Hand. Die Blonde konnte es besser gebrauchen.

"Etwas ganz tolles." Sie grinste immer noch und zog sie mit der freien Hand hinter sich her. Lorsan folgte seufzend, um sie nicht zu verlieren. "Ein Wunsch an die Flammen. Aber nur von Paaren."
"Paaren?" Rosalies Griff war zu fest um sich noch zu befreien. "Meinst du etwa Lorsan..."
"Und dich. Genau. Keine Sorge, das wird lustig."
"Wir sind kein... Was genau verstehst du unter Paar?" Lorsan nahm Anavis andere Hand und baute einen leichten Widerstand auf. Genug, um die betrunkene Rosalie zum Anhalten zu bringen.
"Na, Liebespaar. Was man darunter versteht weißt du aber?"
"Wir sind kein Liebespaar. Das habe ich aufgegeben und das weißt du." Endlich ließ Rosalie doch ihren Arm los und Anavi trat in sichere Entfernung neben den Heiler.
"Du musst eben nach vorn schauen. Es glaubt doch keiner, dass ihr nicht heimlich..."
"Nein, Rosa. Wir sind nur Freunde. Anavi ist meine Reisebegleitung, nicht mehr."

Die Blonde sah kurz zwischen ihnen hin und her, dann schob sie die Unterlippe vor. "Ach bitte bitte. Ich kann das doch selbst nicht machen. Ist auch nur ein Mal. Danach lasse ich euch in Ruhe, ja? Bitte bitte." Das Betteln nahm überhand. Anavi erwartete schon, dass sie als nächstes auf die Knie fallen würde. Bei ihrer Nähe zum Königshaus konnte das sicher ihrem Ruf schaden.
Da begann eine leise Musik vom Feuer und Lorsan seufzte erneut, sah fragend zu Anavi. "Tun wir ihr den Gefallen? Uns erkennt sowieso keiner."
Rosalies Block erhellte sich, als auch Anavi stumm nickte. "Sehr gut." Mit einer Hand zog sie zwei kleine Papierpakete hervor und drückte sie ihnen in die Hand. Dann schon sie sie weiter und erklärte noch: "Es ist ganz einfach. Macht einfach nach, was die anderen machen. Überlegt euch beim Tanzen eure Wünsche und wenn die Musik endet, dann werft ihr die Pakete ins Feuer. Danach gibt es noch Applaus und das Fest ist vorbei. Fragen?"
"Hieß es nicht, tanzen ist freiwillig?" Unsicher sah sie zum näherkommenden Feuer. Es hatten sich schon mehrere Paare darum versammelt.
"Ja, aber ihr habt es versprochen. Und ich bin danach ruhig. Und jetzt los. Ich bleibe hier und beobachte euch."

"Wie klar sie ist, trotz Alkohol."
"Offenbar verträgt sie mehr als ich." Lorsan nahm ihre Hand und begleitete sie zum Feuer. Zwischen zwei andere Paare stellten sie sich auf, da veränderte sich die Musik. In diesem Moment begannen die Frauen und Männer mit dem Tanz, wirbelten im Takt der Musik umeinander, das Paket in beiden Händen fest verschlossen.
Es dauerte eine Weile, dann hatte Anavi die Zuschauer ausgeblendet. Sie folgte der Musik, folgte Lorsans Schritten und schloss die Augen, um an ihren Wunsch zu denken. Dann verstummte der letzte Ton und an der Seite des Heilers übergab sie das Paket dem Feuer. Kurz blitzte es rot auf und vernichtete Papier und Inhalt ohne Spuren zu hinterlassen.

Der verlorene PrinzWo Geschichten leben. Entdecke jetzt