Beschwingten Schrittes ging sie die nächsten Tage wieder ihrer Arbeit nach. Heute musste sie wieder Lorsans Zimmer putzen und klopfte höflich an die Tür, erwartete jedoch keine Antwort. Um diese Zeit war er bereits bei der Arbeit - eigentlich.
Anavi schob die Tür auf, und wunderte sich nicht über die zugezogenen Vorhänge und beeilte sich die Sonne in den Raum zu lassen. Er vergaß öfter sie aufzuziehen, wenn er das Zimmer verließ.
"Licht aus...", brummte jemand vom großen Bett an der Wand und die Frau sah erschrocken in die Richtung. Unter Decke und Kissen war noch die grobe Form des Heilers zu erkennen.
"Lorsan?" Unsicher ließ sie die Kordel des Zugsystems fallen und trat an das Bett heran. "Du bist noch hier?"
Er brummte etwas unverständliches und schob eines der Kissen weg, mit denen er sich vom Licht abschirmte. Müde Augen sahen ihr entgegen, rot und verquollen. "Lange Nacht. Du kannst gehen. Komm morgen wieder."
"Ich kann dich doch nicht in dem Zustand hierlassen." Mit dem nächsten Schritt erklang ein hoher, hallender Ton als sie an etwas stieß. Es rollte dumpf über den Teppich und sie sah zu Boden. Mehrere leere Flaschen lagen vor dem Bett. Der Rest des Alkoholgeruchs stieg noch von ihnen auf. "Du bist betrunken?"
"WAR betrunken. Jetzt verkatert. Also mach das Licht aus und geh."
Anavi blieb. "Du erwartest Besuch, hast du das vergessen? Jemand, der etwas über die Menschenfänger weiß."
"Bruh..." Lorsan zog sich das Kissen wieder vors Gesicht. "Na schön. Gewonnen. Der Schrank rechts, zweite Tür die dritte Schublade. Da ist eine Flasche. Weißer Inhalt. Hilft gegen Kater. Zwei Tropfen ins Wasser." Blind deutete auf seinen Nachttisch, auf dem noch unberührt eine Karaffe mit Wasser und ein Glas standen. "Mach trotzdem das Licht aus."
Sie seufzte, zog die Vorhänge wieder zu und tastete sich im Halbdunkel an den besagten Schrank. Sie nahm aus der Schublade eine kleine Flasche mit dem hellsten grau und tropfte zurück am Bett zwei Tropfen in das Glas und füllte es mit dem Wasser auf. "Fertig. Jetzt steh schon auf." Schnell räumte sie das Mittel wieder auf und hörte, wie Lorsans Decke raschelte, dann wie er das Glas geräuschvoll austrank.
"Weiße Katze...", brummte er und ließ sich vom Bett fallen. "Gib mir eine Stunde. Und lass die Vorhänge zu.", bat er noch, bevor er im angrenzenden Bad verschwand.
Anavi verzichtete auf einen Kommentar und begann damit, die leeren Flaschen aufzusammeln und ihren Wäschekorb zu legen. Sie würde Maia später nach dem übermäßigen Alkoholkonsum des Heilers fragen - und ob das öfter passierte.
Dabei entschied sie auch gleich, dass nicht nur Lorsans Kleidung, sondern auch die Bettwäsche eine Wäsche vertragen konnte und zog Laken und Decke ab. Schnell wanderte alles in den Korb und sie holte aus einem der Schränke neue Bezüge.
Anavi wollte gerade damit anfangen das Bett neu zu beziehen, als Licht aus dem Badezimmer fiel und ihre Aufmerksamkeit auf sich lenkte - und auf Lorsan der nackt in der Tür stand.
Sie schrie erschrocken auf und riss das nächstbeste vor ihre Augen. "Was soll das? Du wusstest dass ich noch hier bin!", warf sie dem Heiler vor, der nur schwieg. Vielleicht lag es am Alkohol und er bemerkte nicht in welcher Situation sie gerade waren.
"Ich sagte doch eine Stunde. Ich dachte, du machst etwas anderes."
"Ich mache etwas anderes." Ihr Herz raste und ihr wurde warm. Heiß, um genau zu sein. "Ich dachte, du bist eine Stunde im Bad."
"Das ist dann wohl ein... Missverständnis." Eine Tür schlug zu und Lorsans Stimme drang nur noch gedämpft zu ihr. "Damit meinte ich, dass du in einer Stunde wiederkommen kannst. Du weißt es für die Zukunft. Und du kannst gerne die Decke wieder wegnehmen. Ich beziehe das Bett selber. Sag nur Maia bitte nichts. Erzähl es am besten niemandem."
"Du auch nicht." Sie linste über den Stoff, die Tür war aber wieder verschlossen und Lorsan stand vermutlich dahinter. Dann beeilte sie sich aus dem Zimmer zukommen, warf die Decke auf das Bett und verschwand mit dem Korb durch die Tür.
Erst als sie die Tür wieder verschlossen hatte lehnte sie sich an die Wand, stellte den Korb ab und atmete tief ein und aus. Immer noch war ihr warm, es war ihr unangenehm ihn gesehen zu haben wenn sie auch nicht leugnen konnte, dass er ein gutaussehender Mann war. Die schlanke und muskulöse Figur verbarg er doch meistens unter der dunklen Kleidung, die nur wenige Schatten warf, oder weiten hellen Hemden. Sie konnte zwar nur raten, wie Anmelie bei ihrer ersten Begegnung zu dieser Einschätzung kam, wenn sie ihn doch nur von der Ferne gesehen hatte. Aber sie musste ihr zustimmen.
Anavi legte eine Hand auf ihre Brust, unter der ihr Herz noch immer hämmerte. Jetzt war es nur wichtig sich zu beruhigen und sich nichts anmerken zu lassen. Immerhin sollte Maia nichts von dem Vorfall erfahren - und sonst auch niemand.
"Anavi? Alles in Ordnung? Du bist ganz rot im Gesicht."
"Oh, Maia." Sie hatte die kleine Frau nicht bemerkt. War sie schon länger hier? Hatte sie sie aus Lorsans Zimmer kommen sehen? "Nein, alles gut. Ich... geh Wäsche waschen und... der Korb ist schwer. Das ist alles." Schnell hob sie ihn hoch und lief Richtung Krankenzimmer, nicht ohne noch zu hören wie Maia an die Tür klopfte und ein wütendes "Lorsan, was hast du angestellt?" rief.
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Der verlorene Prinz
FantasyAls Anavi ohne Erinnerung an ihr früheres Leben in der Obhut des Heilers Lorsan erwacht, ahnt sie noch nichts von den Verflechtungen, in die sie geraten ist. Zufälle, die sich häufen. Fremde, die behaupten sie und ihre Vergangenheit zu kennen. Träum...