"Es beschäftigt dich, ihn verletzt zu haben.", sprach Anavi an, nachdem sie bereits die Hälfte des Weges zu Donner zurückgelegt hatten. Auch die Wölfe hatten sich ihnen wieder angeschlossen, wenn auch einer noch deutlich sichtbar Blut im Fell hatte. "Hast du dich deswegen gestern betrunken?"
"Es beschäftigt mich, das stimmt. Ich bin Heiler und sollte niemanden verletzen." Seine Hand ballte sich zur Faust. "Aber das ist nicht der Grund für den Wein. Ich bitte dich nur, nicht mehr danach zu fragen. Vergiss den Vorfall einfach und meide den Prinzen." Er sprach ruhig, doch sie sah, wie seine Zähne unter seiner Fassade mahlten."Ich spreche dich nicht mehr an. Aber wenn du mir etwas erzählen willst..." Anavi griff nach seiner Hand und die Faust löste sich. "Ich höre zu, ohne dich zu werten."
"Danke. Dazu wird es nur nicht kommen." Er lächelte, jedoch gequält. Es war nicht echt und zu sehr gewollt. "Wir werden uns nach diesem Ball einfach weiter meiden. Vielleicht weiht Maia dich auch in den Rest unserer Organisation ein. Dann kannst du sie darin unterstützen."
"Und wer macht dann sauber?" Sie schüttelte den Kopf. "Gut, wir meiden uns. Wie zuvor. Ich arbeite gern für dich und möchte das nicht verlieren. Außerdem kenne ich nichts anderes.""Stimmt. Deine Vergangenheit ist verloren. Aber du kennst Chevez' Schneiderei und Hanna hat dir Arbeit angeboten."
"Das ist nicht dasselbe. Ich müsste Anmelie zurücklassen. Maia wäre wieder allein... Ich habe etwas gewonnen, für das ich jede Erinnerung opfern würde."
Lorsan schwieg, sein Blick glitt in die Ferne doch er behielt den Weg sicher bei. "Sei vorsichtig mit deinen Wünschen. Vielleicht werden sie wahr."Überrascht sah sie hoch, doch sein Blick blieb weiter starr auf einen entfernten Punkt gerichtet, den nur er sah. Dann schüttelte er den Kopf und das schwarze Pferd schob sich in ihr Blickfeld. Es hielt den Kopf gesenkt und zupfte Gräser am Rand des versteckten Weges, bis es sie bemerkte und aufsah.
"Bereit für einen weiteren Besuch bei Chevez?", fragte der Heiler und fing das Pferd an den Zügeln ein, klopfte ihm auf den Hals und zog ein Stück Apfel aus einer Tasche, mit dem er den Hengst belohnte.
Darauf reichte er Anavi die Zügel und reichte auch den Wölfen jeweils ein Stück Fleisch, dass sie gierig verschlangen. "Auch euch vielen Dank für die Hilfe. Wir sehen uns morgen wieder." Die Wölfe ließen sich brav von ihm streicheln, dann liefen sie den versteckten Weg zurück zum Palast. Anavi meinte sich zu erinnern, dass ein Trampelpfad auch schon früher in die Wälder führte.
"Wer weiß eigentlich von den Tieren?", fragte sie.
"Außer uns beiden, Maia und Faria noch einige Mitglieder meiner Organisation. Von den Wölfen noch die Königin und von Feder Prinz, König und die Zwillinge." Der Rabe war schon vorher wieder verschwunden."Dann auf zu Chevez." Lorsan breitete die Arme aus. "Irgendwo Blut? Er soll nicht ohnmächtig werden, nur weil ich jemanden verletzen musste."
"Kein Blut." Vorsorglich sah die Frau noch an sich selbst hinab, konnte aber auch nichts finden.
"Komm." Der Heiler war bereits aufgestiegen und half ihr wieder in den Sattel. Ohne auf einen Befehl zu warten lief das Tier in Richtung Handelsstraße los.* * * * *
"Wo wart ihr denn? Ich musste mir schon Sorgen machen." Sie waren noch nicht durch die Tür der Schneiderei getreten, als Chevez sie bereits völlig aufgelöst empfing. Eine kurze Umarmung erhielt Anavi, Lorsan wurde länger von ihm gehalten. "Sorgen und Nöte habe ich armes Ding ausgestanden. Tu' das nicht wieder, Liebling." Chevez seufzte theatralisch und sah den Heiler böse an.
"Es kommt nicht nochmal vor." Lorsan lächelte. "Es kam nur ein Termin dazwischen, der sich etwas... gezogen hat. Und du schau' nicht so. Das macht Falten.""Oh nein, bloß nicht." Schnell hechtete er zu einem Spiegel, der zwischen den Regalen aufgestellt war und zog sich die Stirn glatt.
"Er ist... eitel.", bemerkte Anavi leise und hielt sich nah an Lorsan. "Und... dramatisch?"
"Perfekt beschrieben. Aber sag es ihm nicht.", antwortete der Heiler noch leiser und führte sie weiter in den Verkaufsraum. "Es ist alles gut, Chevez. Nichts zu sehen.", sagte er dann an den Schneider gewandt und hielt Anavi weiter vor sich. "Dafür möchte ich jetzt gern einen Blick auf deine fertige Kreation werfen. Der Ball ist morgen Abend, wenn ich dich erinnern darf.""Oh, der Ball. Jaja." Chevez wirbelte herum, kam mit großen Schritten auf sie zu und nahm Anavis Hand. "Warte kurz hier. Wir sind gleich zurück." Damit zog er sie mit sich hinter einige Regale, wo unter einem großen weißen Tuch ihr Kleid wartete.
"Bereit Liebes?" Der Schneider nahm eine Seite des Tuches in beide Hände und sah sie erwartungsvoll an.
Stumm nickte die Frau, sie wollte den Ball so schnell es geht hinter sich bringen und zurück an die Arbeit. Und dafür musste sie diesen Termin zu Ende bringen."Fantastisch." Mit einer schnellen Bewegung zog er das Tuch von der Kleiderpuppe und enthüllte das Kleid.
Nun, zumindest entfernt erinnerte es daran. Es bestand aus mehreren einzelnen Teilen, ließ dabei aber zwischen Oberteil und Rock breiten Streifen Haut frei. War das Oberteil aus einem festen Material in roter Farbe, verziert mit Stickereien aus Gold- und Silberfäden die kleine Blumenranken bildeten, waren die Ärmel - abgetrennt vom Rest - Tunnel aus durchsichtigem Stoff, die nur an den Oberarmen mit dünnen Bändern fixiert wurden.
Der Rock übernahm die Stickereien, war aus mehreren dünnen Stofflagen in Farben von hellem gelb bis zu zu dunklem Rot am Saum zusammen geschneidert und nicht im Schnitt des erwarteten Reifrocks."Nun, du bist sprachlos. Das wollte ich erreichen." Chevez trat in ihr Blickfeld. "Man kann es auch allein anziehen, darauf habe ich geachtet. Jetzt probier' es schon an. Du wirst zauberhaft aussehen. Vertrau' mir, Liebes." Der Schneider nahm wieder ihre Hand und führte sie hinter einen Vorhang. "Ausziehen und umziehen, Liebes. Hop hop." Einen Moment später reichte er ihr alles und ließ sie dann allein.
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Der verlorene Prinz
FantasyAls Anavi ohne Erinnerung an ihr früheres Leben in der Obhut des Heilers Lorsan erwacht, ahnt sie noch nichts von den Verflechtungen, in die sie geraten ist. Zufälle, die sich häufen. Fremde, die behaupten sie und ihre Vergangenheit zu kennen. Träum...