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"Jetzt muss ich mich nochmal entschuldigen. So sollte das nicht enden." Lorsan schob sie von sich. "Eigentlich wollte ich dir etwas über Jona erzählen."
"Schon gut. Es ist ein kaltes, gefährliches Land." Anavi lehnte sich an ihn. "Das weiß ich jetzt. Und, dass Rosalie Geistergeschichten mag. Aber wie bereitet man sich auf so einen Abend vor?"
"Man erzählt sich Geschichten. Man ließt unheimliche Berichte. Trotzdem darf man nicht vergessen, dass es nur Geschichten sind. Wobei Angst zu haben nicht falsch ist."
"Du hattest auch keine Angst vor ihrem Nebel. Das ist..."
"Für Lebende ungefährlich." Lorsan wedelte mit der Hand durch den Dampf. "Nicht gefährlicher als das hier. Es sind die wandelnden Toten, die ihre Magie so gefährlich machen, nicht der Nebel. Der stellt nur ein Medium zur Übertragung dar."
"Der Nebel ist... ungefährlich..." Und sie hatte solche Angst, dass sie sich in die Ecke hat drängen lassen. Hatte der Generalin sogar ihr Geheimnis verraten. Vielleicht war das auch ein Nebeneffekt. Immerhin waren ihre Kräfte sicher im Land bekannt, die tatsächliche Wirkung dafür nicht. "Das... ist beruhigend. Denke ich..."

"Wie gesagt ist Angst ein vollkommen natürliches Gefühl. Jeder empfindet das. Niemand lebt ohne Angst."
"Aber... wäre das nicht besser? Also ohne Angst vor etwas zu leben?" Immerhin hatte Angst sie dazu gebracht ein Geheimnis zu verraten. Und sicher war es auch Angst, die die Fremde aus ihren Träumen bei dem Mann in Schatten hat bleiben lassen. Oder Lady Mina sie an ihn ausliefern...
"Ohne Angst verliert man Menschlichkeit." Lorsans Stimme wurde leise. "So wie die Zwillinge, die keine Angst kennen. Selbst Rosa hat vor etwas Angst, auch wenn es nur Mäuse sind."
"Dann überlege ich mir eine Geschichte mit Mäusen." Ob sie wohl früher auch solche Geschichten kannte? Bevor sie ihr Gedächtnis verloren hatte musste sie doch ein Leben gehabt haben. Selbst, wenn sie nur geflohen war. "Und wovor hast du Angst?"

"Respen." Lorsans Blick wurde dunkel. "Er weiß zu viel."
"Über Adi? Oder dich?"
"Anavi..." Er sah sie nicht an, der Blick lag auf dem Wasser. "Ich sagte doch, dass ich es dir nicht erzählen werde."
Sie seufzte, dann fiel ihr etwas ein. "Ich hatte einen Traum. Von Adi."

"Von..." Er drehte nur langsam den Kopf, sah sie zweifelnd an. "Woher willst du das wissen? Du hast sie noch nie gesehen und du kannst doch nur Leute sehen, die du kennst."
"Schon. Es war auch..." Anavi schloss die Augen, rief sich den Traum in Erinnerung. "Ein dunkler Raum. Respens Augen. Er sagte etwas zu mir. Es war ihr Name." Sie schüttelte den Kopf. "Ich habe mich aufgeweckt, bevor mehr passieren konnte, aber was auch immer damals passiert ist. Ich denke nicht, dass sie die freiwillig hintergangen hat."
"Du meinst... Respen hat sie gezwungen." Der Heiler legte den Kopf wieder in den Nacken und sah zur Decke. "Aber sie hat doch trotzdem... Adi... Warum? Hatte er auch damit etwas zu tun?"

"Mehr weiß ich nicht. Vielleicht kann ich noch etwas herausfinden, wenn du möchtest. Irgendwie muss ich die Träume ja steuern können." Vorsichtig legte sie ihre Hand an seinen Arm, wobei jedoch der feine rote Strich wieder ihre Aufmerksamkeit auf sich zog. Er störte das perfekte Bild der makellosen Haut. "Irgendwie werden sie auch ausgelöst, oder?"
"Hm..." Lorsan reagierte nur langsam. "Nein. Erzwinge nichts, was nicht für dich bestimmt ist. Es gibt sicher ein Muster, wie die Träume erscheinen."
"Nach... schlimmen Ereignissen zum Beispiel?"
Der Heiler nickte und drehte den Kopf. In seinen Augen glitzerten Tränen, gleichzeitig lächelte er. "Aber... ich fühle mich schlecht, wenn du in Gefahr kommst. Schuldig, weil ich dich nicht schützen kann. Gleichzeitig habe ich Angst, dich zu verlieren und will doch, dass du irgendwann dein eigenes Glück findest. Das... hat nichts mehr mit deinen Träumen zu tun, oder?"
Anavi schüttelte den Kopf. "Oder deiner Angst vor Respen. Lorsan..." Sie wollte etwas sagen. Etwas, das ihm half oder damit er sich ihr öffnete, doch sie fand nichts und wandte den Blick ab. Er brauchte Zeit und die wollte sie ihm lassen. Aber es fiel ihr schwer.

"Hat es nicht. Aber... das ist nicht schlimm." Anavi lehnte sich an den Beckenrand. Die Dunkelheit flimmerte vor ihren Augen, als sie die Lider schloss.
"Aber etwas beschäftigt dich noch." Sie spürte die Hand des Heilers auf ihrer. Das Streicheln über ihren Handrücken.
"Ich will dir helfen, aber ich darf nicht. Ich will dir Zeit lassen, aber es fühlt sich falsch an. Als... hätten wir diese Zeit nicht. Als würde ständig eine Gefahr in den Schatten lauern."
"Vielleicht ein Effekt deiner Magie. Eine Art größere Voraussicht. Oder du irrst dich und es ist doch nur der Tod, der auf jeden wartet."
"Der Tod..." Sie sah wieder zu ihm. Die Tränen waren verschwunden. "Vielleicht. Ist nicht das Leben immer gefährlich?"
"Ist es." Der Heiler lächelte. "Eine sehr philosophische Antwort."
"Philowas?" Hatte er sich das Wort gerade ausgedacht?
Lorsan schüttelte den Kopf. "Nicht wichtig." Er sah zur Tür, als warte er, dass Rosalie wieder zurückkam und in ihre Unterhaltung platzte. Stumm hoffte sie, dass die Blonde nicht zurückkehrte. Zumindest noch nicht.

"Darf ich dich noch etwas über Adi fragen?" Anavi rückte wieder zu ihn, legte den Kopf an seine Schulter. "Ich wüsste gerne, ob..."
"Darfst du nicht." Lorsan legte die Hand über ihren Rücken und zog sie näher zu sich. "Ich will nicht an sie denken. Ich spreche nicht über damals, weil sie diese Aufmerksamkeit nicht verdient."
Sie nickte, dabei war es der Fremden gegenüber nicht fair. Sie wusste fast nichts und sollte sie verurteilen? "Ich... werde es vermeiden. Was machst du da?"
"Nichts." Damit zog er sie zwischen seine Beine, legte den Kopf auf ihre Schulter und schloss die Augen. "Stört es dich? Ich will dich nicht zwingen, du weißt ja, was in diesem Land darauf steht."
"Es... stört nicht." Sie lehnte sich an und ließ ihn durch ihre Haare streichen. "Aber... was ist mit dir?"
"Ich will an nichts denken. Das... soll helfen."
"Stimmt. Ich glaube... ich habe danach fast nicht geträumt." Sie wand sich aus seinem Griff und drehte sich um. Sanft legte sie ihre Lippen auf seine, gab dem Fliederduft Zeit, einen kleinen Raum um sie zu bilden. "Aber nicht hier. Rosalie könnte jederzeit reinplatzen. Ich komme später zu dir, ja? Ganz heimlich."
"Solange du bleibst." Lorsan stahl sich einen zweiten Kuss. "Ich glaube, ich bin verliebt."

Der verlorene PrinzWo Geschichten leben. Entdecke jetzt